Frankreich: Gelbwesten vor Gericht
Es geht um die Verwüstungen am Triumphbogen. Allerdings sind die Täter unbekannt - wie auch die politische Gefahr, die von den Gelbwesten für Macron noch ausgeht
Die Gelbwesten-Bewegung taucht wieder in den Nachrichten auf. Ab heute stehen acht Männer und zwei Frauen vor einem Strafgericht in Paris. Ihnen werden Zerstörungen am Triumphbogen (Arc de triomphe) zur Last gelegt, begangen bei einer Gelbwesten-Demonstration am 1. Dezember 2018 (Die Revolte des "Ultra-Volks"). Das Strafmaß könnte bis zu 10 Jahren Freiheitsentzug betragen.
Allerdings ist noch offen, was man den Angeklagten tatsächlich nachweisen kann. Interessant ist die Aussage der Anklage, die vom Figaro, einer konservativen Zeitung, übermittelt wird: "Es ist klar, dass die Anstifter und sogar die Haupttäter nicht identifiziert worden sind."
Bis Freitag dieser Woche soll der Prozess laufen. Es geht um "kleine Fische", wie es in manchen Berichten heißt; ein symbolischer Prozess, wird er genannt. Wird es auch ein symbolischer Sieg für den französischen Staat?
Die Schäden, die angerichtet wurden, waren beträchtlich, die Kosten beliefen sich laut Figaro auf eine Million Euro. Größer noch war der symbolische Schaden für die französische Regierung. Damals gingen die Bilder von den Gelbwesten im vom Rauch umhüllten Triumphbogen um die Welt, das Foto der beschädigten Skulptur der Marianne, Symbol der Französischen Revolution, wurde zu einer Ikone der Verwüstungen, abgebildet in der New York Times und anderen großen internationalen Medien.
Die Fotos waren Anzeichen dafür, dass Macron große Schwierigkeiten hatte, mit der damals neuen sozialen Protest-Bewegung zurechtzukommen. Das ließ bei einigen auch Schadenfreude aufkommen, Russia Today berichtete ausführlich über die Proteste und Erdogan spottete. "Die Randalierer würden identifiziert und vor Gericht gestellt, warnte Präsident Emmanuel Macron." (Die Welt)
Ob der Prozess dabei hilft, dass Macron dieses Versprechen erfüllen kann, ist noch offen. Es wäre nicht das erste Versprechen, das uneingelöst bleibt. Wie steht es mit den Versprechen der Gelbwesten?
Im Dezember 2018 gab es Stimmen aus den Reihen der Gelbwesten, die darauf verwiesen, dass solche Gewaltakte wie am Triumphbogen nötig seien, um internationale Aufmerksamkeit für die Bewegung zu bekommen. Die Berichterstattung gab ihnen seinerzeit Recht. Doch musste die Bewegung teuer dafür bezahlen.
Die Regierung griff zu harten Mitteln. Gerechtfertigt wurde der vielfach brutale Einsatz der Polizei, dessen Härte im Laufe der nächsten Wochen zu einer großen Menge an schweren Verletzungen führte, deren Opfer auch unschuldigen Passanten wurden, wie Gerichtsurteile feststellten, mit einem Framing der Proteste als Akte, die es auf Gewalttaten abgesehen haben. Dazu gehörte das Porträt der Gelbwesten-Bewegung als rechte Bewegung, mit rechtsextremen Figuren, die sich vor allem anfangs offen zeigten, und antisemitischen Ressentiments und Parolen.
Dass dieses Rechtfertigungsnarrativ zwar punktuell und auf Teile der Bewegung zutraf, aber ein politisch-instrumentelles war, das wesentliche Aspekte der Bewegung ausblendete, wurde an dieser Stelle mehrfach dargestellt. Mittlerweile hat sich in der französischen Öffentlichkeit auch ein anderes Bild durchgesetzt: das einer sozialen Bewegung, die eine andere Demokratie will.
Forderungen nach direkter Demokratie und Rücktritt Macrons
Die auf einen übermächtigen Präsidenten zugeschnittenen Machtverhältnisse der V. Republik werden nicht nur von den Gelbwesten kritisiert, sondern auch regelmäßig von politischen Intellektuellen. Und Macron gibt auch anderen politischen Kräften genug Anlass dazu, seinen Rücktritt oder seine Abwahl zu fordern - neuerdings heißt es selbst von Linken, dass sie sich nicht mehr unbedingt gegen Le Pen bei einer Stichwahl entscheiden würden.
Aber selten wird das politische Ziel so hoch gehängt wie von den Gelbwesten. Sie fordern eine direkte Demokratie, Volksabstimmungen - und die Auflösung des Parlaments. Unterlegt war das lange Zeit mit Sympathiebekundungen aus der Bevölkerung, die sich bei der großen Beteiligung an den ersten Protest-Akten und dann, als diese abflauten, noch längere Zeit in den Umfragen zeigten.
Die Bewegung kam nicht vom Rand, sondern aus jenem großen Durchschnitt der Bevölkerung, die mit ihrem Einkommen haushalten müssen und von den Wirtschaftsreformen, die Macron plante, befürchteten, noch weiter heruntergestuft zu werden.
Momentan ist sie, um die Qualifizierung des Prozesses aufzunehmen, als politische Kraft mehr oder weniger "symbolisch" geworden, so der Eindruck aus den Veröffentlichungen der letzten Wochen. Zur symbolischen Macht gehört aber auch, dass sie sich als politische Gefahr für die Regierung unter Präsident Macron nicht erledigt hat. Es gibt nach wie vor Demonstrationen mit sichtbarer Beteiligung von Gelbwesten, wie zum Beispiel am vergangenen Sonntag in Paris. Da ging es um die "Polizeigewalt".
Zukunftsperspektive
Zusammenschlüsse mit anderen Anliegen, auch gewerkschaftlichen, sind eine Möglichkeit für die Gelbwesten Stärke und Präsenz zu zeigen. Seit den Protesten im Winter 2018 und dann im darauffolgenden Frühjahr hat sich das politische Bewusstsein verändert, das haben die Gelbwesten-Proteste geschafft, das ist viel und das könnte sich mit anderen Bewegungen verbinden - dies wäre eine Zukunftsperspektive.
Zurzeit sieht man aber auch die Kehrseite dessen, dass sich die Bewegung nicht in eine politische Organisation transformieren konnte. Sie ist diffundiert.
Man findet unter den Gelbwesten nun Anhänger der Opposition zu den Corona-Maßnahmen des Staates, wobei sich da auch ein Spektrum auftut, dass von der Kritik an einer konfusen Politik mit Willkür, Pfusch und Folgeschäden bis zu den Theorien reicht, die Covid-19 als Erfindung darstellen oder als harmlos. Mit bizarren Theorien, bei denen antisemitische Ressentiments eine Rolle spielen, hatten sich auch zuvor schon einige Protagonisten der Gelbwesten mit größerer Medienreichweite hervorgetan.
Am Wochenende gab es auch ein paar Bilder von Gelbwesten, die ihrem Ursprung treu bleiben, und sich an Kreisverkehrspunkten sammelten. Auch wird vom Versuch berichtet, dass die Gelbwesten das 150-jährige Jubiläum der Pariser Commune mit ihren direktdemokratischen politischen Vorstellungen zu einer neuen Mobilisierung nutzen. Bislang sind noch nicht viele gefolgt. Aber das Gedenken geht bis in den Mai und mit den wärmeren Tagen könnte sich auch der Unmut der französischen Bevölkerung über die Maßnahmen wieder anders zeigen.
Konsequenz: Der Sicherheitsapparat wird aufgerüstet
Allerdings - und das kann man auch als Folge der Gelbwestenproteste sehen: Die Ordnungsmächte haben die Zeit genutzt, um sich weiter aufzurüsten, mit neuen Einheiten (Repressiv-autoritäre Polizeitruppe soll es richten) und neue Munition in großen Mengen. Dazu läuft noch ein Gesetzgebungsverfahren für die Ausweitung der Kompetenzen bei der Inneren Sicherheit. Von den Vorschlägen dazu ist hierzulande meist nur die Regelung bekannt geworden, die es Journalisten unmöglich machen soll oder stark erschweren, dass sie Bilder von Polizisten etwa bei Demonstrationen veröffentlichen.
Es geht aber auch um die Zulassung von deutlich mehr Drohnenüberwachung, um Versuche, Überwachung mittels Gesichtserkennung auszubauen und andere Regelungen, die die Ordnungskräfte weiter stärken und dies in einer Situation der Krise.
"Les Gilets jaunes triompheront" wurde im Dezember 2018 an den Triumphbogen gesprayt.