Frankreich: Protest gegen Rassismus und Ungerechtigkeit
Seite 4: George Floyd und der Fall Adama Traoré
Zum Auftakt setzte es erst einmal eine Ladung Tränengas, doch der Andrang - möglicherweise sogar noch beflügelt durch das, als ungerecht wahrgenommene Verbot - erwies sich schnell als so bedeutend, dass die Polizei durch von allen Seiten herandrängende Menschen überfordert wurde.
Über 5.000 Menschen, die Veranstalter würden im Anschluss von 10.000 Teilnehmer sprechen, formten einen stattlichen Demonstrationszug. Über diesem kreiste zwar stundenlang ein Hubschrauber, dennoch ging der Protestzug bis zur Ankunft auf der Pariser place de la République ungehindert vonstatten.
Zum Ausklang wurde am Ende des Tages bekannt, insgesamt seien jedoch 98 Festnahmen erfolgt, hauptsächlich nach Abschluss der Veranstaltung unter Personen, die sich nicht relativ rasch vom Ankunftsort zu entfernen versucht hatten. Diese wurden auf mehrere Polizeiwachen, im 18. und 12. Pariser Bezirk, verteilt. Am Abend gegen 21 Uhr wurde jedoch bekannt, alle Festgenommen seien freigekommen, allem Anschein nach ohne Strafverfolgung mit einer einzigen Ausnahme.
Kurz darauf platzte die Bombe in Gestalt der Nachrichten über die internationale Ausdehnung der Revolte nach dem Tod von George Floyd. Am Dienstag, den 02. Juni am Abend rief ein neuer Appell zum Demonstrierten vor dem Pariser Justizpalast im 17. Arrondissement auf.
Der Anlass war ein doppelter: zum einen die Revolte in den USA infolge des gewaltsam verursachten Todes von George Floyd, zum anderen die zeitgleiche Veröffentlichung eines offiziellen Justizgutachtens, dem zufolge die Gendarmeriebeamten in der Pariser Vorstadt Persan-Beaumont im Juli 2016 den Tod des (auf dem Weg zum Gebäude der Gendarmerie mutmaßlich erstickten) 24jährigen Adama Traoré nicht verschuldet hätten.
Der "Fall Adama Traoré" wurde in den letzten vier Jahren zur in der Öffentlichkeit am stärksten sichtbaren Affaire, anhand derer Polizeigewalt - mit möglicherweise bzw. mutmaßlich rassistischem Hintergrund - thematisiert wird und zu dem es immer wieder zu Protestmobilisierungen kommt. Adama Traoré, sportlich durchtrainiert, soll demnach an einem (unentdeckten) Herzfehler verstorben sein.
Am vergangenen Dienstag legte die Familie dazu ein, von ihr bestelltes und privat bzw. dank Spendengeldern bezahltes, Gegengutachten vor, das klar von Erstickungstod spricht.
Ab 17.30 Uhr befand sich bereits eine zahlreiche und aggressiv aufgeheizt wirkende Polizei vor Ort, anderthalb Stunden vor Kundgebungsbeginn. Einzelne Beobachter bereiteten sich bereits darauf vor, die Demonstration werde zum "Laufen ins Messer". Doch dann strömten vor und vor allem nach 19 Uhr die Menschen in solchen Massen herbei, dass die Einsatzkräfte auf das Hoffnungsloseste überfordert waren.
Vielleicht dreißig Prozent der Teilnehmenden waren schwarz, wie auch die Opfer Adama Traoré und Georg Floyd, doch die Gesamtzusammensetzung war bunt durchmischt. Die Frankfurter Rundschau, die behauptete (offensichtlich ohne Anwesenheit ihres Korrespondenten), die Teilnehmenden seien angeblich "meist dunkelhäutig" gewesen, schrieb objektiven Unsinn.
Nein, die Mehrheit war weiß - und zum Protest gegen Rassismus und Ungerechtigkeit motiviert. Der Verfasser dieser Zeilen war vor Ort.
In den darauffolgenden Tagen fanden weitere Versammlungen statt, die in ihrer Größe zunächst nicht an die vom 02. Juni - selbst die Polizei sprach von "über 20.000" Teilnehmenden - heranreichten. Am darauf folgenden Samstag demonstrierten rund 5.500 Menschen erneut in Paris, auf dem Concorde-Platz sowie auf dem Marsfeld in der Nähe des Eiffelturms, und Tausende in weiteren französischen Städten.
Am darauffolgenden Dienstag, den 09. Juni, an ihm riefen nunmehr auch staatstragende Kräfte wie die dereinst vom Umfeld des Präsidenten François Mitterrand aufgebaute Vereinigung SOS Racisme zu Protest- und Trauerkundgebungen für Floyd (und Traoré) auf, verkündete Innenminister Christoph Castaner jetzt auch offiziell: Versammlungen würden nun erst einmal "toleriert", denn "die Emotion" - wie er es bezeichnete, um nicht vom politischen Verstand zu reden - gehe in diesem Falle über einen "juristischen Rahmen" hinaus.