Frankreich-Wahl: Linksbündnis könnte eigentlicher Gewinner sein

Kopf-an-Kopf-Rennen: Wer hat eigentlich wirklich gesiegt? Bild Jean-Luc Mélenchon: © European Communities, 2016 / CC-BY-4.0; Bild Emmanuel Macron: Public Domain

Mit Stimmen der Überseegebiete könnte Linksbündnis vor Regierungslager liegen. Deutsche Presse erklärt Mélenchon erneut zum "Linksradikalen". Ein Blick hinter die Kulissen

Szenen aus einer Bananenrepublik, einer notorischen Demokratur? Nicht doch, nicht doch. Der wichtigste Zusammenschluss von Oppositionsparteien landet bei den Parlamentswahlen in der ersten Runde knapp vor dem Regierungslager. Doch das Innenministerium weigert sich, der Opposition diesen vorläufig noch symbolischen Sieg – entscheidend wird letztlich die zweite Wahlrunde ausfallen – zuzuerkennen.

Stattdessen wird eifrig gerechnet, nachgerechnet, umgerechnet und umgedeutet. Stand am Abend des Wahlsonntags das Oppositionsbündnis ein knappes Prozent vor dem Regierungslager, landet es beim Aufwachen am Montag früh ein Zehntelprozent hinter ihm. Auf zum Staatsgebiet gehörenden Inseln hatte man da noch einige Besonderheiten festgestellt, die es dem Innenministerium erlaubten, die Sache noch mal in neuem Licht darzustellen.

Das klingt nach prekärer Demokratie in einem so genannten Dritte-Welt-Staat, meinen Sie nun vielleicht. Irrtum.

Frankreich ist die älteste Demokratie im westlichen Europa. Erstmals wurde die Republik im Land 1792 eingeführt, danach wechselten die Regierungsformen jedoch noch einige Male; letztmalig vollzog sich der Übergang zur Republik – sieht man von einer vierjährigen Unterbrechung unter der deutschen Nazibesatzung und der Herrschaft ihrer Kollaborateure ab – nach der Absetzung Napoléon III. im Jahr 1870. Doch der Zustand dieser Republik wirft manchmal Fragen auf.

Genau wie oben geschildert trugen sich die Dinge in der vergangenen Nacht zu. Seit Anfang Mai hatten sich mehrere Oppositionspartien auf der Linken und im Mitte-Links-Spektrum – die linkssozialdemokratische, ökologische und linksnationalistische Wahlplattform La France insoumise ("Das unbeugsame Frankreich"), die bis 2017 noch regierende Sozialistische Partei, die Umweltpartei Europe Ecologie-Les Verts (EE-LV) sowie die nur noch einen Schatten ihrer selbst darstellende Französische kommunistische Partei – zu einem gemeinsamen Wahlbündnis zusammengefunden.

Dieses steht unter dem Kürzel Nupes, für "Neue ökologische und soziale Union der kleinen Leute". Die daran beteiligten Parteien einigten sich auf eine Verteilung der Wahlkreise nach einem festen Verteilungsschlüssel, auf dass sich nicht Bewerberinnen und Bewerber aus demselben politischen Lager gegenseitig im ersten Wahlkreis Stimmen wegnehmen und am Einzug in die Stichwahl hindern.

Um in die Stichwahl vom kommenden Sonntag einzuziehen, erfordert das französische Wahlrecht von Parlamentskandidatinnen und -kandidaten, im ersten Wahlgang von mindestens 12,5 Prozent der eingetragenen Stimmberechtigten gewählt worden zu sein. Nicht der abgegebenen Stimmen, sondern der Wahlberechtigten.

Dies bedeutet übrigens auch: Je niedriger die Stimmbeteiligung und je höher die Enthaltung, desto höher liegt auch diese Hürde, gemessen an den Wahlteilnehmern und -teilnehmern. Beträgt die Wahlenthaltung nämlich fünfzig Prozent, dann steigt die Hürde automatisch auf 25 Prozent der abgegebenen Stimmen an.

Am gestrigen Wahlsonntag betrug die durchschnittliche Wahlbeteiligung in ganz Frankreich jedoch nur gut 47 Prozent, dadurch sind zum Einzug in die Stichwahl im Schnitt mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen aus der ersten Runde erforderlich.

Es ist erkennbar: Hätten die Linksparteien kein Stimmbündnis abgeschlossen, dann wären sie in zahlreichen Wahlkreisen bereits jetzt aus dem Rennen geworfen worden. So aber ist die Nupes-Allianz in rund 500 von insgesamt 577 französischen Wahlkreisen noch mit dabei.