Frankreich-Wahl: Linksbündnis könnte eigentlicher Gewinner sein

Seite 2: Wahl in Frankreich: In Überseegebieten ist vieles anders

Der oben erwähnte Verteilungsschlüssel griff jedoch nur in Festlandfrankreich, also im europäischen Teil des Staatsgebiets. Nicht in den "Überseegebieten" wie den zu Frankreich zählenden Antillen (La Martinique und Guadeloupe beispielsweise), auf den Inseln La Réunion und Mayotte im Indischen Ozean oder auch in Neukaledonien.

Dort überließ es das Linksbündnis den regionalen Kräften oder den jeweiligen Parteigliederungen landesweit vertretener Kräfte, eigene Lösungen für die Aufteilung der Wahlkreise zu finden, weil man nämlich nicht – so, wie die Staatsmacht es tut – von Paris aus in "bewährter" kolonialer Manier in die weit entfernt gelegenen Gebiete hinein regieren möchte.

Auf La Réunion traten zwei Vertreter des Nupes-Bündnisses an: In einem Wahlkreis ein Mitglieder Wahlplattform La France insoumise, im anderen eines der Französischen kommunistischen Partei, welche auf La Réunion nach wie vor stark verankert ist.

Also jeweils "Fleisch vom Fleische" des Linksbündnisses, denn LFI und die französische KP waren bereits bei den Europaparlamentswahlen 2009 sowie den Präsidentschaftswahlen 2012 und 2017 miteinander alliiert und sind keinesfalls unsichere Neuzugänge – wie die vormalige Regierungspartei in Gestalt des Parti Socialiste, von dessen rechtem Flügel es gestern mehrere "dissidente" Kandidaturen gegen das durch seine Parteiführung mitgetragene Bündnis gegeben hat.

Das Innenministerium kam nun jedoch in der Wahlnacht auf die glorreiche Idee, da das Abkommen zwischen den an Nupes beteiligten Parteien ja nur Festlandfrankreich und nicht das übrige Staatsgebiet betreffe, brauche man die Kandidaturen etwa auf La Réunion nicht mitzuzählen.

Und so vermeldete es am Montagmorgen, das Regierungslager in Gestalt des Bündnisses Ensemble! ("Zusammen!") – es umfasst vor allem die inzwischen in Renaissance umbenannten Präsidentenpartei unter Emmanuel Macron, vormals La République en marche (LREM, "Die Republik in Bewegung") – habe 25,75 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht; hingegen habe Nupes 25,66 Prozent erzielt und liege also knapp hinter ihm.

Von Seiten von Nupes/LFI spricht etwa Manuel Bompard – der 36-jährige Wahlkampfleiter übernahm den Wahlkreis in Marseille, in welchem 2017 LFI-Chef Mélenchon selbst zum Abgeordneten gewählt worden war – deswegen von "Manipulation".

Der Witz bei der Sache ist, dass es nicht um den ersten formalen Trick handelt, mit welchem das Regierungslager den Anschein erwecken möchte, die Opposition trüge keinen Sieg davon. Denn bis wenige Tage vor der Wahl wollte das Innenministerium die Parteien, aus denen sich Nupes zusammensetzt, noch allesamt getrennt erfassen, dagegen das Regierungsbündnis "Ensemble" gemeinsam – was den Anschein erweckt hätte, dieses sei mit Abstand die stärkste Kraft.

Auch ihm gehören jedoch ähnlich wie Nupes mehrere Parteien an, neben Renaissance etwa die rechtsliberale Kleinpartei Modem von Ex-Minister François Bayrou. Der "Staatsrat", also das höchste Verwaltungsgericht in Frankreich, verbot dem Innenministerium jedoch kurz vor dem Wahltermin diesen Manipulationsversuch und ordnete eine gemeinsame Darstellung der verbündeten Parteien an.

Neben solchen formalen Tricksereien dürfte jedoch auch das geltende Mehrheitswahlrecht die politische Realität im Land verzerren. Ein Meister in der Zuteilung von Wahlkreisen, die bürgerliche Mehrheiten garantieren sollte, war der damalige konservative Innenminister Charles Pasqua gewesen – er sorgte im Jahr 1986, in dem auch die Rückkehr vom damals kurzzeitig geltenden Verhältnis- zum Mehrheitswahlrecht beschlossen wurde, für eine Neueinteilung der Wahlgebilde.

Deswegen ist es möglich, dass Nupes am kommenden Sonntag, auch falls sich ihr Stimmenvorsprung bestätigt oder sie gar einen Teil der Nichtwähler/innen vom vorigen Sonntag mobilisieren sollte, keine Sitzmehrheit erringt.