Frankreich: Was macht überhaupt… die Linke?

Seite 2: Die Hollande-Jahre: "Pferdeäpfeltheorie"

Es trifft zu, dass die Linksparteien – global betrachtet – seit Beginn der Amtszeit des derzeitigen Staatspräsidenten Emmanuel Macron im Mai 2017 aus einem dauerhaften Tief nicht herauskamen. Ein Hauptgrund dafür liegt in der jämmerlichen Bilanz der Amtszeit François Hollandes, des zweiten, als "sozialistisch" betitelten Staatsoberhaupts in der Geschichte der 1958 begründeten Fünften Republik.

In seinen Amtsjahren von 2012 bis 2017 schlug er, nachdem er im Wahlkampf vor zehn Jahren einige kritisch klingende Sprüche über das Finanzkapital ("la finance, mon ennemi") geklopft hatte, quasi von Anfang an den Kurs einer von ihm selbst als "politique de l’offre" oder "Angebotspolitik" bezeichneten Wirtschafts- und Sozialpolitik ein.

Dies bedeutete, dass die Unternehmen durch massive Steuergeschenke und Senkungen so genannter Lohnnebenkosten gestärkt werden sollten, denn gehe es den Kapitalgesellschaften gut, so werde folglich schon irgendwann etwas für die Lohnabhängigen vom Tisch abfallen.

Der Wirtschaftsliberale Macron – er war unter Hollande zwei Jahre lang Wirtschaftsminister – vertritt bis jetzt nichts Anderes, benutzt dafür nur den klassisch neoliberalen Begriff des trickle down oder französisch ruissellement, also die These angeblichen automatischen Heruntersickerns von Reichtümern von oben nach unten, im Deutschen auch als "Pferdeäpfeltheorie" bezeichnet. In ihrem Namen wird die Maxime "Bereichert Euch!" praktiziert.

An dieser Stelle hatte übrigens der oben erwähnte KP-Kandidat Roussel einen der bisher besten Einfälle im diesjährigen Vorwahlkampf: Bei seiner Großveranstaltung am 06. Februar in Marseille rief er aus, er werde dieses "ruissellement" durch ein "roussellement" ersetzen, ein Wortspiel mit seinem eigenen Namen. Roussellement bedeutet demnach "die Anhebung der Löhne und der Renten". Dem PCF-Kandidaten trug dies einen beträchtlichen Aufmerksamkeitserfolg ein.

Noch in den Achtzigerjahren wurde bekanntlich gelehrt, "Angebotspolitik" sei eine Strategie der politischen (konservativen und liberalen) Rechten, während das sozialdemokratische Gegenstück dazu im Keynesianismus und einer Politik der Ankurbelung der Wirtschaft durch Steigerung der Löhne und der Nachfragefähigkeit und damit des Konsums liege.

Auch wenn diese Gegenüberstellung bereits damals auf einer groben Vereinfachung beruhte, zumal es auch einen rechten Keynesiamismus gibt, der die Konjunktur etwa durch Rüstungsausgaben oder durch staatliche Subventionen zum Flugzeugbau und Beihilfen für die Automobilproduktion ankurbelt (wie weiland die CSU in Bayern oder der historische Gaullismus in den 1960er-Jahren in Frankreich).

Das gigantische Steuersenkungspaket für Unternehmen CICE ab Ende 2012 sah – anders, als zeitweilig lautstark vom linken oder halblinken Parteiflügel des PS gefordert wurde – keinerlei einforderungsfähige Gegenleistungen des Kapitals, wie etwa Investitionen in ökologische Modernisierung oder Berufsbildung, vor.

Es wurde dem Kapital schlicht auf Gutglauben hin gewährt. Folglich opponierten die als "Frondeure" (frondeurs) bezeichneten innerparteilichen Kritiker/innen von Hollandes Kurs im Parlament gegen seine Regierung und drohten auf dem Höhepunkt 2014/15 damit, diese über Misstrauenserklärungen zu Fall zu bringen, schreckten dann jedoch vor diesem Schritt zurück.

Regressive Reform des Arbeitsrechts

Im Hochsommer 2016 wurde dann nach langen Auseinandersetzungen mit Gewerkschaften und Demonstranten die heftig umstrittene, besonders regressive Arbeitsrechtsreform unter dem Namen Loi travail verabschiedet.

Von den damaligen frondeurs blieben politische Spuren übrig, denn der Ehemann der jetzigen sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin Anne Hidalgo sowie der wohl wichtigste Beraterin ihrer linksliberalen Mitbewerberin Christiane Taubira (der frühere Abgeordnete Christian Paul) entstammen ihren Reihen.

Ihre Inkonsequenz und ihr mangelnder Mut zum wirklichen Bruch mit dem Regierungskurs unter François Hollande sorgten allerdings dafür, dass sie sich keiner Erfolgsbilanz rühmen dürfen und statt ihrer eher der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon (vgl. unten) zum wichtigsten Herausforderer Hollandes zu seiner Linken werden konnte.

Ein weiterer Grund für die Schwäche der Linken im weitesten Sinne, neben der in vieler Augen ausgesprochen negativen Erinnerung an die Präsidentschaft Hollandes, liegt darin, dass der sozialliberale Flügel der damaligen Regierungsmehrheit längst durch die jetzige aufgesogen wurde.

Rekrutierte Emmanuel Macrons Retortenpartei LREM (La République en marche) doch anfänglich viele frühere Sozialdemokraten, unter ihnen zwei der bisherigen Innenminister unter Macron, Gérard Collomb und Christophe Castaner – ihr jetziger Nachfolger Gérald Darmanin kommt hingegen aus dem Umfeld des Konservativen Nicolas Sarkozy.

Schon bei der Wahl 2017 erzielte das im weitesten Sinne linke Lager nur rund 27 Prozent, auch wenn dieser Tiefstand derzeit noch unterboten wird. Denn die Absorption eines sozialdemokratischen und linksliberalen Segments in das Macron-Lager war damals bereits fortgeschritten.

Linkspopulist Mélenchon

Am ehesten verschont vom Abwärtstrend blieb dabei bislang die zwischen einer linkssozialdemokratischen und einer linksnationalistischen Positionierung oszillierende, ihnen noch ökologische Themen hinzufügende Wahlplattform La France insoumise (LFI, Das unbeugsame Frankreich) unter Jean-Luc Mélenchon.

Dessen persönliches Gebaren, einige arrogante Sprüche und Ausfälle in der Vergangenheit wie sein berühmt-berüchtiger Auftritt "Die Republik bin ich" im Jahr 2018 schadeten ihm nachhaltig; derzeit wird ihm in Umfragen mit knapp zehn Prozent rund die Hälfte seines zwanzigprozentigen Stimmenanteils von 2012 prognostiziert.

Jean-Luc Mélenchon. Bild: Fred Marvaux, European Communities, 2016 / CC-BY-4.0

Er könnte allerdings bis zum Tag der Stimmangabe noch zulegen, da die demoskopischen Institute oft nur Personen mit als gesichert geltender Wahlentscheidung in ihre Studien einbeziehen, jedoch Angehörige der Arbeitnehmerschaft und der sozialen Unterklassen sich überdurchschnittlich oft erst kurz vor den Wahlen festlegen.

Die Anhänger/innen Mélenchons – er spaltete sich im Winter 2008/09 mit seiner damaligen "Linkspartei", dem PG, vom Parti Socialiste ab – profitieren objektiv davon, dass sie seit damals nicht mehr am Regierungsgeschäft beteiligt war.

Im Unterschied zum PS, aber auch den französischen Grünen, die von 2012 bis 14 unter Hollande mitregierten. Während die letztgenannten beiden Parteien durch die Erinnerung an ihre Regierungsbilanz in einen Abwärtsstrudel gezogen werden, bleibt LFI davon verschont.

Technisch innovative Methoden: Geruchsübermittlung

Ihr Kandidat setzt dabei – wie auch bereits bei seinen letzten beiden Kandidaturen 2012 und 2017 – auf technisch innovative Methoden. Am 16. Januar d.J. in Nantes etwa organisierten seine Unterstützer/innen eine Wahlkampfveranstaltung mit dreidimensionaler Präsentation und "Geruchsübermittlung": Mélenchon präsentierte in der westfranzösischen Stadt in Atlantik-Nähe sein Programm zu einem seiner langjährigen Hauptthemen, zur Ökologie und zur Nutzung der Meere mitsamt ihrer submarinen Rohstoffe.

Dabei sollte das Publikum auch mit Gerüchen, die bspw. an das Meer erinnern sollten, konfrontiert werden. Vielleicht auch aufgrund des Tragens von Corona-Masken ging dies jedoch schief, wirklich viel zu schnuppern gab es jedenfalls nicht.

In den letzten Jahren setzte Mélenchon auf wechselnde Strategien. Mal versuchte er sich an die Spitze einer Sammlungsbewegung der Linkskräfte zu setzen, mal verwarf er – im Gegenteil – die Einteilung in Links und Rechts, um auf eine Vereinigung aller Unzufriedenen gegen das Establishment zu setzen. Zeitweilig ergänzte er dies auch um den Versuch, als besonders EU-kritische Kraft Profil zu gewinnen.