Frankreich verpasst sich ein Internetgesetz

Das französische Web soll täglich archiviert werden

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Mit einem großangelegten Gesetzesprojekt für die Informationsgesellschaft versuchen Jospin und Co. so verschiedene Inhalte wie Cyberkriminalität, Persönlichkeitsrechte und Verantwortung von Beherbergern unter einen Hut zu bekommen. Die Regierung ließ bereits aufhorchen, als man verkündete, man wolle sämtliche Inhalte des Internets archivieren.

Christian Perret, sozialistischer Industriestaatssekretär und Leiter des "Projét de loi sur la société de l'information" (LSI) scheint verdammt stolz auf das Gesetzesprojekt zu sein, das manche schon als "Internetgesetz" bezeichnen. Frankreich sei das erste europäische Land, das sich an ein so breitgefächertes Regelwerk für die Informationsgesellschaft heranwage und wolle damit in Europa beispielgebend sein. So breitgefächert ist das Gesetz, dass die angesehene Tageszeitung Le Monde das Projekt, das Mitte Juni den Ministerrat passiert hat, bereits als "Kraut- und Rübengesetz" bezeichnet hat.

Internetsites werden mit traditionellen Medien gleichgesetzt

Was in Frankreich mit einem Gesetz aus dem Jahre 1992 bereits für alle gedruckten, grafischen, fotografischen, audiovisuellen und Multimediawerke gilt, nämlich dass sie bei der französischen Nationalbibliothek oder dem INA (Nationales audiovisuelles Institut) spätestens drei Monate nach der Veröffentlichung deponiert werden müssen (Dépôt Legal), soll nun auch für Internetsites gelten. Alle Personen die via Onlinekommunikation Inhalte veröffentlichen oder produzieren, sollen zu dieser "legalen Deponierung" verpflichtet sein. Das Gesetzesprojekt präzisiert allerdings in keiner Form, ob private Homepages oder Internetforen von dieser Verpflichtung betroffen sind.

Allerdings sollen sich die Verleger und Produzenten von Internetinhalten keine Sorgen um "technische Modalitäten" machen, denn die Nationalbibliothek und das INA werden die Inhalte selbst "ansaugen", wie es im Projekt heißt. So wie es bislang mit TV- oder Radioinhalten geschah. Natürlich mit der Verpflichtung, vorher die Betroffenen davon zu informieren, auch wenn das INA bereits wissen ließ, dass die Ansaugprozedur so unkompliziert sei, dass es die Herausgeber oftmals nicht einmal bemerken würden!

Derlei Ansinnen konnte freilich in der französischen Internetgemeinde - 11 Millionen Internauten zählt das Land zur Zeit - nur auf Widerstand stoßen. Das Kollektiv für ein solidarisches Internet IRIS bezeichnet das Gesetz für die Informationsgesellschaft als ultraliberal und eines Polizeistaates würdig. Es müsse klar geregelt werden, ob die Verpflichtung zur Deponierung alle Sites betreffe. Es gehe nicht an, dass die Regierung durch vage Definitionen das Feld für alle möglichen Arten von juristischen Interpretationen offen lasse.

Ganz abgesehen davon, dass man bei der "Ansaugprozedur" mit Sicherheit auf technische Probleme stoßen wird, entsteht die Frage, was beispielsweise mit Flashanimationen oder Newssites geschehen soll, die täglich mehrmals upgedatet werden? Letztere will man eben täglich mehrmals "abfotografieren". Außerdem haben die Herausgeber von Internetinhalten die Verpflichtung, dass sie, falls die Nationalbibliothek oder das INA auf Schwierigkeiten stoßen sollten, gemeinsam nach technischen Lösungen suchen müssen.

Der französische Gesetzgeber hat sich da jedenfalls einen ziemlichen Brocken aufgehalst, denn schließlich will man "den größten Teil der weltweit angebotenen frei zugänglichen Internetinhalte" archivieren, die das kollektive Gedächtnis der Franzosen betreffen könnten.

Die Verantwortlichkeit der Provider

Sichtlich schwer getan hat sich der französische Gesetzgeber mit der Definition der Verantwortlichkeit von Internetprovidern gegenüber illegalen Inhalten. Provider, die " die permanente und direkte Speicherung von verbreiteten Inhalten" betreiben, sobald sie von offensichtlich illegalen Inhalten Kenntnis genommen haben, sollen die Verpflichtung haben, " diese entweder vom Netz zu nehmen oder den Zugang unmöglich zu machen haben." Rein technische Provider, deren Dienstleistung nur darin besteht, technisch den Zugang zum Internet herzustellen, sind davon ausgenommen.

"Jede Art von Eingriff in die angebotenen Inhalte ihrerseits", heißt es allerdings im Gesetzesprojekt weiter, "setzt sie der Verantwortung eines Verlegers aus und somit wiederum der Verpflichtung, sobald bewiesenermaßen Kenntnis von illegalen Inhalten vorliegt, diese vom Netz zu nehmen."

Die Anbieter von Internetprovidern, die Inhalte nur durchleiten, haben keineswegs die Verpflichtung diese zu kontrollieren oder auch nur über sie informiert zu sein. Falls aber ein in Frankreich illegaler Inhalt, beispielsweise pädophiler oder rassistischer Natur, von einem rein technischen Provider verbreitet wird und es keinen anderen Anbieter gibt, an den sich das Gesetz wenden kann, dann soll ein Richter die Möglichkeit haben, den Anbieter dazu zu zwingen, ihn vom Netz zu nehmen.

Diese höchst verklausulierte Formulierung rührt wahrscheinlich daher, dass die Regierung beim ersten Gesetzesentwurf zur Verantwortlichkeit von Internetprovidern, der wesentlich härter ausgefallen war, auf massiven Widerstand von Seiten der Internetcommunity gestoßen war. Das Kollektiv für ein solidarisches Internet IRIS hat daher diese Änderung begrüßt, die zwischen rein technischen Anbietern und Providern, die Webhosting anbieten, unterscheidet. Wie dieser Abschnitt des LSI dann tatsächlich angewendet werden soll, wird wohl die Zukunft weisen. Zahlreiche Internetanbieter haben bereits ihre Zweifel an der Praktizierbarkeit dieses Entwurfes angemeldet, da die Funktionen oftmals nicht so klar getrennt sind.

Nationale Informatikkommission kritisiert ambivalenten Umgang mit persönlichen Daten

Was den Schutz von persönlichen und technischen Daten anbelangt, die von den Kommunikationsprotokollen des Internet verwendet werden, wie beispielsweise Uhrzeit, Dauer und Adressat einer elektronischen Kommunikation, sieht der Gesetzesentwurf zwar vor, dass " sofort nach Beendigung der Kommunikation diese Daten gelöscht oder anonymisiert werden müssen." Die Regierung habe allerdings zu viele Ausnahmen ermöglicht, sorgt sich die Nationale Kommission für Informatik und Freiheit (Cnil), um die Wahrung der Privatsphäre.

Die erste Ausnahme betrifft Daten, die ein Internetprovider zur Erstellung einer Rechnung über seine Dienstleistungen benötigt und bis zu einem Jahr aufbewahren darf. Außerdem können diese Daten auch nach Bezahlung der Rechnung gespeichert bleiben, falls vom Konsumenten die ausdrückliche Erlaubnis vorliegt, diese für Werbezwecke des Providers zu verwenden. Offen bleibt allerdings die Frage, ob die ausdrückliche Erlaubnis die Einjahresfrist für den Anbieter aufhebt, betont die Cnil. Auch dürfen dieses Daten an Dritte weitergegeben werden, "die bei der technischen Erstellung einer Rechnung notwendig sein könnten".

Die zweite Ausnahme gilt für persönliche und technische Angaben, die " in der Strafverfolgung von Delikten, die mit Hilfe der oder auf den Telekommunikationsnetzwerken begangen wurden, behilflich sein könnten". Die Polizei bekomme hier Zugang zu leicht verfügbarem Beweismaterial, kritisiert die Cnil, während im Projekt nicht genauer definiert würde, welche Instanzen die persönlichen Rechte der Bürger vor möglicher Polizeiwillkür schützen könnten.

Zweifelhaft bleibt für die Informatikkommission, die von der Regierung vor der Präsentation des LSI im Ministerrat konsultiert wurde, wie die Wirkung einer nationalen Gesetzgebung auf ein internationales Netzwerk aussehen könnte.

Frankreich liberalisiert den Zugang zu Verschlüsselungstechniken

Projektleiter Christian Perret pflegt wohl wieder einmal den Nationalstolz, wenn er verkündet, dass "Frankreich das einzige Land der Welt sei, das den Zugang zu Kryptotechniken derart liberalisiert hat. Sogar mehr als die USA." Allerdings ist nur der Zugang liberalisiert, was die Lieferung, den Import und den Export von Kryptotechnologien anlangt, so muss das vorher deklariert und erlaubt worden sein.

Das Gesetz für die Informationsgesellschaft, das 2002 verabschiedet werden soll, werde für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sorgen, meint Perret weiter. Die neuen Technologien machen bereits 20% des französischen Wirtschaftswachstums aus, und die Regierung erhofft sich pro Jahr 100.000 neue Arbeitsplätze. Ob sich die Türen des neuen Eldorados namens Internet mit derlei Regelwerken weiter geöffnet haben, sei allerdings dahingestellt.