Frankreich will mit einer Reichensteuer eine Rentenreform versüßen
Nach einem Bericht der Statistikbehörde verfolgt der Staat eine "unhaltbare" Ausgabenpolitik, auch das hoch verschuldete Frankreich wird von der Spardebatte eingeholt
Meist bleibt in der Debatte um Länder, die angeblich oder real vor einer Pleite stehen, Frankreich gänzlich unbeachtet. Dass die Börse in Paris bisweilen ähnlich heftige Ausschläge verzeichnet wie die in Spanien, Griechenland und Portugal zeigt eine steigende Nervosität. Auch in Frankreich ist 2009 das Haushaltsdefizit auf 7,5% explodiert. Der Schuldenstand des Staates stieg 2009 auf 77,6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und lag noch über dem Portugals, das gerne fälschlich mit Griechenland in einen Topf geworfen wird.
Während Portugal nun schon den zweiten Sparplan aufgelegt hat (Der portugiesische Sparweg), hält sich die Sparwut in Paris in Grenzen, man würde einen Teil der Schulden viel lieber weginflationieren. Nun setzt aber auch in Frankreich die Spardebatte verstärkt ein. Wie in Spanien steht eine Rentenreform im Mittelpunkt, die allerdings nichts dazu beitragen wird, die EU-Stabilitätsgrenzen bis 2013 wieder einzuhalten. Experten forderten am Donnerstag die "unhaltbare" Ausgabenpolitik aufzugeben.
Dass es um die Entwicklung in Frankreich nicht zum Besten steht, wurde schon 2008 klar. Paris konnte schon damals die Stabilitätskriterien des Euroraums nicht einhalten, weil das Defizit auf 3,3% anwuchs. Irland, Malta, Spanien und Frankreich waren die einzigen Länder im Euroraum, die damals die Maastrichter Defizitschwelle von 3% gerissen haben. In Frankreich explodierte das Defizit dann 2009 auf 7,5%, womit die Gesamtverschuldung auf 77,6% der Wirtschaftsleistung anstieg. Es sind nun rund 1,5 Billionen Euro, die der Staat an Schulden aufgehäuft hat. Mit Italien (115,8%), Griechenland (115,1%), Belgien (96,7%), Portugal (76,8%) und Deutschland (73,2%) liegt Frankreich in der Spitzegruppe. Die Verschuldung steigt aber deutlich stärker als in Deutschland an, obwohl auch hier neue Schuldenrekorde gemacht werden. 2007 lag die Gesamtverschuldung Frankreichs noch unter der in Deutschland.
Die Lage wird sich in diesem Jahr weiter zuspitzen, denn angesichts von Wahlen 2012 ist bisher ist von Sparplänen in Frankreich nichts zu hören und dabei wird Großbritannien:: kopiert (Wer von Athen spricht, darf von London nicht schweigen). Eine positive Wirtschaftsentwicklung, die für deutlich höhere Einnahmen sorgen und die Neuverschuldung begrenzen könnte, ist nicht in Sicht. Entsprechende Hoffnungen haben gerade einen deutlichen Dämpfer erhalten. Denn im ersten Quartal 2010, so teilte die europäische Statistikbehörde (Eurostat) gerade mit, lag das Wachstum in Frankreich mit 0,1% sogar unter den schwachen 0,2% Deutschlands.
Das ist für Frankreich besonders ernüchternd, schließlich hatte das Land noch im vierten Quartal 2009 ein Wachstum von 0,6% ausgewiesen, während Deutschland mit 0,0% stagnierte. Vereinfacht gesagt: Frankreich hat mit sehr hohen Ausgaben und einem explodierenden Defizit 2009 in mehreren Quartalen ein geringes Wachstum herbeigedopt, das sich offensichtlich aber nicht selbst trägt. Sogar die Verlängerung der Abwrackprämie hat also im ersten Quartal nur zu einem Minimalwachstum geführt.
Und anders als in Deutschland, steigt die Arbeitslosigkeit in Frankreich weiter, womit die Löcher in den Sozialkassen größer werden. Saisonbereinigt gibt Eurostat eine Quote für März von 10,1% an, die höchste Quote seit 10 Jahren. Damit liegt Frankreich leicht über dem Durchschnitt der Euroländer und deutlich über dem in der EU. Das Land liegt knapp hinter Griechenland (10,2%) und Portugal (10,5%). In einem Jahr ist die Quote um 1% gewachsen, während sie in Deutschland um 0,1% gesunken ist. Entsprechend sackte das Konsumklima im April auf den tiefsten Stand seit Juli 2009 ab.
Die französische Rentenreform
So wird erwartet, dass Frankreichs Defizit 2010 weiter wächst und auf 8,2% steigt. Angesichts dieser Entwicklung ist es eigentlich erstaunlich, dass ausgerechnet eine Rentenreform vorangetrieben wird, die im Herbst umgesetzt werden soll. Darüber verhandelt die Regierung seit geraumer Zeit mit den Sozialpartnern. In einem Eckpunktepapier wurde nun erstmals deutlicher, wohin die Reise gehen soll. Als zentraler Punkt wird die Ausweitung der Beitragszeit diskutiert. Muss seit 2003 ein Franzose 40 Jahre in die Rentenkasse einzahlen, um eine volle Rente zu erhalten, wurde schon zuvor beschlossen, dass die Beitragszeit ab 2012 auf 41 Jahre steigen soll.
Nun soll im Rahmen einer neuen Reform diese Beitragszeit noch einmal verlängert werden. Nicht auszuschließen ist auch, dass das gesetzliche Pensionsalter (derzeit 60 Jahre) sukzessive erhöht wird. Aus Regierungskreisen ist zu vernehmen, dass 2015 das Renteneintrittsalter 61 Jahre betragen soll und ab 2020 schließlich 62 Jahre steigen werde. Nach Angaben der Zeitung Le Monde, die sich auf "übereinstimmende Quellen" aus der Regierung beruft, soll das Eintrittsalter ab 2030 sogar auf 63 Jahre steigen. Im Unternehmerverband Medef hält man das aber noch für zu niedrig und würde gerne schon 2020 auf 63,5 Jahre aufstocken. Dementiert hat der Arbeitsminister bisher nur, dass die Regierung die Pläne der Unternehmer unterstützt. Eric Woerth betonte: "Es ist noch keine Entscheidung gefallen."
Doch weder die schon beschlossene Anhebung der Beitragszeit noch die Anhebung des Rentenalters tragen irgendetwas zur Verbesserung der Haushaltslage bei. Eine Anhebung der Rentenbeiträge und eine Verringerung der Pensionen sind in dem Strategiepapier aber ausgeschlossen. Um das Loch von 2 Milliarden Euro in diesem Jahr zu schließen, das in der Rentenkasse klafft, müssten die Beiträge sofort um 3,8% steigen. Insgesamt hat sich ein Defizit im Rentensystem von etwa 11 Milliarden Euro aufgehäuft. Die geplante Reform trägt aber nur langfristig dazu bei, dass 2050 dem Rentensystem keine 100 Milliarden fehlen, wie derzeit berechnet wird.
Doch wie sein sozialistischer Kollege aus Spanien kann sich auch der konservative Präsident Nicolas Sarkozy nicht verkneifen, seinen Landleuten eine Rentenreform als Krisensparmaßnahme zu verkaufen. Doch er weiß auch, dass solche Pläne üblicherweise bei den Galliern auf erheblichen Widerstand stoßen. Deshalb hält Sarkozy zur Peitsche auch das Zuckerbrot bereit, um die Sozialpartner in den Sozialpaktgesprächen zu einer Zustimmung zu bewegen. Zu den wichtigsten Ideen gehört deshalb die Einführung einer "Solidaritätsabgabe" auf hohe Einkommen und Kapitaleinkünfte, womit die Einnahmeseite verbessert wird und den Gewerkschaften eine Zustimmung versüßt werden soll.
Doch hier ist bisher alles unklar. Weder ist geklärt, was ein hohes Einkommen sein soll und wie hoch die Abgabe auf Kapitaleinkünfte sein wird, mit der die Rentenkassen quersubventioniert werden sollen. Einigermaßen sicher ist, dass damit ein Prestigeobjekt von Sarkozy fallen muss. Denn einst hatte Sarkozy eine maximale Steuerbelastung im Land auf 50% durchgesetzt. Für das "bouclier fiscal" (Abgabenschutzschild) war er auch im rechten Lager immer wieder kritisiert worden. Ein Trick soll Sarkozy aber nun dabei helfen, das Gesicht zu wahren. Denn es soll sich um eine zusätzliche Abgabe halten, die nicht als Einkommenssteuer deklariert wird. Damit könnte die Regierung offiziell an der Steuer-Obergrenze von 50% festhalten und trotzdem die Gesamtbelastung über die "Solidaritätsabgabe" über diese Hürde heben.
Die Gewerkschaften halten die Maßnahme zwar grundsätzlich für richtig, doch wie der mächtige CGT-Chef Eric Aubin sind sie zurückhaltend, warten auf Details und messen der Reichensteuer einen eher symbolischen Wert mit begrenzter Wirkung bei. "Sie wird nicht die Finanzierung der Rentenversicherung garantieren", sagte er. Die Gewerkschaften fordern, die Gewinne der großen Unternehmen stärker zu besteuern und zur Finanzierung heranzuziehen. "Das sind 250 Milliarden, davon könnte man 20 gleich in die Rentenkasse umleiten. Die wäre damit wieder gefüllt und die Rentenfinanzierung ohne Beitragserhöhung und Anhebung des Rentenalters gesichert." Die oppositionellen Sozialisten begrüßen, dass die Regierung vom bisherigen Kurs wegschwenken würde, wonach in Krisenzeiten alle außer den Reichsten den Gürtel enger schnallen müssten.
Regierung erklärt das nationale Haushaltsdefizit zur nationalen Priorität
Eine kalte Dusche erhielt die Regierung gerade am Donnerstag über einen Bericht, den der Präsident Sarkozy bei Paul Champsaur und Jean-Philippe Cotis bestellt hatte. Die obersten Statistiker in Frankreich halten eine "deutliche Anpassung" der Kosten für dringend erforderlich, um das Defizit und die Verschuldung in den Griff zu bekommen. Über den Bericht wird erstmals bestätigt, dass man mit dem kürzlich ausgebrachten Rettungsnetz für den Euro zumindest in Frankreich darauf setzt, per Inflation einen Teil der Schulden loszuwerden, wie es zu befürchten war. Denn flankierend zum Rettungspaket kauft in einem Tabubruch die Europäische Zentralbank (EZB) nun sogar Staatsanleihen an, womit die Notenpresse angeworfen wird (Historischer Wendepunkt in der Geldpolitik der EU). Um die Staatsfinanzen auf einen nachhaltigen Kurs zu bringen, sei es "illusorisch, auf einen Anstieg der Inflation zu setzen", resümieren Champsaur und Cotis.
Der Staat, aber noch stärker lokale öffentliche Haushalte, verfolgten eine "unhaltbare" Ausgabenpolitik, weshalb eine deutliche Zurückhaltung bei den Ausgaben gefordert wird. Es stehe ein Periode einer tief greifenden Neuorientierung der öffentlichen Haushaltspolitik an, meinen die Experten. Die Regierung hat nun eilig auf den Bericht reagiert und das Haushaltsdefizit zur "nationalen Priorität" erklärt. Konkrete Maßnahmen werden in der Stellungnahme aber genauso wenig benannt, wie sie in den allgemeinen Aussagen die Finanzministerin Christine Lagarde enthalten waren. Anfang Mai hatte sie unspezifisch erklärt, die Regierung wolle in den nächsten drei Jahren 100 Milliarden Euro einsparen. Die Staatsausgaben sollten zwischen 2011 und 2013 eingefroren werden, um das Defizit unter die Hürde von 3% zu senken.
Konkret wurde sie nur darin, dass der Personalabbau im öffentlichen Dienst beibehalten werden soll. Nur jeder zweite Beamte, der in Pension geht, werde ersetzt. "Dies ist kein Sparplan, wir wollen beim Umgang mit den öffentlichen Geldern nur extrem aufmerksam sein", erklärte Lagarde noch vor zwei Wochen. Das dürfte nach dem "Rapport" der Statistiker schon genauso Schnee von gestern sein, wie ihre damalige Ankündigung, dass keine Steuern erhöht würden. Man darf gespannt sein, wann auch Frankreich massive Sparpläne auflegt, und man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass wohl auch in Frankreich bewegte Zeiten bevorstehen.