Frankreichs Atomkraftwerke: Probleme wegen Hitze
Grenzwerte für die Gewässererhitzung werden weiter angehoben. Da der altersschwache Atompark zur Hälfte abgeschaltet ist, sind erhebliche Steigerungen des Strompreises in ganz Europa zu erwarten.
"Ist nicht cool", titelt die französische Tageszeitung Liberation zur Tatsache, dass die Atomkraftwerke in Frankreich die Gewässer jetzt noch deutlich stärker erhitzen dürfen. Schon zuvor standen sechs Atomkraftwerke unter erhöhter Aufsicht, da wegen der Hitzeperioden Probleme zu erwarten sind.
Angeblich sollen, wie das die Atomlobby behauptet, Atomkraftwerke auf besondere Art Versorgungssicherheit gewährleisten, zudem sollen sie billig Strom liefern, umweltfreundlich und klimafreundlich sein. Eine Realitätsprüfung zeigt da anderes.
Es ist Zeit, bei "Traumtänzern" genau hinzuschauen. Zu denen gehören neben der EU-Kommission auch die Mehrheit im Europaparlament, wie die Einstufung der Atomkraft über die Taxonomie als "nachhaltig" gezeigt hat.
So sind die Blackout-Risiken im Atomstromland Frankreich in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Das hat verschiedene Gründe, über die Telepolis schon ausgiebig berichtet hat. Dazu gehört die Tatsache, dass es starke Korrosionsprobleme in den altersschwachen Reaktoren gibt. Das führt unter anderem dazu, dass seit Monaten etwa die Hälfte der Atommeiler abgeschaltet ist.
Dazu kommt, dass die "Renaissance" der Atomkraft, von der man im Nachbarland seit zwei Jahrzehnten träumt, nur noch ein Albtraum ist. Die dritte Reaktorgeneration EPR ist eine Totgeburt.
Teuer einkaufen
Statt seit zehn Jahren Strom zu liefern, sind EPR-Neubauten nicht nur in Frankreich Milliardengräber in zweistelliger Höhe, was unter anderem dazu führt, dass der Stromriese EDF pleite ist. Das wird für die französischen Steuerzahler extrem teuer, auch im britischen Hinkley Point, weshalb der Konzern nun vollständig verstaatlicht werden muss.
Strom muss Frankreich derweil in großem Umfang extrem teuer auf dem internationalen Markt einkaufen. Bis zu acht Gigawatt an einem Sonntag und am heutigen Montag dürften es deutlich mehr werden. Die Preise (siehe weiter unten) werden vermutlich im Sommer weiter explodieren und auch die Preise in Deutschland weiter nach oben treiben.
Längst geht sogar die Kapitalfraktion davon aus, wie Berichte bei Bloomberg zeigen, dass dem Land spätestens im Winter eine "Katastrophe" mit Blackouts droht. Doch schon jetzt, im Sommer, braut sich ein Sturm zusammen. Die Lichter könnten im Land angesichts immer neuer und von der Klimakrise weiter angeheizte Hitzewellen demnächst ausgehen.
Wie Telepolis berichtet hatte, mussten sogar erstmals schon in diesem Frühjahr einige der ohnehin noch am Netz befindlichen Meiler wegen fehlendem oder zu warmem Kühlwasser heruntergeregelt werden.
Ausnahmeregelungen für AKW: Umweltvorschriften werden gelockert
Doch nun, angesichts der nächsten Hitzewelle, musste man erneut zu Notmaßnahmen greifen, die tödliche Auswirkungen auf die Flora und Fauna haben werden. Da ohnehin nur die Hälfte der Atomkraftwerke laufen, kann sich Frankreich einen Ausfall weiterer Kraftwerke nicht leisten. Schon wurden weitere Korrosionsprüfungen an Kühlrohren im besonders gefährlichen Primärkühlkreislauf auf das nächste Frühjahr verschoben.
Angesichts der Hitzewelle wurden die Umweltvorschriften für die Einleitung von Kühlwasser in längst zu warme Gewässer weiter "vorübergehend" gelockert, um den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu ermöglichen. Nach der großen Hitzewelle 2003 waren die Vorschriften zur Einleitung von aufgeheiztem Wasser nach der Reaktorkühlung in die Gewässer ohnehin schon einmal verwässert worden.
Trotz allem mussten in den vergangenen Jahren immer wieder Kraftwerke abgeschaltet werden, weil Flüsse wie der Rhein zu stark aufgeheizt worden waren. 2019 gingen zehn Prozent der noch deutlich höheren Leistung im Juli wegen Kühlproblemen vom Netz.
Nun wird immer mehr Kraftwerken genehmigt, auch die bereits angehobenen Grenzwerte zu überschreiten, um die AKW nur herunterregeln, aber nicht abschalten zu müssen.
Sie sollen auf einem "minimalen Leistungsniveau" weiterarbeiten", wie aus einem im Gesetzesblatt veröffentlichten Erlass hervorgeht. Die Reaktoren in Bugey können jetzt weiter Kühlwasser entnehmen und aufgewärmt einleiten, solange die Erwärmung nach der Vermischung der Abwässer in der Rhone "im Tagesmittelwert 3° C nicht überschreitet", heißt es in dem Erlass.
Die Atomaufsicht (ASN) hatte diese Ausnahmegenehmigung bereits für einen Zeitraum bis zum 8. August für die Kraftwerke Golfech (Tarn-et-Garonne), Blayais (Gironde) und Saint-Alban (Isère) beantragt.
Diese Ausnahmen werden genehmigt, "wenn es für das reibungslose Funktionieren des Stromnetzes notwendig ist", unterstreicht die Pleite-EDF. Die Vorgänge zielten darauf ab, "die Aufrechterhaltung eines Mindestleistungsniveaus" der Kraftwerke zu ermöglichen, um die "Sicherheit des Stromnetzes zu gewährleisten", gibt der Stromversorger zu.
Das ist natürlich bestenfalls die halbe Wahrheit.
Der begrenzte Horizont: Die andere Seite
Der andere Teil ist, dass man lieber die Flora und Fauna in den Flüssen zerstört - ein massives Fischsterben dürfte alsbald das offensichtlichste Zeichen dafür sein? -, um die Verluste für die EDF in Grenzen zu halten. Die EDF-Schulden dürften aber ohnehin im laufenden Jahr schon auf mehr als 60 Milliarden Euro explodieren.
Denn die Strompreise sind von der Regierung gedeckelt, obwohl der Strom extrem teuer auf den internationalen Märkten gekauft werden muss. Dass es im Sommer, wo auch aus Deutschland sehr viel Solarstrom nach Frankreich fließen kann, zum Blackout kommt, ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.
Genau deshalb bleiben Reaktoren am Netz. In Bugey bleiben, da ohnehin nur zwei Meiler noch laufen, von theoretisch fast vier Gigawatt Leistung aber nicht einmal ein Gigawatt übrig.
So erinnert ntv daran, dass Frankreich noch kürzlich davon fabulierte hatte, unabhängig von russischem Gas dank seiner Atomkraftwerke zu sein. Die Energiewende werde dank der Atomkraft gelingen, schwadroniere die Premierministerin Elisabeth Borne vor den Abgeordneten im Parlament und bemühte dabei erneut das Märchen, dass Atomkraft CO2-neutral sei und dazu "souverän und wettbewerbsfähig". Dass auch das Uran für Frankreich zu einem Teil aus Russland kommt, dazu schweigt man in Paris lieber.
ntv weist darauf hin, dass in Deutschland bei dem Sonnenwetter derzeit "allein mit Solaranlagen in Deutschland zeitweise mehr als alle französischen Atomkraftwerke zusammen" an Strom erzeugt wird. "Diese Woche kamen sie auf tägliche Höchstwerte von mehr als 30 Gigawatt, während die Leistung der Atomkraftwerke in Frankreich nicht über 28 Gigawatt kletterte" - und nun weiter in die Knie geht.
Nicht auszurechnen, was im Sonnenland Frankreich möglich wäre, wenn man dort die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht verschlafen hätte und weiter verschlafen würde. Dort verbrennt man lieber Milliarden um Milliarden in Atomkraftwerken, die möglicherweise niemals Strom liefern werden, statt PV- und Windanlagen zu bauen, die schnell die Stromlücke billig füllen könnten.
Dass dahinter vor allem militärische Interessen stehen, sollte allen klar sein und das räumt auch Präsident Macron ein. Deshalb auch die Taxonomie-Zustimmung, da Frankreich nach dem Brexit die einzig verbliebene Atommacht der EU ist.
Folgen und Risiken für Deutschland
Und wer glaubt, dass alles betreffe Deutschland nicht, der oder die irrt sich gewaltig. Erstens gehen wir enorme Risiken durch Atommeiler nahe der Grenze ein, die nicht auf Korrosion überprüft werden, da man weitere Abschaltungen nicht riskieren will. Dass es Frankreich nicht um Sicherheit geht, man alle Grenzwerte über den Haufen wirft, nur um nicht zuzugeben, dass man auf das falsche Pferd gesetzt hat, zeigt die erneute Anhebung der Grenzwerte für die Einleitung von Kühlwasser.
Zweitens treibt der enorme Strombedarf des Nachbarn auch die Preise in Deutschland hoch. Es ist erstaunlich, dass niemand bisher darüber spricht, dass seit Monaten in halb Europa auch Gas und Kohle verbrannt werden, um das französische Netz zu stabilisieren. Unwahrscheinlich ist, dass das im Winter gelingt, wenn die Solarstromproduktion auch bei uns zurückgeht.
So meint aber auch nun die bürgerlich-konservative FAZ, dass nun auch mit weiter steigenden Strompreisen in Deutschland zu rechnen ist und das "mitten in der schlimmsten Energiekrise seit Jahrzehnten". Denn die Hitze sorgt nicht nur dafür, dass Atomkraftwerke runtergeregelt werden müssen, die eigentlich abgeschaltet gehören.
Auch der "Bedarf nach Klimatisierung von vielen Millionen Wohnungen, Büros und Fabriken" wird größer. "Das wiederum treibt den Strombedarf in die Höhe und birgt die "Gefahr einer weiteren Belastung des Systems", resümiert die Zeitung.
Das Hoch der Strompreise
Da derzeit aber nur wenig Wind wehe, braue sich eine den Strompreis treibende Gemengelage zusammen:
"Die Hitze, der Windmangel und die geringe Erzeugung von Kernenergie in Frankreich lassen die ohnehin schon hohen Preise weiter steigen."
Der französische Strom sei am Dienstag auf einen neuen Höchststand seit dem 3. April geklettert. Die Temperaturen sollen nahe an die Grenze von 40 Grad steigen, im Nachbarland Spanien sogar deutlich darüber. Der Strombedarf nimmt in der Hitzewelle in ganz Europa zu, das Angebot nimmt derweil ab.
Das wird die Strompreise für alle in Europa weiter in die Höhe treiben und damit auch die Inflation. Das alles hat mit dem Ukraine-Krieg praktisch nichts zu tun, die Probleme sind hausgemacht und strukturell, obwohl der Krieg gerne allseits, vor allem von der Europäischen Zentralbank (EZB), als Ausrede bemüht wird, um von der inzwischen völlig absurden Geldpolitik abzulenken.
Denn in der EZB, geführt von der Französin Christine Lagarde, hat man sich dabei, wie in Frankreich mit der Atompolitik, tief in eine Sackgasse manövriert. Die dürfte nun auch zur Wiederkehr der Euro-Krise führen.