Frau mit Kopftuch als Mehrfach-Diskriminierte

Seite 2: Wie identifiziert man Islamfeindlichkeit?

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Die Schlüsselbegriffe, überwiegend der Rechtsradikalismus-Forschung entliehen, sind sicherlich im jeweiligen Einzelfall konkretisierungsbedürftig. Homophobie, Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen oder Islam- und Muslimfeindlichkeit sind selbstverständlich unerwünscht. Nur: Welche Einstellungen und Handlungen belegen diese Feindlichkeit ganz konkret?

Zum Teil, behauptet der NAP gar, "erfolgt Islam- und Muslimfeindlichkeit über eine Umwegkommunikation der sogenannten 'Islamkritik', die häufig mit dem Eintreten für Meinungsfreiheit ... legitimiert wird". Es gibt nach dieser Lesart also echte und unechte Kritik.

Generell stößt der Leser im NAP auf viel Rechtspopulismus/-radikalismus, aber so gut wie keinen Linksradikalismus. Dementsprechend treten auch die bei linken Gruppierungen bekanntermaßen als Exekutivorgane des Staates nicht immer wertgeschätzten Sicherheitskräfte mehr im Kontext der "Unzulässigkeit des 'Racial Profiling'" und als energischer Akteur im Kampf gegen politisch, religiös motivierte und extremistische Gewalt auf.

Klare Täter- und Opfer-Einteilung

Der NAP nimmt - seiner Intention entsprechend - tendenziell eine klare Täter- und Opfer-Einteilung vor: "...zeigen zahlreiche Studien, dass es in der Bevölkerung Skepsis bis hin zu offener Ablehnung gegenüber Musliminnen und Muslimen gibt ... Schwarze Menschen sind als sichtbare Minderheit besonders gefährdet, Rassismus ausgesetzt zu sein ... LSBTIQ*-feindliche Straf- und Gewalttaten, Übergriffe und Anfeindungen, Diskriminierungen und Benachteiligungen gehören zur Wirklichkeit in Deutschland."

Opfer von Vorurteilen und Diskriminierungen sind die im Zentrum stehenden Minderheiten mit teilweise mehrfach diskriminierenden Merkmalen, so die "Frau, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt". Ihr eigenes potenzielles (Fehl-)Verhalten, etwa mangelnde Integrationsfähigkeit oder mangelndes Interesse an Integration, bleiben im Hintergrund. Die vorurteilsbeladenen Täter sind offenkundig die nicht näher spezifizierten Mitglieder der einheimischen Mehrheits-Bevölkerung.

Die Zweiteilung scheint einfach - denn die schnöden Niederungen des Alltags der bundesdeutschen Einwanderungsgesellschaft mit ihren strittigen Fragen (Kriminalität von Zuwanderern, Gefahr von Parallelgesellschaften, mangelndes Bildungsniveau von Zuwanderern, Diskussionen über die Grenzen der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit, mögliche Grenzen der Aufnahmefähigkeit eines Aufnahmelandes, usw. usf.) sind hier nun mal nicht das Thema. Dass "Angehörige der von rassistischer Diskriminierung betroffenen Gruppen (immer noch) beim Zugang zu Beschäftigung und innerhalb des Beschäftigungssystems benachteiligt" sind und geringere Beschäftigungsquoten aufweisen als der Bevölkerungsdurchschnitt, wie im NAP kritisiert wird, dürfte allerdings vielfältige Gründe haben (nicht nur Rassismus).

Unstrittig ist für die NAP-Autor/innen offenkundig, dass ein Großteil der bundesdeutschen und europäischen Bevölkerung komplett intolerant ist. "Rund ein Viertel bis ein Drittel" aller Befragten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, heißt es wortwörtlich im NAP, "lassen menschenfeindliche Einstellungen erkennen ... Diesen Befund kann keine offene, freiheitliche Demokratie unwidersprochen hinnehmen."

Der Befund stammt offenbar unter anderem aus dem European Social Survey (ESS). Er hat in einzelnen Staaten nach der Beliebtheit verschiedener Zuwanderergruppen gefragt, wobei Menschen der gleichen ethnisch-kulturellen Herkunft als Mitbürger über längere Zeit eher willkommen waren als Menschen anderer ethnisch-kultureller Herkunft. Der ESS hat zudem die Akzeptanz der Statements, Zuwanderer machten "das eigene Land zu einem schlechteren Ort zum Leben", beeinflussten die "heimische Wirtschaft negativ" und "die eigene Kultur negativ" erhoben. Zustimmung hierzu signalisiert eine skeptische Haltung zur Migration, ohne Frage, aber handelt es sich eindimensional um "fremdenfeindliche Einstellungen"?

Auch bei den in Anlage 3 zitierten Befunden der so genannten Mitte-Studien muss genauer hingesehen werden, welche Erhebungsmethoden konkret als Beleg einer Abwertung der Minderheiten angewendet wurden, ohne dass damit die Existenz von Fremdenfeindlichkeit in Teilgruppen der Bevölkerung grundsätzlich bestritten werden soll.