Frei, aber nicht unabhängig

Nach über zwei Jahrzehnten Krieg ist der Südsudan souverän. Die Ressourcen des jungen Staates aber wecken Begehrlichkeiten, wirkliche Hilfe bleibt bislang aus

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Bei den Feierlichkeiten zur Gründung der Republik Südsudan überwogen pathetische Gesten. Vor zehntausenden Zuschauern und vor internationalen Vertretern senkte der aus dem Norden angereiste Präsident Sudans, Omar al-Bashir, die Flagge seines Landes. Die Teilung des einst größten Staates Afrikas sei schmerzhaft, so Bashir. Sie sei aber ein "angemessener Preis" für den Frieden. Ob die staatliche Trennung tatsächlich aber ein Ende der Konflikte bedeutet, ist äußerst fraglich. Unmittelbar nach den Feierlichkeiten in Juba, der neuen Hauptstadt des Südsudans, brachen die schwelenden Konflikte wieder auf, vor allem um die Grenzregion Abyei. Parallel dazu leidet der 193. Mitgliedsstaat der Organisation der Vereinten Nationen unter schweren sozialen Problemen. Die UN-Blauhelmmission UNMISS, an der sich auch Deutschland beteiligt, wird diese nicht lösen können.

Trotz aller Euphorie sind die Ausgangsvoraussetzungen für Südsudan nicht die besten: Ein schwacher und mit Problemen überlasteter Staat muss sich gegen massive Begehrlichkeiten wehren. Immerhin befinden sich im Süden rund 75 Prozent der 6,3 Milliarden Barrel bislang nachgewiesener Erdölreserven.

Dieser Reichtum sorgt nicht nur für Konflikte mit der Republik Sudan im Norden. Er zieht auch ausländische Akteure an, die sich den Zugriff auf die Ressource sichern wollen. Zumal in Südsudan neben Erdöl auch Eisenerze, Kupfer, Silber und Gold zu finden sind. Vor diesem Hintergrund ist die UN-Militarisierung des jungen und fragilen Staates ambivalent: Auf der einen Seite hat die Regierung in Juba um internationalen Schutz gebeten. Andererseits kann die internationale Truppenpräsenz neue Abhängigkeiten und Drucksituationen schaffen, während die drängenden sozialen Probleme nicht gelöst werden.

Infrastruktur muss neu geschaffen werden

Auch die mediale Aufmerksamkeit richtet sich in erster Linie auf die laufenden und potentiellen militärischen Konflikte. Die an Erdöl reiche Grenzregion Abyei wird von beiden Staaten beansprucht. Ein Referendum der Bewohner konnte bislang nicht anberaumt werden, weil man sich nicht auf die Verfahrensfragen einigen konnte. Auch andere Abschnitte der neuen Grenze sind zwischen Khartum und Juba umstritten. In den vergangenen Wochen und Monaten sind immer wieder Kämpfe aufgeflammt, vor denen zehntausende Menschen fliehen mussten.

Angesichts der Spannungen ist fraglich, ob Vereinbarungen über die Aufteilung der Erdöleinnahmen mittelfristig Bestand haben werden. Im Verlauf der Friedensverhandlungen hatten sich beide Bürgerkriegsparteien 2005 darauf geeinigt, dass die Einnahmen aus dem Geschäft zur Hälfte geteilt werden. Solange die beiden sudanesischen Republiken von diesen Exporteinnahmen abhängen, sind weitere Verteilungskämpfe wahrscheinlich.

Karte: CIA

Entwicklungs- und Hilfsorganisationen verweisen indes auf die massiven sozialen Probleme nach einem rund zwei Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg, der vor allem den strukturschwachen Süden in Mitleidenschaft gezogen hat. Die internationale Hilfsorganisation Oxfam rief die UN-Mitgliedsstaaten inzwischen dazu auf, ihr neues Mitglied zu unterstützen. Zusätzlich zu dem allgemeinen Mangel muss die Regierung hunderttausende Flüchtlinge versorgen, die nun in den Süden zurückkehren.

Um mit den Aufgaben fertig zu werden, kündigte Vizepräsident Riel Machar Teny Ende Juni an, in den kommenden fünf Jahren umgerechnet 500 Milliarden US-Dollar für den Aufbau der Infrastruktur zu mobilisieren. Im Land selbst sind derzeit kaum Mittel zur Verfügung: Der Jahreshaushalt beläuft sich auf umgerechnet rund 1,5 Milliarden US-Dollar, von denen 98 Prozent aus der Ölrente stammen. Um eine nachhaltige Entwicklung abzusichern, sind nicht nur Fachkräfte erforderlich – es muss auch eine Wirtschafts- und Verkehrsinfrastruktur von Grund auf neu errichtet werden.

Omar Hassan Ahmad Al-Bashir, der Präsident von Sudan, für den der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl ausgestellt hat, beglückwünscht den Präsidenten der neuen Republik Südsudan, Salva Kiir Mayardit. Bild: UN Photo/Isaac Billy

Was kann die UN-Mission ausrichten?

Was aber können ausländische Truppen in dieser Situation bewirken? Nach dem Friedensabkommen in Sudan 2005 hatte die Weltorganisation bis zu 10.000 Soldaten in das afrikanische Land entsendet. Das Mandat ist mit der Unabhängigkeit des Südens in diesem Monat beendet worden. Die bisherige UN-Mission für Sudan (UNMIS) geht damit in die neue UN-Mission für Südsudan (UNMISS) über. Tatsächlich aber haben die UN-Blauhelme die Konflikte in den vergangenen Monaten und Jahren nicht verhindern können. Die Frage, wie eine kleinere Folgemission die schwelenden Konflikte unter Kontrolle halten kann, beantwortet niemand der Beteiligten.

Auch in Berlin sorgte diese Frage für Kontroversen. Die Bundesregierung entschied bereits am 6. Juli über die Beteiligung an einer möglichen Sudan-Mission, zwei Tage, bevor der UN-Sicherheitsrat über das Thema beraten sollte. Die Abgeordneten in den beteiligten Fachausschüssen des Bundestages erhielten einen entsprechenden Resolutionsentwurf erst kurz vor Beginn der Sitzungen.

Bei der Bundestagdebatte am frühen Nachmittag des gleichen Tages blieben viele Fragen offen, kritisierte der Abgeordnete der Linkspartei, Jan van Aken. So sei unklar, wie viele Soldaten sich an dem Einsatz beteiligen und auf welche Teile der Konfliktregionen sich der Einsatz erstreckt. Van Aken verwies zudem darauf, dass die UN selbst Teile der südsudanesischen Armee für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich macht, jener Armee also, an deren Seite die UN-Truppen nun für eine Befriedung sorgen sollen.

Die Aussprache im Bundestag zeigte vor allem, wie leichtfertig über eine weitere Militarisierung der Region entscheiden wird, ohne die tatsächlichen Entwicklungsprobleme zu berühren. In der politischen Rhetorik ähnelte die Argumentation vergangenen Debatten über Auslandseinsätze. So führte der Unionsabgeordnete Philipp Mißfelder "verängstigte Kinder und Frauen, die sich in einer Höhle in den Nubabergen verstecken" an, um die Entsendung deutscher Soldaten zu begründen. Das Problem: Die Nubaberge liegen nördlich der Grenze in der Republik Sudan, außerhalb des Einsatzgebietes. Nach Sachstand bei Beschlusslage wird kein deutscher Blauhelm-Soldat je in dieser Konfliktregion helfen können.

Hoffnung in die "Cuban-Jubans"

Weitgehend außer Acht gelassen wird nicht nur in Deutschland die Frage nach Aufbauhilfen für die sudanesischen Gebiete, etwa durch vereinfachte Importregelungen oder Technologietransfer, der bei der Schaffung einer eigenen, funktionierenden Wirtschaft helfen würde. So mischten sich unter die Meldungen über die Gründung des neuen Staates immer wieder Warnungen über wachsende soziale und humanitäre Probleme. In Berlin plädierte der Vorstandsvorsitzende der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, Tankred Stöbe, für eine Unterstützung des Südsudans, wo, so Stöbe, drei Viertel der Bevölkerung keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hat.

Dass es auch anders geht, stellt ausgerechnet das kleine Kuba unter Beweis. Die Karibiknation hat seit den 1980er Jahren Hunderte junge Sudanesen ausgebildet. Die britische BBC gibt die Anzahl der in Kuba graduierten Mediziner und Ingenieure mit gut 600 an. Rund einhundert der "Cuban-Jubans" prägen nun in der Hauptstadt Südsudans einen großen Teil der intellektuellen und technischen Elite, die beim Aufbau des Landes helfen kann. Lucy Fleming, Korrespondentin der BBC, interviewte einen der ehemaligen Stipendiaten, Okony Simon Mori: "Wir wohnten in einem Internat auf einer kleinen Insel, der Isla de la Juventud. Dort waren rund 25.000 Studierende aus verschiedenen Ländern, die meisten aus Afrika und Lateinamerika", so Okony, der sich gerne an die Zeit in Kuba erinnert.

Der Kinderarzt ist nach dem Krieg nach Südsudan zurückgekehrt, um das Lehrkrankenhaus der neuen Hauptstadt aufzubauen. Auf dem neuen Posten kämpft er heute nicht nur mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen, sondern auch mit den Folgen der westlichen Entwicklungshilfe. Im Krankenhaus würden 60 Ärzte gebraucht, sagte er der BBC, aber nur 18 hätten sich zum Dienst bereit erklärt. Der Grund: Die ausländischen Hilfsorganisationen zahlen bessere Gehälter.