Freie Bücher
Creative Commons-Lizenzen in der Praxis
Vor wenigen Tagen sind erstmals zwei Telepolis-Bücher unter Creative Commons-Lizenzen veröffentlicht worden (Telepolis-Bücher zum kostenlosen Herunterladen). In den Telepolis- und heise newsticker-Foren hat dies bereits für angeregte Diskussionen gesorgt. Ein guter Grund, sich mal selbst als Autor eines dieser Bücher zu Wort zu melden.
"Hier sind Leute mit kommunistischer missionarischer Einstellung am Werk die (wieder einmal) in ideologischer Verblendung offen Enteignung propagieren", bemerkte ein Leser des heise-Newstickers, als er von den Buch-Downloads erfuhr - was das Industrial Technology and Witchcraft-Weblog zur grandiosen Überschrift Kommunistische Missionare verschenken Bücher verleitete. Tja, so kann's gehen. Da entscheidet sich ein Verlag gemeinsam mit seinen Autoren zu einem kleinen E-Book-Experiment, und schon verschlägt es einen an die Speerspitze der weltrevolutionären Bewegung.
Dabei war die Veröffentlichung der beiden PDFs durchaus auch monetär motiviert. Autoren wie Verlage wollen zuallererst einmal, dass ihre Werke gekauft werden. Ähnliche Versuche in den USA haben in den letzten Monaten gezeigt, dass sich Bücher mit freier Online-Ausgabe oft deutlich besser verkaufen. So konnte der kanadische Science Fiction-Autor Cory Doctorow mehr als 10 000 Exemplare seines Erstlings "Down and out in the magic kingdom" verkaufen, nachdem er es als Creative Commons-lizenziertes PDF ins Netz gestellt hatte (Aus dem Leben der Stämme). Die durchschnittlichen Verkaufszahlen für Newcomer in diesem Genre liegen in den USA bei 3.000-5.000 Exemplaren. Lawrence Lessig berichtet, der Verkauf seines ebenfalls kostenlos im Netz erhältlichen Buchs Free culture sei viel besser als bei seinen vorher nur in Papierform veröffentlichten Werke.
Mit freien PDFs gegen Oliver Kahn
Für derartige Erfolge gibt es viele gute Gründe. Zum einen haben Autoren wie Verlage mit einem immer gleichförmigeren Einzelhandel zu kämpfen. Große Buchketten bieten Paletten von Bestsellern an, reduzieren aber gleichzeitig die Handelsfläche für Fachbücher und Belletristik mit geringerer Auflage. Der kleine Buchladen um die Ecke muss in vielen Fällen mitziehen, um überleben zu können. Die Folge: Harry Potter, Oliver Kahn, Hillary und Bill Clinton überall. Dazu Kochbücher, Lebensberater und Esoterik. Wer in solch einer Welt als Autor noch gelesen werden will, muss sich etwas einfallen lassen. Zwar dienen sich Amazon & Co. als Alternative an - doch das risikolose Durchblättern eines Werks, das Hier-und-Dort-Mal-Reinlesen ist in Online-Shops nicht möglich.
Wohl aber mit einem PDF, das kostenlos aus dem Netz geladen werden kann. In digitaler Form kann das Buch direkt von Leser zu Leser weitergegeben werden - eine wandernde Kaufempfehlung sozusagen. Bisher scheint es zudem noch so zu sein, dass die meisten Menschen ein gedrucktes Buch der digitalen Ausgabe vorziehen. Zwar lesen wir alle Tag für Tag oftmals mehrere Stunden Texte am Bildschirm - doch für ein längeres Werk wollen wir uns aufs Sofa verziehen und Papier wälzen. Bisher, wohlgemerkt. Möglicherweise ändert sich dies in den nächsten Jahren. Vielleicht werden wir neue Ausgabegeräte nutzen. Vielleicht gewöhnen wir uns auch einfach komplett an den LCD-Bildschirm und werfen all unsere sentimentale Papier-Streichel-Romantik über Bord. Die Lizenzierung der beiden Telepolis-Bücher ist nicht zuletzt ein Experiment, um die Grenzen und Möglichkeiten solcher Promotion-Aspekte herauszufinden.
Freiheit und Freibier
Geholfen hat dabei die Veröffentlichung der deutschen Creative Commons-Lizenzen Anfang Juni (Creative Commons Launch in Deutschland). Creative Commons schafft durch verbindliche rechtliche Lizenzen ein Rahmenwerk, auf das sich Autoren und Verleger einigen können. In den heise-Foren wurde die konkret gewählte Lizenz jedoch teilweise heftigst kritisiert. Sie entspreche nicht dem Geist der freien Software-Lizenzen, hieß es dort. Nun ist von der Freiheit bis zum Freier so manches frei und freier in der deutschen Sprache. Im englischen Sprachraum gibt es ähnliche Bedeutungs-Überlappungen, weshalb dort Richard Stallman von der Free Software Foundation die Redewendung "Free as in speech, not in beer" eingeführt hat. Freibier und freie Meinungsäußerung mag es eben beide umsonst geben, doch als Grundrecht lässt sich nur eins von beiden ernsthaft einfordern.
Übertragen auf Software und andere unter freien Lizenzen im Netz veröffentlichte Inhalte bedeutet dies: Freie Software räumt dem Nutzer bestimmte, von der jeweiligen Lizenz abhängige Rechte ein. Kostenlose Software garantiert dagegen nicht mehr Freiheiten als kommerziell verbreitete Software. Nur ist sie eben günstiger. Die beiden jetzt als PDFs angebotenen Telepolis-Bücher erlauben - wie auch die meiste freie Software - beides. Erweiterte Nutzungsrechte und kostenlose Downloads. Freiheit und Bier sozusagen. Konkret erlaubt die gewählte Creative Commons-Lizenz, die elektronischen Buchausgaben in einem nicht-kommerziellen Kontext weiter zu verbreiten. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Freie Kopien für offene Archive
Das Recht zur freien Verbreitung sollte allerdings nicht unterschätzt werden. Natürlich konnte ein Autor schon vor Creative Commons seine Werke kostenlos ins Netz stellen. Doch die jetzt in deutscher Sprache vorliegenden Lizenzen nehmen Urheber auch gegenüber ihrem Publikum in die Pflicht. Wer ohne derartige Lizenzen ein PDF im Netz zum Download anbietet, kann dieses jederzeit wieder entfernen. Er könnte sogar andere Webhoster dazu zwingen, die Datei aus ihrem Angebot zu nehmen - schließlich ist er ja der Urheber.
Creative Commons schiebt solchen Praktiken einen Riegel vor. Wenn sich morgen einer von uns Autoren oder der Verlag überlegen sollte, die betreffenden Bücher nicht mehr im Netz haben zu wollen, könnten wir die von uns gehosteten PDFs entfernen. Mehr nicht. Die Lizenzen der bereits verbreiteten Dateien würden weiter ihre Gültigkeit behalten. Die Dateien dürften damit auch weiter über nicht-kommerzielle Webseiten, Tauschbörsen und dergleichen mehr angeboten werden. Dies schafft für Nutzer Rechtssicherheit und bereichert die Gesellschaft um Kulturgüter, die ihr nicht mehr weggenommen werden können.
Gerade im digitalen Raum machen solche Lizenzierungen Sinn. Aus dem klassischen Buchmarkt kennen wir ähnliche Regelungen, die dort sogar Eingang in die Urheberrechte gefunden haben. Sobald ein Druckwerk auf dem deutschen Markt erscheint, darf es von einer öffentlichen Bibliothek erworben und zur kostenfreien Ausleihe angeboten werden. Kein Autor und kein Verlag kann eine Bibliothek daran hindern - selbst, wenn ihnen ihre Werke eines Tages nicht mehr genehm sind. Im Netz ist eine derartige offene Verfügbarkeit von Wissen zunehmend durch Digital Rights Management sowie passwortgeschützte Archive und Datenbanken beschränkt. Creative Commons-Lizenzierungen helfen dabei, diesen offenen Zugang wieder herzustellen. Nicht umsonst finden sich die beiden Bücher auch beim Internet Archive, der weltgrößten digitalen Medien-Bibliothek.
Braucht man jedoch solche digitalen Archive überhaupt, wenn die Papierausgaben sich eh irgendwann in Stadtbüchereien und Unibibliotheken finden werden? Digitalisierte Bücher erlauben viel weitreichendere Zugriffsmöglichkeiten als die Leihbücherei um die Ecke. Und das nicht nur, weil dort das betreffende Buch vielleicht grad ausgeliehen ist. Digitale Bücher lassen sich durchsuchen und indizieren. Sobald ein PDF im Netz steht, wird es von Google und anderen Suchmaschinen erfasst und damit Teil eines weltweit durchsuchbaren Wissenspools. Der eingangs bereits angeführte Cory Doctorow hat einmal gesagt, dass Besitzer der Papierausgabe eines Buchs bald das Gefühl haben werden, nur die Hälfte eines Buchs ihr eigen zu nennen. Creative Commons-lizenzierte Bücher sind ein guter Weg, den Lesern Zugriff auf die zweite Hälfte zu geben.
Janko Röttgers ist Autor des Telepolis-Buchs Mix, Burn & R.I.P. - Das Ende der Musikindustrie (Download). Armin Medoschs Telepolis-Buch Freie Netze - Geschichte, Politik und Kultur offener WLAN-Netze gibt es ebenfalls kostenlos als PDF.