Fridays for Future: Perspektiven in Zeiten der Pandemie

Seite 3: Wie kann F4F die Corona-Zeiten als Bewegung überstehen?

Zunächst muss F4F erst einmal die durch die Corona-Pandemie auferlegten Beschränkungen als Bewegung überleben. Die zentrale Aktionsform zivilgesellschaftlichen Ungehorsams von F4F - der Schulstreik - lässt sich in Corona-Zeiten kaum realisieren. Zum einen sind die Schulen ohnehin über größere Zeiträume geschlossen und zum anderen verhindern die staatlich auferlegten Versammlungsverbote eine Massenmobilisierung in Form von Demonstrationen und Kundgebungen. Es kommt erschwerend hinzu, dass das Thema Corona die Klimathematik vom ersten Platz des öffentlichen Diskurses - zumindest vorübergehend - verdrängt hat.

Dennoch lassen sich viele Ziele auch unter den Beschränkungen der Corona-Krise umsetzen. Vieles wird über Medien, insbesondere über die digitale Kommunikation oder über hybride Veranstaltungsformate erfolgen müssen. Gerade die zunehmende Digitalisierung bereitet hier die Voraussetzungen zu einem Überleben der F4F-Bewegung und der Aufrechterhaltung der klimapolitischen Auseinandersetzung.

Erster globaler Fridays for Future-Aktionstag seit der Covid-19-Pandemie (München 25. Februar 2020). Bild: Henning Schlottmann / CC-BY-SA-4.0

Auch kreative Formen, wie 2020 die Aktion aus der Kombination von Tausenden Plakaten und Reden von Aktivisten*innen mit digitaler Übertragung vor dem Berliner Reichstag oder Menschenketten mit Schildern und Abstand, um klimapolitisch relevante Orte, wie Kraftwerke, mit systemisch bedeutenden Orten, wie z.B. Parlamentsgebäuden, zu verbinden, könnten weiterentwickelt werden. Auch dürfte es in den Jahren 2021/22 auch immer wieder weitgehend Corona-freie Zeiten ohne größere Beschränkungen geben, wo dann wieder die bekannten Protestformen in Präsenz – bei Beachtung von Pandemie bedingten Regeln – möglich werden.

Des Weiteren könnte F4F in der Pandemie auch deutlich machen - und unternimmt dies z.T. bereits - dass staatliche Unterstützungen zur Abfederung der wirtschaftlichen Probleme zukunftsorientierter ausfallen müssten und Ressourcen schonende und umweltfreundliche Industrien und Dienstleistungsbereiche stärker zu fördern sind. Lufthansa hat 9 Milliarden Euro bekommen. Mit wie viel Euro wurden in Relation hierzu die Arbeitsplätze in der Windkraftbranche in Corona-Zeiten unterstützt? Wie viel Geld wurde in eine intensivierte Ausbildung von Pflegekräften investiert?

Des Weiteren kann die Pandemie für digitale Beratungen über die Zukunftsziele und -strategien von F4F genutzt werden: Welche Rolle sollen in Zukunft Schulstreiks in welchem Ausmaß einnehmen? Stimmen die Organisationsstrukturen noch oder sind sie eher hemmend? Wie lässt sich eine stärkere internationale Vernetzung erreichen? Wie gehen wir mit der Forderung "System Change not Climate Change" um?

Ziele für F4F in den Jahren 2021/22

Wenn F4F den Fokus auf der Klimakrise beibehält und erste Schritte in Richtung auf eine sozialökologische Transformation orientiert an der Theorie der nachhaltigen Entwicklung vornimmt, könnten folgende konkrete Ziele und Inhalte für 2021/22, unter Beachtung der offen gelegten Auswahlkriterien, diskutiert werden:

1. Die Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen in 2021/ 22 für das sozialökologische Anliegen nutzen;

  • Das Thema Klimakrise in die Wahlprogramme der demokratischen Parteien hineintragen;
  • Hierzu lokale, regionale und bundesweite Kontaktaufnahme mit den Vertretern/innen der demokratischen Parteien und Diskussionen und unterschiedliche Veranstaltungsformate mit ihnen durchführen;
  • Vergleichende Analyse der Parteiprogramme hinsichtlich der Klimakrise und Veröffentlichung von Expertisen aus der Sicht von F4F;
  • Thematisierung der ökologischen Wahlprogramminhalte bei Klimastreiks, eigenen Kundgebungen, digitalen Blogs und Informationsständen.

2. Sich zu weiteren gesellschaftlichen Bewegungen und Initiativen öffnen, um mit vereinten Kräften systemische Wirkungen in Bezug auf den sozialökologischen Wandel zu erzielen. Einerseits Aufforderung an andere Bewegungen, z.B. an Klimastreikaktionen teilzunehmen, aber auch selbst zumindest zum Teil an deren Aktionen teilnehmen. Ein wichtiger Vorteil wäre hierbei - neben einer weiteren gedanklichen Öffnung für die systemische Perspektive - die Kontaktaufnahme zu Aktivisten und Aktivistinnen anderer Generationen und der intergenerationelle Austausch von Wissen und Erfahrungen. Beispiele für eine Initiativen übergreifende Zusammenarbeit wären:

  • Den Kontakt und die Zusammenarbeit mit den Scientists4Future, Teachers4Future, Eltern4Future, Artists4Future usw. pflegen, um gemeinsame Perspektiven und Vorgehensweisen zu entwickeln. Es ist naheliegend, zuerst mit den eigenen Unterstützungsbewegungen intensiver zu kooperieren, z.B. im Rahmen der Durchführung einer gemeinsamen großen bundesweiten Strategie-Tagung, aber auch vor Ort im kommunalen Wirkungsfeld der Ortsgruppen. Etwas später ist auch an internationale Tagungen mit den angesprochenen Unterstützungsgruppen zu denken, da der Klimawandel kein nationalstaatliches Phänomen ist und auch international vernetzt - auch in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen - angegangen werden muss.
  • In solidarischer Nähe zur F4F-Bewegung und deren Unterstützungsinitiativen befinden sich, z.T. bereits damit vernetzt, weitere gesellschaftliche Bewegungen, an deren Veranstaltungen und Aktionen gegenseitig teilgenommen werden könnte, u.a.:
    • Teilnahme an den Ostermärschen der Friedensbewegung und dem Antikriegstag;
    • 1. Mai-Demos und Kundgebungen der Gewerkschaften;
    • Kundgebungen von Seebrücke und anderen Flüchtlingsorganisationen;
    • Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus;
    • Mitwirken in den digitalen Netzwerken und an Tagungen der verschiedenen Bewegungen sozialökologischer Transformation.

3. Als Voraussetzung für eine wirkungsvolle Vernetzung und für die notwendigen Protestformen eine Weiterentwicklung der Organisationsstruktur von Fridays for Future vornehmen:

  • Einerseits Beibehalten des basisdemokratischen Ansatzes und der großen Bedeutung der Arbeit der Ortsgruppen.
  • Andererseits Stärkung der bundesweiten und internationalen Koordination z.B. über ein demokratisch von allen Ortsgruppen gewähltes Organisationsteam auf Bundesebene; z.B. 32 Personen, je 2 Personen aus den 16 Bundesländern, für 2 Jahre gewählt. Dies erfolgt in Länderwahlen, in denen Wahlen der Ortsgruppen stattfinden. Dieses neu zu schaffende Gremium hätte kein Weisungsrecht. Die F4F-Ortsgruppen bleiben autonom im Sinne des basisdemokratischen Ansatzes. Aber es hätte die wichtigen Aufgaben der Kommunikation der Ergebnisse und die Koordination der Aktivitäten zwischen den verschiedenen Bundes-AGs, den Bundes-AGs und den Ortsgruppen sowie der Delegierten-Konferenzen vorzunehmen. Ein bundesweites Koordinationsteam ist notwendig, um Segmentierungseffekte zu vermeiden und für Institutionen außerhalb der Bewegung ein demokratisch gewähltes Gremium als Ansprechpartner anzubieten.

4. Konzeptionelle Weiterarbeit an einer sozialökologischen Vision gesellschaftlicher Entwicklung und systemischer Bedingungen hin zu einer gesellschaftlichen Neuordnung auf allen Ebenen gesellschaftlichen Lebens - von der lokalen bis zur globalen Ebene. Dies sollte im Wechsel einer Diskussion mit anderen gesellschaftspolitischen Initiativen, Experten aus der Gesellschaft, u.a. Klima- und Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen, und nach außen abgeschirmten internen Diskursen von F4F erfolgen.

Fazit

Wenn die Bewegung Fridays for Future die Zeichen der Zeit erkennt, sich mit anderen gesellschaftlichen Bewegungen vernetzt, die Coronaphase mit veränderten und digital gestützten Aktivitätsformaten sowie strategischer und organisatorischer Weiterentwicklung produktiv nutzt, sich auch wirkungsvoll in die Wahlkampfprogrammatik der Parteien und in aktuelle und zukünftige Wahlen einschaltet, sich konzeptionell weiterentwickelt, wird die F4F-Bewegung nicht an Bedeutung verlieren. Im Gegenteil:

Angesichts der - auch nach der Pandemie - immer bedrohlicher erfahrbaren Klimakrise und ihrer gesellschaftlichen Verwerfungen wird unter den genannten Voraussetzungen dieser von der Jugend getragenen Bewegung eine historische Rolle zukommen, welche die gesellschaftliche Bedeutung der 68-er Bewegung noch übertreffen kann.11 Wie bereits eingangs gesagt: Dies ist meine eigene Einschätzung der Lage und der Perspektiven von F4F - eines Politikwissenschaftlers am Ende seines 7. Lebensjahrzehnts, der sich der Ehre bewusst ist, als Experte zu der bundesweiten Strategie-Tagung von F4F eingeladen worden zu sein, die für eine Neubestimmung von Strategien und Zielen gedacht war.

Dies ist also meine Perspektive aus der Sicht von fünf Jahrzehnten politischer Arbeit und politikwissenschaftlicher Gedankenführung. Dies zur Kenntnis zu nehmen mag sinnvoll sein, aber eine globale Jugendbewegung, wird wahrscheinlich noch viel entschiedener, ungeduldiger und konsequenter die vorhandenen Probleme anpacken wollen. Dies liegt im Wesen der Jugend angelegt und dürfte ihr Privileg - und in diesem Fall möglicherweise auch eine Chance für den Planeten - sein.

Zum Autor:
Prof. Dr. Klaus Moegling arbeitet am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel. Er engagiert sich in der Friedens- und Umweltbewegung sowie im Bildungsbereich. Sein Buch "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich" ist inzwischen in der 3., aktualisierten und erweiterten Auflage 2020 erschienen (Verlag Barbara Budrich).

Email: klaus.moegling(at)uni-kassel.de

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