Fridays for Future: Perspektiven in Zeiten der Pandemie
Seite 2: Veränderung von Strukturen – Möglichkeiten von Menschen
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- Veränderung von Strukturen – Möglichkeiten von Menschen
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Bewegungen, die einen sozialen Wandel anstreben, müssen sich mit oftmals machtvollen Strukturen auseinandersetzen, die diesen Wandel verhindern wollen. Dies gilt auch für eine klimapolitische Jugendbewegung wie Fridays for Future.
Eine Gesellschaft besteht aus funktional bestimmten Strukturen, in denen Herrschaft von Menschen über Menschen ausgeübt wird, welche durch Regeln bzw. Gesetze in ein bestimmtes Verhalten und Handeln im Interesse der gesellschaftlichen Funktionsbestimmung und der diese Strukturen Beherrschenden gezwungen werden sollen.
Aber Strukturen sind nicht fest zementiert, sondern lassen sich im Zuge des sozialen Wandels verändern. Strukturen sind keine Dinge, sondern bestehen aus regelgeleitetem Handeln von Menschen. Menschen können Regeln diskutieren, Regeln anders interpretieren, gemeinsam gegen Regeln protestieren, Widerstand hiergegen leisten und diese auch mit geeigneten Strategien verändern.7
Es kann also strukturelle Veränderungen über den Widerstand von Menschen geben, aber auch über Diskursverschiebungen innerhalb derjenigen sozialen Schichten, welche die Strukturen beherrschen. Dies steht dann oftmals in einer Wechselbeziehung zueinander.
Außerdem gibt es auch immer wieder fundamentale Interessenunterschiede innerhalb gesellschaftlicher Strukturen, die bei entsprechenden gesellschaftlichen Notwendigkeiten, z.B. wie die Bekämpfung der Klimakrise, zu Werteverschiebungen führen können. Dementsprechend stützen dann die vorherrschenden Strukturen und deren Repräsentanten nicht mehr z.B. die Fossilindustrie, sondern subventionieren dann diejenigen Industriezweige, die mit der Produktion von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien befasst sind.
Das übergeordnete Ziel von F4F, die Umkehrung des Klimawandels, darf nicht mit Revolutionen im Sinne des marxistischen Ansatzes durchgesetzt werden, die gewalttätig verlaufen und eine hohe Anzahl an Opfern fordern. Die russische Revolution forderte zahllose Todesopfer und die brutale Repression in der stalinistisch geprägten UDSSR bis Stalins Tod forderte ca. 20 Millionen Menschenleben. Die chinesische Revolution und die Ausschaltung der politischen Gegner sowie die Unterdrückung des chinesischen Volkes forderten bis zu Maos Tod laut Schätzungen bis zu 75 Millionen Menschenleben.8
Ein massiver Einsatz von Gewalt bei gesellschaftlichen Veränderungen führt in der Regel zu einer erneut gewalttätigen Gesellschaft und zur Errichtung repressiver Strukturen, um die gesellschaftlichen Gegenkräfte zu beherrschen.
Wenn man sich daher gegen den Einsatz von Gewalt aus ethischen, rechtsstaatlichen und politischen Gründen entscheidet, bedeutet dies für eine Klimaschutzbewegung wie F4F, dass das übergeordnete Ziel eine auf friedlichem Wege zu erzielende sozialökologische Transformation des jetzigen Gesellschaftssystems mit Hilfe einschneidender und zeitnaher Reformen sein müsste, um die rapide Erwärmung der Biosphäre aufzuhalten und das 1,5 Grad-Ziel zum Ende des Jahrhunderts noch zu erreichen.
Dies würde bedeuten, dass sich die angestrebte Transformation zwar friedlich aber mit Hilfe druckvoller Maßnahmen zivilgesellschaftlichen Protests, veränderten Wählerverhaltens, strategischer Kooperationspolitik und auch zivilen Ungehorsams vollziehen müsste, bis die politisch Herrschenden entweder abtreten, abgewählt werden oder selbst den systemischen Wandel einleiten, der für eine sozialökologische Transformation erforderlich ist.
Dies wird kein leichter Weg sein, sondern angesichts der unterschiedlichen Interessenlage ein sehr konflikthafter Prozess, der nach analytischem Durchblick und kritischer Urteilskraft, nach strategisch ausgerichteter Einsatzbereitschaft und Zivilcourage verlangt.
Dieser Prozess muss zuerst von den Menschen in denjenigen Staaten und Regionen ausgehen, in denen Verfassungen mit demokratischem Selbstanspruch vorhanden sind. Hier sind die Handlungsspielräume für sozialökologisches Engagement, intersektionale Zusammenarbeit und zivilen Ungehorsam einsehbar größer und das Handlungsrisiko für die beteiligten Akteure geringer als in Autokratien oder Diktaturen.
Das Ergebnis einer solchen sozialökologischen Transformation wird mit Sicherheit im Erfolgsfall kein neoliberalisierter Kapitalismus sondern eine solidarische, demokratische und ökologische Gesellschaft sein. Diese Gesellschaft kann man dann auch nicht mehr als eine kapitalistische Gesellschaft bezeichnen.
Die Neoliberalisierung der Gesellschaft hat zu Privatisierung, Steuererleichterungen für die Reichen, eine verstärkte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen sowie zu Deregulierung geführt. Doch das Stoppen des Klimawandels erfordert gerade staatliche Lenkung, internationale Absprachen und eine Kultur der Solidarität in einer sich weiterentwickelnden globalen Demokratie. Naomi Klein beschreibt in ihrem Buch "Die Entscheidung. Klima versus Kapitalismus" dieses Dilemma zutreffend. Die Neoliberalisierung des Kapitalismus war kontraproduktiv in Zeiten einer durch die ökologische Zerstörung und die heraufziehende Klimakrise notwendiger werdenden staatlichen und internationalen Regulierung.9 So wird hier sehr deutlich, dass eine an nachhaltiger Entwicklung orientierte Analyse kompatibel mit einer systemischen Kritik am ungebremsten Kapitalismus ist.
Wie kann F4F von erfolgreichen sozialen Bewegungen lernen?
Das Problem ist, dass die Klimakrise früher als der notwendige sozialökologische Wandel eintritt. Daher muss sich eine Bewegung wie F4F weiterentwickeln und auch von historisch erfolgreichen sozialen Bewegungen lernen, um eine größere Wirkung zu erzielen.
Hierzu sollen drei historische Beispiele kurz angesprochen werden:
- Die Widerstandsbewegung von kolonialer Herrschaft in Indien;
- Die südafrikanische Befreiungsbewegung aus der Apartheid;
- Die deutsche Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung.
Alle drei Bewegungen hatten großen Erfolg und trugen maßgeblich zum sozialen Wandel in ihrer Gesellschaft bei. Die Apartheid wurde in Südafrika beseitigt. Die Kolonialherrschaft wurde in Indien beendet. Zentrale sozialpolitische Forderungen wurden in Deutschland durchgesetzt. Diese Bewegungen hatten folgende Eigenschaften gemeinsam:
- Das Vorhandensein einer positiven Leitvorstellung gesellschaftlicher Entwicklung und klare hierauf fokussierte Forderungen;
- Die Existenz von Massenbewegungen und die Fähigkeit zur Massenmobilisierung;
- Das Funktionieren dezentraler, lokaler Gliederungen bei gleichzeitiger übergreifender Steuerung und Repräsentation;
- Weitgehend friedliche Aktionsformen, wirkungsvoller zivilgesellschaftlicher Druck durch konsequente Massenproteste und zivilen Ungehorsam, wie z.B. Demonstrationen, Kundgebungen und Streiks;
- Hervorragenden Persönlichkeiten mit hohem Bekanntheitsgrad und Ansehen, mit denen sich die Menschen identifizieren konnten (Mahatma Gandi, Nelson Mandela, u.a. August Bebel) und die auch die Bewegung nach außen vertraten.
An diesen fünf Erfolgskriterien könnte sich eine sozialökologische Bewegung wie F4F orientieren. Einen großen Teil dieser Kriterien erfüllt auch die F4F-Bewegung bereits jetzt, und dies ist auch ausschlaggebend für ihren bisherigen durchaus vorhandenen Erfolg der Diskursverschiebung hin zu klimapolitischen Themen sowie erster (noch unzureichender) Klimaschutzgesetze gewesen. Mit den in den Schulen sich treffenden und abstimmenden Schüler*innen und zunehmend auch in den Universitäten verankerten Studenten*innen besitzt F4F eine entsprechende, mobilisierbare Massenbasis der Bewegung.
Mit dem Klimastreik und weiteren zivilgesellschaftlichen Aktionen ist ein friedlicher Weg einer möglichst druckvollen Veränderung im Sinne zivilgesellschaftlichen Ungehorsams beschritten. Auch bekannte Persönlichkeiten mit den notwendigen Fähigkeiten sind vorhanden - international: z.B. Greta Thunberg, national: z.B. Luisa Neubauer. Auch ist mit der wissenschaftsbasierten Fokussierung auf das 1,5-Grad-Ziel eine eindeutige Zielsetzung vorhanden.10
Allerdings fehlt es an einer klaren Vision sozialökologischer Transformation, an einem bundesweiten bzw. auch einem internationalen, demokratisch gewählten Koordinationsgremium sowie auch dem neidlosen Akzeptieren von geachteten und fähigen Persönlichkeiten, die wiederum aber auch den Bezug zur Massenbasis der Bewegung nicht verlieren dürfen.
Kriterien für die Zielkonstruktion
Man kann sich viele Ziele setzen. Doch es muss sich überlegt werden, woran sich die Auswahl von Zielen für eine sozialökologische Bewegung wie F4F orientieren sollte. Kriterien für die Auswahl von Zielen für F4F könnten vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen zum sozialökologischen Wandel und auch hinsichtlich der historischen Vorbilder sozialer Bewegungen folgende Aspekte sein:
- Ein Fokus weiterhin zentriert um die Klimaproblematik und das 1,5-Grad-Ziel - wohlwissend, dass die Klimaentwicklung in einen systemischen Gesamtzusammenhang eingebunden ist;
- Die Orientierung an der positiven Vision einer solidarischen, ökologischen und friedvollen Gesellschaft, die demokratisch strukturiert ist;
- Die wissenschaftliche Fundierung der ökologischen Zielsetzungen;
- Der basisdemokratische Organisationsansatz bei einer funktionierenden Organisation, zu der auch demokratisch gewählte Gremien und Persönlichkeiten auf der überregionalen Ebene gehören;
- Gewaltfreiheit und Durchsetzung von Zielen mit friedlichen Mitteln;
- Orientierung an konkreten Ereignissen der beiden Jahre: z.B. Wahlen oder internationale Klimastreiks;
- Die Umsetzbarkeit und Leistbarkeit in Corona-Zeiten und Corona-freien Zeiten;
- Und: Last not least - das eigene Konsum- und Mobilitätsverhalten: Ich kann glaubhaft nur das fordern, was ich auch selbst weitgehend realisiere.
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