Friendly Fire in Kiew?

Seite 5: ZDF: Brisantes Bildmaterial erst im März gezeigt

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Erst am 6. März, also genau 14 Tage nach den Maidan-Todesschüssen, zeigte der Sender eher nebenbei eine kurze Sequenz der Bilder in einer Sondersendung, die sich jedoch vor allem mit der Lage auf der Krim beschäftigte. Aus der ZDF-Mediathek wurde der Beitrag nach einem Jahr turnusgemäß gelöscht, auf der Video-Plattform YouTube finden sich die Bilder noch. Auch Russia Today hatte die Schützen gefilmt.

Korrespondentin Britta Hilpert verteidigt gegenüber Telepolis die Entscheidungen des Senders: In der Berichterstattung des ZDF seien am 20.Februar die Schießerei, die Toten und Verletzten sowie die politischen Auswirkungen des Vorfalls Thema gewesen, erklärt sie. Der Fakt, dass auch Maidankämpfer Schusswaffen hatten und geschossen haben, sei von dem Sender in Wort und Bild berichtet worden.

"Dass dies auch aus unserem kurzzeitig gekaperten Hotelzimmer geschah und so uns als Berichterstatter in Gefahr brachte, halte ich angesichts der Tatsache, dass Menschen auf beiden Seiten verletzt und getötet wurden, für zweitrangig", erläutert die Journalistin. "Wir haben das Material dann eingesetzt, sobald sich das Tempo der zu berichtenden Ereignisse ein wenig verlangsamte und so die Zeit war, genauere Fragen über den Hergang des 20. Februar zu stellen."

Filmte das ZDF einen der Todesschützen?

Wichtig war das Filmmaterial jedoch nicht, weil durch die Schützen indirekt auch ZDF-Journalisten gefährdet wurden. Heikel waren die Bilder zum einen viel mehr, weil auch für deutsche Medienkonsumenten damit endgültig belegt wurde, dass es sich bei Maidan-Aktivisten nicht nur um friedliche Demonstranten, sondern auch um militante Bewaffnete handelte, die bereit waren, mit Schusswaffen bis zum Äußersten zu gehen. Auch wenn der politische Zündstoff der Schützen-Szenen in Hilperts späterem Beitrag gar nicht deutlich wird, so hätte eine Ausstrahlung noch am selben Abend die öffentliche Reaktion auf die Todesschüsse womöglich stark verändert.

Die Bilder waren zum anderen aber vor allem deshalb hochbrisant, weil bereits in den Tagen nach dem Blutbad bekannt wurde, dass Maidankämpfern auch in den Rücken geschossen wurde.

Zudem belegen andere Aufnahmen, dass die Schützen aus dem ZDF-Zimmer Teil einer größeren, mit Schusswaffen ausgerüsteten Kampfgruppe waren. Rund 20 der Maidan-Paramilitärs stürmten vormittags in das Hotel und verteilten sich auf die Fahrstühle, wie Bilder des französischen Senders "iTele" belegen. Reporter, die die Bewaffneten dabei filmten, wurden von diesen angeschrien und ihre Kamera-Objektive zugehalten. Bislang ist unbekannt, ob und wohin die anderen Bewaffneten der Gruppe mit ihren Gewehren feuerten.

Das Fenster des ZDF-Zimmers jedenfalls zeigte in südöstliche Richtung, bestätigte die damalige ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert nun im Gespräch mit Telepolis. Somit hatten die Schützen sowohl die Möglichkeit, in Richtung der Polizeibarrikade auf der Institutska-Straße zu feuern, als auch auf die davor liegende Todeszone, in der an diesem Vormittag rund 30 vorrückende Maidankämpfer gezielt erschossen wurden. Da beide Orte auf derselben gedachten Linie vom Hotelzimmer aus lagen, ist nicht klar, auf wen die Maidankämpfer aus dem ZDF-Zimmer tatsächlich schossen. Als professionelle Scharfschützen sind die Männer im ZDF-Zimmer, was ihre Ausrüstung angeht (vermutlich handelt es sich um das doppelläufige sowjetische Jagdgewehr IZh-56), aber nicht einzuordnen.

Die Schützen konnten aus dem ZDF-Hotelzimmer in südöstlicher Richtung sowohl auf die Polizisten an der Barrikade als auch auf vorrückende Maidankämpfer auf der Institutska ("Todeszone") schießen. Beide Ziele lagen auf einer Linie.

"Als die Kämpfer das Zimmer kaperten, war ich nicht dort", berichtet Hilpert gegenüber Telepolis. Die Militanten seien ins Zimmer gestürmt, habe ihr das dort anwesende ZDF-Kamerateam erzählt. "Das Team war in heller Aufregung und das Hotelpersonal war nicht mehr sichtbar", erinnert sich Hilpert, die damals als Korrespondentin in Kiew aushalf.

"Das Hotel war mitten auf der Frontlinie. Durch das Schießen aus den Zimmern war mir klar, dass das Hotel deshalb noch mehr zur Zielscheibe wird." Sie verlegten die Schnittplätze weg von den Fenstern und zogen die Gardinen zu, erzählt die ZDF-Reporterin. Nur ab und zu habe sie in dieser Phase noch kurz aus dem Fenster geschaut und gesehen, wie Maidankämpfer mit ihren Skihelmen hinter Bäumen Deckung suchten.