Friendster, Fakester, Fiendster

Eine Kontakt-Site entwickelt sich zu einem Renner und wird von einer Spaßfraktion gekapert, die das Recht auf ihre selbstgeschaffenen Identitäten einfordert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die beste Quelle für neue Freunde sind die eigenen Freunde. Kein Wunder eigentlich. Kommt der Neuankömmling aus der Grundmenge der Planetenbewohner, sofern er den eigenen Lebenskreis über die Teilmenge des persönlichen Freundeskreises betritt, doch quasi mit Empfehlung und freundlichen Grüßen daher, ausgestattet mit einem Gütesiegel durch eine Person, deren Menschenkenntnis man nicht in Frage stellen kann, ohne auch am eigenen Selbstwertgefühl zu knabbern.

Der Freund eines Freundes hat gute Chancen darauf, sich zum eigenen Freund zu entwickeln, da er bereits die Filterungen und Kompatibilitätstests von Menschen durchlaufen hat, die man schließlich selbst Freunde nennt und denen man vertraut. Sonst wären es schließlich keine Freunde.

Auf der anderen Seite: Jeder soll ja bekanntermaßen mit Jedem über maximal sechs Stationen zumindest bekannt sein, wenn auch vielleicht nicht befreundet. Diese Theorie stellten bereits im Jahre 1967 die beiden Harvard-Wissenschaftler Milgram und Traver auf und erst kürzlich ist sie wieder einmal - mehr oder weniger - belegt worden.

Irgendwo auf dem Weg durch diese Kette muss also die kompatibilitätsstiftende Wirkung der Freundesknotenpunkte verloren gehen oder wenigstens sehr stark abnehmen, sonst hätten schließlich alle Erdenbewohner einander furchtbar lieb, wären eine Clique von sechs Milliarden Gleichgesinnten und selbst Dubya und Osama wären irgendwie Kumpels und würden ab und zu wenigstens mal gemeinsam ins Kino gehen.

Im Sommer 2002 war der Software-Ingenieur Jonathan Abrams gerade sehr einsam. Seine Beziehung war frisch zerbrochen und der gute Mann befand sich auf der Suche nach einer weiblichen, besseren Hälfte. Als Internet-Addict verbrachte Abrams seine Freizeit jedoch nicht mit dem Herumgammeln auf Parties oder dem eindeutig auffordernden Alleinetanzen in einschlägigen Clubs oder Discos, nein, er trieb sich lieber in Single-, Flirt-, und Dating-Communities im Netz herum.

Dies allerdings zunehmend frustriert und enttäuscht, ob der mangelnden Qualität der Partnerinnenvorschläge. Doch immer noch scheute sich Jonathan, der einst zum Netscape-Programmiererstamm gehörte, in die Niederungen der Offline-Welt herabzusteigen und machte sich lieber daran, eine eigene Web-Plattform zu entwickeln um freundliche Menschen und neue Freunde kennen zu lernen. Heraus kam dabei Friendster.

"Na und?" mag sich der geneigte Leser an dieser Stelle denken, "eine Dating-Site mehr im Netz. Und weiter?" "Richtig und Falsch." sei es dem Autor erlaubt, darauf zu erwidern, denn offensichtlich hat Abrams bei der Konzeption seines Systems ziemlich genau ins Schwarze getroffen und hat der Netzwelt die Online-Kneipe zur Verfügung gestellt, auf die die Netizens wohl schon lange gewartet hatten. Anders lässt es sich kaum erklären, dass Friendster mittlerweile, nach nur fünf Monaten Beta-Phase, eine Million registrierte Nutzer zählt (und das vollkommen ohne Marketing), dass der Service eine wöchentliche Zuwachsrate von zwanzig Prozent vermelden kann, dass das Friendster-Pänomen in den USA mittlerweile die Flash-Mobs als "Uber-Hip"-Thema überholt hat und dass dort Unbekannte, nachdem sie festgestellt haben, dass sie einen gemeinsamen Freund besitzen, sich der Floskel "Ach, wir sind also Friendsters" bedienen.

Das Geheimnis des einzigartigen Erfolges dürfte in der engen Verknüpfung der Webwelt mit dem Offline-Freundeskreis, mit den Amici Veri, den echten Kumpels liegen.

Üblicherweise gelangt man das erste Mal mit Friendster in Kontakt, indem man per E-Mail von einem Freund dazu aufgefordert wird. Nach der Anmeldung füllt der Novize den gängigen Steckbrief mit seinen persönlichen Daten, Hobbies, Lieblingsmusiken etc. aus, lädt noch flugs ein Passbild von sich hoch und schon ist er Teil und Knoten des Netzwerks. Das Besondere an diesen Visitenkarten ist eigentlich nur, dass sie ebenfalls Thumbnails der Freundes-Photos und wiederum Links zu deren Selbstbeschreibungen enthalten.

Startet man seine Wanderung also bei Personen, die der eigenen sozialen Rotte angehören, so ist es nicht unüblich, nur ein paar Klicks entfernt auf Menschen zu stoßen, die einen interessieren - oder zumindest interessieren könnten. Nach dem Prinzip des Brotkrumenpfades zeigt Friendster dabei den jeweiligen Bezug zur eigenen sozialen Blase auf, etwa: "Natalie ist befreundet mit Jim, Jim ist befreundet mit Nico, Nico ist ein Freund von Dir."

Mitteilungen werden über das systemeigene Web-Interface versandt, was die eigene E-Mail-Adresse vor Spammern und Trollen schützt. Möglich ist die Kontaktaufnahme mit allen "Friendstern", die maximal drei Grade von eigenen Ausgangspunkt entfernt sind, was sich bei einem typischen, exponentiellen Kurvenverlauf durchaus zu einer sechsstelligen Zahl läppern kann. Dav Coleman hat mittels eines Geosphären-Java-Applets einmal die globale Verteilung seines persönlichen Friendster-Netzwerkes abgebildet. Beeindruckend.

Für Außenstehende ist die enorme Popularität dieses, im Prinzip simplen, Dienstes schwer zu begreifen, trotzdem oder deshalb rollt das Schneeballprinzip fröhlich und unaufhaltsam weiter und Friendster ist längst zu weit mehr geworden, als zu einer Plattform zum Kennenlernen und Verabreden: Friendster ist bereits jetzt ein Netz im Netz, ein Peer-to-Peer-Geflecht, in dem es nicht um Musik oder Filme geht, sondern um Beziehungen, ein Pyramidenspiel ohne Geldeinsatz, ein Stille-Post-Spiel der Interaktion.

Und wie so oft, wenn die Kräfte der Eigendynamik entfesselt wirken dürfen, einwickeln sich aus der Ursprungsidee Ableger und Seitenstränge, die von den Initiatoren weder vorhergesehen, noch gewünscht wurden: Zwar wird Friendster tatsächlich in der Hauptsache genutzt, um Bekanntschaften zu schließen, um Bowling-Runden mit neuen Gesichtern anzureichern, um Verbredungen für einen Plausch über frühe, französische Literatur oder um Treffen für harten Fetisch-Sex auszuhandeln, aber eine kleine Gruppe unbeugsamer Barbaren hat sich mittlerweile fest im System eingenistet und nutzt es für reinen Nonsens: Die Fakesters.

Neuanmeldungen bei Friendster werden prinzipiell nicht kontrolliert oder geprüft, was es Scherzbolden natürlich leicht macht, sich unter dem Namen einer berühmten Persönlichkeit, einer Comic-Figur, oder als Hund, Katze, Maus, Haus, Baum, oder Auto zu registrieren und den für das Passbild vorgesehenen Platz für lustige, teils liebevoll retuschierte Bilder zu nutzen. Neben etlichen Fakesters namens Jesus, Gott oder Osama Bin Laden, tummeln sich im digitalen Beziehungsgeflecht auch diverse Salzstreuer, Toaster oder Staubsauger, die ihrerseits wiederum Küchenmöbel oder Körperteile auf die jeweilige Freundesliste gesetzt haben.

Das New Yorker Blatt Village Voice berichtete kürzlich über einen Identitätsaufschneider, der sich den Namen des populären Jackass-Darstellers Johnny Knoxville zugelegt hatte und dem eine FriendsterIn, plötzlich und unaufgefordert, private Nacktaufnahmen zusandte, offensichtlich in der irrigen Annahme, den echten MTV-Star entdeckt zu haben.

Solche und ähnliche Vorkommnisse haben Abrams und seine Mannen nun veranlasst, gegen offensichtliche Wesenheitsschwindler vorzugehen und ihre Accounts ohne Vorwarnung zu löschen, was man wohl nur mit einem Griff in ein Hornissennest vergleichen kann: Militante Fakesters legten sich darauf hin gleich Dutzende von falschen Identitäten zu und kaperten sogar den Namen des Gründers der sozialen Matrix selbst. Auf diesen Abrams-Fake-Visitenkarten fanden sich dann so freundliche Selbstbeschreibungen wie:

Ich bin dermaßen verblödet und humorlos, dass ich eine komplette Dating-Community gründen musste, nur um ein paar Freunde zu finden. Das ist mir bis heute noch nicht gelungen.

Die intellektuelle Fraktion der anonymisierten Spaßgesellschaft stellte derweil das Fakester-Manifesto ins Netz und forderte die gleichen Rechte für falsche und echte Identitäten ein:

We hold these truths to be self-evident, that all fakesters and real people are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.

We believe that Friendster's genocide of fakesters is the suicide of Friendster. It is the fakesters, this explosion of creativity, that differentiates Friendster from all other boring networking/dating sites. This genocide must end!

Der Bürgerkrieg ist also endgültig ausgerufen worden und auf beiden Seiten werden schwere Geschütze aufgefahren: Während Staatsgründer Abrams und seine zehnköpfige Truppe über die mächtige Delete-Taste verfügen, mit der sie der Existenz eines jeden, durch Identitätskreativität auffällig gewordenen, Bewohners ein jähes Ende bereiten können, schwingen die Rebellen die ganz große moralische Keule des virtuellen Genozides und versuchen die traditionell subversiven Teile der Internet-Öffentlichkeit auf ihren Freiheitskampf für eine selbstbestimmte Identität einzuschwören. Die Schlacht hat begonnen, der Ausgang ist ungewiss.

Aber der Herrscher verfügt auch noch über die ultimative Waffe, die schon manche fröhliche, lebendige Communitiy in eine öde Geisterstadt verwandelt hat und er droht bereits offen mit dem Einsatz dieser virtuellen Neutronenbombe: Schon bald soll die Kommunikation innerhalb von Friendster nur noch zahlenden Mitgliedern vorbehalten sein. Eine Maßnahme, die ganze Landstriche seines Reiches schlagartig entvölkern dürfte, denn obwohl die Bereitschaft für Internet-Dienste zu bezahlen, allseits langsam und stetig zunimmt, überwiegt doch bei Weitem noch die Umsonst-Mentalität im Netz und ob die Haushaltsgeräte-, Gebäude- und sonstigen Kunst-Identitäten bereit sein werden, einen Obolus von monatlich acht Dollar für ihren Spaß zu entrichten, darf doch arg bezweifelt werden.

Derweil hat sich schon ein kleines Trüppchen Freiwilliger aufgemacht, um mit Friend of a Friend die Welt um eine Open-Source-Variante von Friendster zu bereichern, mit Fiendster.com ist bereits die ultimative Parodie-Site online und auf eBay werden die ersten Friendster-Freundeskreise versteigert , wenn auch die dort erzielten vier Dollar Höchstgebot, kaum auf einen Run auf die imaginären Kumpelcliquen schließen lassen dürften.

Skeptiker bezweifeln indes, ob die gesamte Idee des Freund-eines-Freundes-Konzeptes überhaupt etwas taugt und verweisen auf den mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikt zwischen George W. Bush und Saddam Hussein. Schließlich kennen sich der Noch- und der ehemalige Staatenlenker über nur eine einzige Zwischenstation: Donald Rumsfeld. Und ganz offensichtlich können sie sich trotzdem nicht wirklich leiden.