Froschjagd mit Handgranaten und New Yorker als fette Schweine

Les Triplettes de Belleville - Die Momente reinen Entzückens sind mindestens so großzügig über den Film verteilt wie die Schwachstellen

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Als die ersten Ausschnitte und Trailer von Sylvain Chomets Les Triplettes de Belleville auftauchten, hofften manche auf einen Geniestreich. Das ist der Film nun nicht, aber trotz einiger Schwächen ist er sehenswert.

Die Geschichte, die er uns erzählt, kann man kurz zusammenzufassen. "Les Triplettes des Belleville" ist das Märchen einer Obsession und einer Rettung. Der arme Junge vom Lande, begabt mit nur einer Fähigkeit, nämlich dem Fahrradfahren, gerät durch Gewalt in die Großstadt, kommt fast darin um, und wird durch gute Mächte gerettet. Man kann diese Zusammenfassung ohne jeden Verdacht auf Spielverderberei preisgeben, denn niemand, der nur sie kennt, könnte von ihr auf die anderthalb Stunden Kinoerlebnis schließen, die ihm der Film bietet. Und ein Kinoerlebnis ist das, was uns Chomet bietet. Die Art und Weise, wie der arme Held von seiner monomanischen Großmutter ("Madame Souza") zum Radsportchampion gedrillt wird, wie er auf seiner ersten Tour de France üblen Finsterlingen in die Hände fällt, die ihn nach Belleville verschleppen, wie er dort beinahe einem sinistren Wettkomplott krimineller Rotweinliebhaber zum Opfer fällt, in letzter Minute aber von seiner Großmutter und den Drillingen von Belleville gerettet wird - das ist in all seiner Melancholie oft so brüllend komisch, das hat so viel Stil, dass man beeindruckt sein muss. Der Film sprüht nur so vor visuellen Geistesblitzen, manchmal kommt man mit dem Sehen nicht wirklich nach.

Aber Stil- und Detailverliebtheit sind auch zwei der größeren Probleme des Films. Denn Chomet feilt sehr angestrengt an Bildern und Atmosphäre, statt sich um die dramaturgische Entwicklung des Stoffs zu kümmern. So wird zum Beispiel der Aufstieg zum "Col du Femur" (ein wunderbarer Einfall) während der Tour nicht nur zu einer Qual für den Helden und seine radfahrenden Konkurrenten, sondern auch für den Zuschauer. Hier und an einigen anderen Stellen soll der Fortgang der Handlung durch ein paar zeichnerische Gags ersetzt werden, und das passiert oft genug, um den Gesamteindruck zu trüben. Am Schluss lässt dann Chomet alles in einer großen Verfolgungsjagd aufgehen, die, so hat man den Eindruck, den manchmal allzu dünnen Plot vergessen lassen soll. Zu den weniger schönen Seiten gehört auch eine Reihe von running gags, die überstrapaziert werden. Zum Beispiel muss der Hund des Helden (Bruno) jeden vorbeifahrenden Zug anbellen - wegen eines psychischen Traumas, das mit der Modelleisenbahn seines Herrchens zusammenhängt.

Es gibt viele Züge in diesem Film, was eigentlich eine seiner Seiten ist, die mir gefällt - so zum Beispiel sieht man Trevithicks Penydarren, eine der frühesten Dampfloks überhaupt. Aber sie bringen Bruno so ausdauernd zum Bellen, dass man anfängt, sich zu langweilen. Ein anderer der allzu großzügig benutzten running gags hat einen seltsamen Subtext: Wenn Belleville auch New York ist, dann behauptet die ästhetische Logik des Films, dass fast alle New Yorker fette Schweine sind. Übertreibung ist eines der Stilmittel des Films, aber hier nutzt es sich bis zur völligen Stumpfheit ab. Und die schweinisch fetten Bewohner scheinen nur ein Aspekt der Dekadenz Bellevilles zu sein. Das Verbrechen wohnt dort, der Held als tumber Tor muss daran leiden, obwohl er doch nur der Fahrrad-Nerd aus der Provinz war, der unbedingt an der Tour teilnehmen wollte. Nach dem errungenen Sieg geht es zurück aufs Land, wo bekanntermaßen all die guten Sachen herkommen, auch Mutterwitz zum Beispiel, der den Ganoven aus der Großstadt letztendlich immer Paroli bietet.

Es durchweht den Film bei aller Ironie, bei allem Sarkasmus ein seltsamer Hauch von Provinzverherrlichung, ja sogar die rettende Familie ist nicht weit, denn nicht nur ist es die Großmutter, die den Helden aus den Klauen des Verderbens retten muss, auch schon die Obsession des Helden selbst ist eine familienorientierte - er hat als Kind immer unter einem an die Wand gepinnten Bild geschlafen, das die abwesenden (verunglückten?) Eltern mit einem Fahrrad zeigte. Fast könnte man meinen, die ganze Saga sei nichts weiter als eine versuchte Heimholung dieser abwesenden Eltern, die gelungene Rettung gleichzeitig eine gelungene Rekonstruktion der Familie, die der Held nie hatte. So gesehen schrammt das schräge Märchen nicht nur am Kitsch entlang, es springt mitten hinein. Wie gut, dass die Momente reinen Entzückens mindestens so großzügig über den Film verteilt sind, wie die Schwachstellen.

Zum Beispiel gibt es eine Froschjagd mit Handgranaten zu sehen, sowie die daraus resultierenden Mahlzeiten. Die Verfolgung eines Ozeandampfers per Tretboot gehört sicher auch zu den Highlights des Films. Und ohne Einschränkung lobend erwähnen sollte man die von Benoit Charest arrangierte Filmmusik. Ob es sich nun um die Glenn Gould-Version der Goldberg-Variationen handelt, (Gould hat höchstselbst einen Cameo-Auftritt) oder um die Marseillaise, die nur ein paar Takte lang angespielt wird, zur Markierung des endgültigen Sieges über das Böse: die präzise Handhabung der Musik schiebt den Trickfilm fast auf das Musical zu, beschädigt ihn dadurch aber nicht (wie in manchen missglückten Disneyproduktionen) sondern verbessert ihn. Fazit: Der Film ist kein Jahrhundertwerk. Aber bessere Animationsfilme sind selten genug, und man sollte ihn nicht verpassen.