"Frühverrentung": Kritiker schießen sich auf Schulz ein
- "Frühverrentung": Kritiker schießen sich auf Schulz ein
- Forderung nach "gezielter, praxisorientierter Qualifizierung"
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Kernpunkte des "Arbeitslosengeld Q" des Kanzlerkandidaten werden bekannt, die CSU bemüht das Bild von Anreizen zur Trägheit. Von Arbeitgeberseite kommen Einwände zu den Qualifizierungsmaßnahmen
Der SPD-Kanzlerkandidat Schulz hat sich mit der Reform der Agenda 2010 an ein neuralgisches Feld herangetraut. Trotz einer guten Arbeitsmarktlage sitzt die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes vielen im Nacken, was schon daran zu erkennen ist, wie sehr sich eine Menge Beschäftigter mit Überstunden und großer Einsatzbereitschaft bemühen, die gewachsenen Anforderungen zu erfüllen. Zugleich gibt es die Furcht vor einer Konkurrenz, die laut kursierender Erzählungen mit noch mehr Einsatzwillen bereitsteht.
Unterstützung bei Anhängern aller Parteien
Schulz trifft mit seiner Absicht, die umstrittenen ALG-Regelungen zu aktualisieren, auf Unterstützung bei Anhängern aller Parteien, wie dies kürzlich der ARD-DeutschlandTrend offenlegte: Bei den Unionswählern gab es 52 Prozent Zustimmung für die längere Bezugsdauer von ALG I, bei den AfD-Wählern 66 Prozent, bei den Linken 84 Prozent, bei den Grünen 68 Prozent und unter den SPD-Anhängern unterstützten 79 Prozent den Vorschlag. Insgesamt waren etwa zwei Drittel der gut 1.000 Befragten Ende Februar dafür und 29 Prozent dagegen (siehe Der Schulz-Effekt und die desorientierte Union).
Das brachte Unruhe in die politische Landschaft bis hinauf in die Spitzen. Kanzlerin Merkel reagierte schnell mit einer Treueerklärung zur Agenda 2010 ihres Vorgängers, aus den CSU-Lautsprecherboxen tönte Ähnliches.
Kernpunkte des "Arbeitslosengeldes Q"
Mittlerweile konturierte Schulz seinen Vorschlag etwas. Die Verlängerung der Auszahlung des Arbeitslosengeld I könnte sich in "extremen Fällen" bis auf 48 Monate erstrecken, gekoppelt werde dies mit einem Programm zur Weiterqualifizierung von Arbeitslosen. Der neue Begriff des "Arbeitslosengeld Q" machte in den letzten Tagen die Runde. Die SZ, der nach eigenen Angaben das Konzept vorliegt, zitierte daraus folgende Kernpunkte:
Künftig sollen Arbeitslose ein Recht auf Weiterbildung haben, das es so bisher nicht gibt. Finden sie innerhalb von drei Monaten keine neue Stelle, sollen sie ein Angebot für eine "Qualifizierungsmaßnahme" bekommen. (…) Für die Dauer der Qualifizierung soll der Teilnehmer ein neues "Arbeitslosengeld Q" in Höhe des Arbeitslosengeldes I bekommen.
Nach Ende der Qualifizierung bekommt der Betroffene dann wieder das normale Arbeitslosengeld. Neu daran ist, dass die Bezugsdauer des "Arbeitslosengelds Q" nicht auf die Zeit angerechnet wird, die ein Betroffener Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat. Bislang war es so, dass für die Zeit der Qualifizierung die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds um die Hälfte gemindert wurde.
SZ
Für die oben erwähnten Extremfälle einer ALG I-Bezugsdauer von 48 Monaten bringt die SZ das Beispiel eines 58-jährigen Arbeitnehmers, der wegen seines Alters ohnehin einen Anspruch auf 24 Monate ALG I hat und die Dauer laut der Zeitung mit Qualifizierungsmaßnahmen "theoretisch" auf maximal 48 Monate ausdehnen könnte. Der Zeitungsbericht schränkt jedoch ein, dass kürzere Qualifizierungsmaßnahmen "zwischen vier bis sechs Monaten" häufiger seien.
Als bemerkenswerte Neuerungen wird den genannten Kernpunkten noch hinzugefügt, dass das sogenannte Schonvermögen von bislang 150 auf 300 Euro pro Lebensjahr steigen soll.
Geplant sind auch Änderungen bei den Voraussetzungen für den Bezug des Arbeitslosengeldes. Bislang musste man dafür innerhalb von zwei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben, künftig soll gelten, dass dies innerhalb von drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit zehn Monate lang der Fall war.
Finanzierung noch unklar
Das Konzept, erarbeitet unter der Leitung von Andrea Nahles, soll am morgigen Montag in den SPD-Spitzengremien vorgestellt werden. Möglicherweise erfährt dann auch die Öffentlichkeit mehr und Genaueres. Völlig unklar ist bislang die Finanzierung der Nachbesserungen. Daran haken sich auch die Kritiker fest. Man darf gespannt sein, wie Schulz und seine Mannschaft darauf reagieren.
Was Kritiker bislang an Konter gegen die Reformvorschläge lancierten, bewegt sich auf voraussehbaren Linien: Vertreter der CSU befürchten, dass die Verlängerung des ALG-I-Bezuges zu Bequemlichkeiten führt, was an das bewährte Schmarotzer-Thema und dazu gehörige Ressentiments andockt.
"Einführung der Frührente mit 58"
So holte sich Bayerns Arbeits- und Sozialministerin Emilia Müller selbstverständlich das Extrembeispiel aus dem Vorschlagstopf, um sachte die Weise vom faulen Leben der Arbeitslosen anzuspielen "(…) die SPD will Arbeitssuchenden mit einem Arbeitslosengeld Q den Anreiz geben, bis zu 4 Jahre in der Arbeitslosigkeit zu verharren?"
Ihr Partei-Kollege, welcher der CSU-Landesgruppe im Bundestag vorsitzt, Hans Michelbach, wertete die SPD-Pläne als "völlig realitätsfern", weil sie einer "Einführung der Frührente mit 58 durch die Hintertür" gleichkämen.
Dass vom Arbeitgeberlager keine Zustimmung zu erwarten war, vom DGB dagegen schon, wie die SZ berichtet, ist keine Überraschung.