Fünf Jahre Gravitationswellen: eine Chronik der Merkwürdigkeiten

Seite 2: Rufer in der Wüste

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In der Folgezeit der bekannten Pressekonferenz vom 11. Februar 2016, bei der die Entdeckung bekannt gegeben worden war, gab es wenig Widerspruch hinsichtlich der Interpretation.

Ein lange pensionierter Wissenschaftler eines Max-Planck-Instituts mahnte die fehlende Kalibrierung an, schien sich aber an anderer Stelle verrechnet zu haben. Ein anderer Forscher, der schon lange die Existenz von schwarzen Löchern aus theoretischen Gründen heraus bestritt, kritisierte die Resultate hart; dennoch stellten diese Stimmen keine Gefahr für den wissenschaftlichen Mainstream dar.

Harry Collins, ein Wissenschaftssoziologe, der die Aktivitäten der Gravitationswellengemeinde über Jahrzehnte beschrieben hatte, bezeichnete dies als legitime, jedoch periphere ("fringe") Wissenschaft. Ich suchte Collins im März 2016 für ein Interview auf. Er machte einige interessante Bemerkungen (zum Beispiel, dass es ohne die Entdeckung kaum mehr weitere Förderung gegeben hätte), und ist sich der Komplexität der wissenschaftlichen Meinungsbildung voll bewusst.

In seinem 2017 erschienenen Buch über Gravitationswellen zeigt sich Collins zunehmend befremdet über die praktizierte Heimlichtuerei der LIGO/VIRGO-Kollaboration. Seine lange bestehende Idealvorstellung von Wissenschaft als "ehrliche Handwerkskunst" bekam zunehmend Risse. Ein Skeptiker ist Collins jedoch nicht. Er hätte von sich aus nie konkrete Sachfragen aufgeworfen, wahrscheinlich die Bedingung, unter der er so lange in der Gemeinde toleriert wurde.

Störsignal unbekannter Herkunft

Die Gruppe aus Kopenhagen dagegen stellte Fragen. Tatsächlich handelte es sich die erste unabhängige Auswertung der Rohdaten überhaupt. Obwohl sie an die Analyse vollkommen unvoreingenommen herangegangen waren, fiel den Wissenschaftlern eine Korrelation von Störsignalen der beiden LIGO-Labore auf, die nicht vorhanden sein sollte, und deren Herkunft die Kollaboration bis heute nicht zufriedenstellend erklären konnte.

Viel wichtiger als dieses bis heute diskutierte Thema war jedoch, dass die Absurdität der Template-Methode aufgezeigt wurde, zudem entwickelte die Gruppe sogar eine vernünftige Alternative, die auf reiner Statistik beruht. Jeder unvoreingenommene Beobachter sollte darin übereinstimmen, dass man die Existenz eines Signals nur beweisen kann, wenn man in den Suchalgorithmus keine Hypothesen über dessen Form hineinsteckt.

Abgesehen von dieser überzeugenden Logik, zeichneten sich die Wissenschaftler des Niels-Bohr-Instituts durch eine unbestreitbare Reputation aus. Vor allem der Sprecher, Prof. Andrew D. Jackson, ist ein angesehener Theoretiker und Experte der Zeitreihenanalyse, der in seiner Karriere zahlreiche Lehrstühle innehatte und zudem langjähriger Herausgeber der Zeitschrift Physics Letters war, ein wissenschaftliches Schwergewicht. Daher erregten die "dänischen" Artikel einige Aufmerksamkeit, unter anderem durch den bekannten Blog von Sabine Hossenfelder (die sich auch über Reaktionen der Gravitationswellengemeinde ausgelassen hatte, die sich anfangs sehr still verhielt).

High Noon

Der Sommer 2017 war plötzlich zu einer höchst spannenden Phase geworden. Es war klar, dass der Nobelpreis verliehen würde, wenn nicht etwas sehr Unerwartetes geschah, was die Resultate ernsthaft in Zweifel zog.

Nachdem sie gemerkt hatten, dass die Kritik nicht so einfach beiseitegeschoben werden konnte, folgten acht Mitglieder der LIGO-Kollaboration Jacksons Einladung nach Kopenhagen, um gemeinsam die Resultate zu diskutieren, obwohl Fairness anfangs nicht immer groß geschrieben worden war. Vorher hatte ein hochrangiges Mitglied der Kollaboration und Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik unter Umgehung des Begutachtungsprozesses sich direkt an den Herausgeber der angesehenen Zeitschrift Canadian Journal of Physics gewandt, um die ungehörige Publikation zu verhindern, die dann doch umgehend erfolgte.

Während des Aufenthaltes der LIGO-Delegation in Kopenhagen, gelang es Duncan Brown, einem führenden Mitglied der Kollaboration, die Spannungen etwas abzubauen, indem er davon sprach, "offiziell autorisiert" zu sein, sich bei Jackson für die misslungene Aktion "inoffiziell zu entschuldigen". Aber auch was den Inhalt betrifft, waren die Kopenhagener Ergebnisse robust. Während LIGO an der Template-Methode, der Wurzel allen Übels, festhielt, mussten sie einige blamable Details einräumen, wie zum Beispiel das nicht nachvollziehbare Zustandekommen der Abbildung 1 in dem berühmten Nature-Artikel von 2016.

Brown versprach, sich für eine Korrektur einzusetzen, die jedoch nie erfolgte. (Es scheint, dass seine relativ transparente Herangehensweise nicht überall geschätzt wurde. Er verließ die Kollaboration Anfang 2018). Jene Abbildung, welche die Welt von Gravitationswellen überzeugt hatte, war, so stellte es sich heraus, "nach Augenmaß" für "pädagogische Zwecke" verändert worden. Obwohl das ursprünglich verwendete Template nachweislich falsch ist, wurde bis heute kein korrekter Ersatz publiziert.

Jackson und Brown in Copenhagen, 9. August 2017. Bild: Jackson

Die Geschichte kam ein Jahr später, 2018 auf der Titelseite des New Scientist heraus und führte zu ziemlicher Irritation unter den Gravitationswellenforschern. Sicherlich lag in jenem Sommer von 2017 ein Schatten über der Datenanalyse der für LIGO ungemütlich war. Untenstehendes Foto von der "kleinen Übereinkunft" zwischen Jackson und Brown (nur ein Ausschnitt, welcher die beiden zeigt) wurde am 9. August während des Treffens in Kopenhagen aufgenommen.

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