Fünf Jahre Gravitationswellen: eine Chronik der Merkwürdigkeiten

Seite 5: Political-correctness Absurditäten

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Kurz nach der Pressekonferenz im Februar 2016 stolperte ich auf den Webseiten der LIGO Kollaboration über eine merkwürdige Meldung über "Belästigung". Es stellte sich heraus, dass ein Professor des CalTech und LIGO-Mitglied, der deutsche Astrophysiker Christian Ott, wegen angeblicher Belästigung einer Doktorandin vom Dienst suspendiert worden war. Offenbar hatte sich Ott zu ihr hingezogen gefühlt, was nach Bildern im Internet, die eine hübsche und offenbar smarte junge Dame zeigen, noch nichts Außergewöhnliches scheint.

Eine Suche im Netz liefert schnell Material im Überfluss, beispielsweise das Ott eigene psychische Probleme einräumte. In einem Chat mit einer anderen Studentin schrieb er etwa "I am fucking bleeding while I write this". Das mag man ungewöhnlich finden, was jedoch sexuelles Fehlverhalten betrifft, findet sich - für europäische, fast würde ich sagen, normale Maßstäbe - nichts. Anscheinend hatte man ihn dort gefeuert, weil er mit einer Doktorandin Kaffee trinken gegangen war oder in einem Gespräch private Dinge erwähnt hatte. Und?

Es erstaunt mich immer wieder, was feministische Ideologie, in Kombination mit politischer Korrektheit und einem verkorksten Rechtssystem hervorbringen können. Ich schrieb ihm daher eine kurze Notiz, dass nicht die ganze Welt Caltech’s Sichtweise verstehen würde. In seiner Antwort betonte er, dass die Presse fälschlicherweise berichtet hätte, er hätte seine Studentin entlassen und schickte mir einen Link auf einen Artikel in Nature, in welchem eine andere Studentin sich voll des Lobes über Otts Verhalten und Verständnis als Betreuer geäußert hatte - ausgerechnet jene, die ihn später anzeigte.

Später erfuhr ich zudem, das Ott eine weibliche Mitarbeiterin seiner Forschungsgruppe ("Uschi C. Gamma") fingiert und sogar in einem Forschungsantrag erwähnt hatte, allerdings nicht, um unberechtigt Mittel einzuwerben, sondern um mit "diversity guidelines" in Einklang zu kommen. Trotz des formalen Vergehens, und der Empörung, die es dort hervorrief, entlockt es mir, ehrlich gesagt, eher Schmunzeln, wenn derartige Unsinnsrichtlinien ad absurdum geführt werden. Offensichtlich gab es einige Studenten, die mit Ott nicht zurechtkamen, aber da ich ihn persönlich nicht kenne, kann ich nicht beurteilen, was zugrunde lag.

Ärger unter den Teppich

Ich hatte die Episode fast vergessen, als sich Anfang 2018 die Namen der bisher nicht genannten Mitglieder des "blind injection teams" erfuhr - einer davon war Christian Ott. Nun verstand ich, warum man nicht gern darüber sprach, wer für die "blind injections" verantwortlich sein könnte. Natürlich kann es sein, dass LIGO nur negative Schlagzeilen im Allgemeinen und nichts anderes fürchtete, aber ob die diesbezügliche Geheimniskrämerei wirklich eine gute Idee war, sei dahingestellt.

Man halte sich vor Augen, dass Ott in der Astrophysik eine Art aufgehender Stern war, er hatte einige angesehene Wissenschaftspreise erhalten und sicher eine vielversprechende Karriere vor sich - eine Karriere, die von einem Tag auf den anderen von einer aufgeblähten Nichtigkeit vollkommen zerstört wurde. Studenten des Caltech protestierten, wenig überraschend, gegen seine Wiedereinstellung, aber sogar die Universität Turku im fernen Finnland zog seine Berufung zurück, als der "Skandal" bekannt wurde.

Ganz besonders erstaunlich ist aber der zeitliche Ablauf dieser Ereignisse. Nach der "Belästigung" in den Jahren 2013/2014 dauerte es eine ganze Weile, bis sich die Damen dessen bewusst geworden waren. Schließlich schrieben sie im Frühjahr 2015 eine Beschwerde an die Universität, deren Bearbeitung einige Monate in Anspruch nahm. Der Brief, der Ott ankündigte, dass seine Karriere bald enden würde, erreichte ihn - Anfang September. Es wäre nachvollziehbar, wenn er darüber wütend gewesen wäre.

Aus seiner Timeline auf Twitter ist zu entnehmen, dass Ott am 3. September nach Deutschland flog und etwa eine Woche später zurückkehrte, just vor dem Ereignis GW150914. Insiderwissen über eine verdeckte "injection" könnte sicherlich eine wirksame Vorbeugung gegen Arbeitslosigkeit sein oder auch nur ein Mittel, Leuten etwas heimzuzuzahlen, von denen man sich ungerecht behandelt fühlt. Nur nebenbei, wäre das eigentlich illegal? Natürlich kann ein Justizsystem, das Vorwürfe gegen einen Julian Assange fabriziert, jedermann anklagen, aber in einem Rechtsstaat ist hier kaum ein strafbares Vergehen zu erkennen. Was sollte man gegen eine Verteidigung vor Gericht einwenden, er habe die Leichtgläubigkeit der Wissenschaftsgemeinde auf die Probe stellen wollen? Welcher Schaden, rein wirtschaftlich betrachtet, sollte entstanden sein?

Es gilt aber auch zu sagen: Ich kann nicht und will nicht behaupten, dass Ott heimlich ein Signal eingespeist hat. Doch von einem detektivischen Standpunkt aus betrachtet, hatte er wohl die Fähigkeiten, die Position und auch ein Motiv. Offenbar bin ich auch nicht der einzige, dem ein derartiger Gedanke durch den Kopf ging. Wie berichtet wird, erhielt Kip Thorne während einer Taxifahrt in Rom mit Remo Ruffini einen Anruf von Ott, der ihn über GW150914 informierte, worauf Thorne spontan entgegnete: "Hast du das gemacht?" Ott bestritt dies vehement.

In einer Mail an mich im Dezember 2018 behauptete Ott zunächst, er habe "nie eine besondere technische Position hinsichtlich der Datenverarbeitung und keinen privilegierten Datenzugriff" gehabt, bevor ich auf die Evidenz hinwies.

Folie 56 von Peter Saulson’s Presentation (2016), die Otts Stellung im "blind injection team" klar erkennen lässt.

Ich legte Ott diesen Artikel ebenfalls zu einer Stellungnahme vor und bat, gegebenenfalls unrichtige Fakten zu korrigieren. Seine wiederholte Antwort war: "Das ist ja absoluter Quatsch, den Sie da schreiben."

Rechtschaffenheit vergangener Zeiten

Im Juni 2018 flog ich nach Kopenhagen, um mich mit Andrew D. Jackson zu treffen. Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, erfuhr ich, dass Ott etwa zehn Jahre vorher Postdoktorand in Jacksons Arbeitsgruppe war. Als Jackson (nicht von mir) erfuhr, dass Ott Mitglied des "blind injection team" war, was eine erste Reaktion: "Oh shit."

Ich hatte den Eindruck, dass Jackson noch einiges zu erzählen hatte, abgesehen von der Bestätigung, dass Ott ein außergewöhnlicher Computerfreak war, schien er sich jedoch zurückzuhalten. Stattdessen unterhielten wir uns stundenlang über grundlegende Physik und deren Geschichte, und streiften dabei, abgesehen von den Gravitationswellen, auch viele andere Gebiete.

Jackson ist ein wahrer Wissensschatz, ein wirklich ehrenhafter Wissenschaftler der alten Schule, freimütig und furchtlos. Er kritisierte nicht nur LIGOs Datenauswertung, sondern war auch über das unredliche Verhalten der Kollaboration äußerst ungehalten. Dies äußerte sich in recht sarkastischen Kommentaren in einer internen Präsentation, von denen ich ihm sogar abriet, sie öffentlich zu machen.

Jackson und der Autor in Kopenhagen, 2018. Bild: A. Unzicker

Andererseits versäumte er es auch leider, sein ganzes Gewicht einzusetzen, um den Bluff über die Interpretation der Detektorsignale aufzudecken. Sich als Mentor der talentierten jungen Leute seiner Gruppe fühlend, hatte er wohl auch im Sinn, dass für deren Fortkommen ein andauernder Konflikt mit LIGO nicht förderlich sei. Im heutigen wissenschaftlichen Klima gibt es dafür einfach keine Lorbeeren zu ernten.

Der wichtigste Programmierer, Hao Liu, hat schon eine Professur in China angetreten, während die Jüngeren um LIGO eher einen Bogen zu machen scheinen. Ich sage es nur ungern so direkt, aber qualifizierte Kritiker wie Jackson werden schlicht in ein paar Jahren ausgestorben sein. LIGO/VIRGO hat wenig zu fürchten.

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