Fünf Jahre Gravitationswellen: eine Chronik der Merkwürdigkeiten

Seite 3: Chronik einer angekündigten Entdeckung

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Am gleichen Tag (!) sollte die Geschichte von einer anderen Seite aus einen ganz neuen Lauf nehmen. GW170809 war ein Gravitationswellensignal, das zum ersten Mal Daten des italienischen Labors VIRGO in der Nähe von Pisa mit einbezog. Allerdings war das VIRGO-Signal äußerst schwach, so schwach, dass es sogar besser mit den Templates übereinstimmte, wenn das Vorzeichen umgedreht wurde (!). Die Forscher vermuteten einen Fehler im Aufbau des Detektors, jedoch zeigte sich das Signal einige Tage später, bei GW170814, wieder mit dem richtigen Vorzeichen.

Schwach oder nicht, der entscheidende Punkt war, dass ein dritter Detektor mittels Triangulation ziemlich genau bestimmen konnte, aus welchem Teil des Himmels ein Signal stammte. Ironischerweise funktioniert diese Richtungsbestimmung sogar dann, wenn ein Detektorsignal praktisch nicht vorhanden ist. So unbedeutend diese Drei-Detektor-Ereignisse auch waren, bereiteten sie doch auf etwas Wichtiges vor.

Nur weitere drei Tage später, am 17. August 2017, sickerten Nachrichten von einem Ereignis GW170817 durch, das schließlich die letzten Zweifel an den Gravitationswellensignalen zerstreuen sollte und den Traum einer unabhängigen Bestätigung wahr werden ließ. LIGO hatte ein Signal registriert, das mit einem starken Gammastrahlenausbruch (GRB) des FERMI-Teleskops zusammenfiel, von dem wiederum andere Teleskope ein Nachleuchten (optical transient) in den folgenden Tagen registrierten. Man interpretierte dies als verschmelzende Neutronensterne, die Sensation war perfekt und das Ergebnis wurde als Beginn der "multi-messenger" Astronomie gefeiert. Zum ersten Mal hatten die Gravitationswellendetektoren etwas vorhergesagt, was auch für den Rest der Astronomen sichtbar war.

Leider nur war es keine Vorhersage. Anders als viele Berichte es darstellen, kam das FERMI-Triggerereignis früher - genau gesagt, vier Stunden - als die Himmelskarte, mit der LIGO/VIRGO etwas "vorhersagte". Für die Experten gebe ich hier den genauen Zeitablauf an, der von einem Schweizer Forscher erstellt wurde, der ungenannt bleiben will.

Karriere eines Mängelexemplars

Kurz gesagt, das eigentliche Problem bestand darin, dass das neue LIGO/VIRGO-Signal von miserabler Qualität war und als solches nie als Kandidat für eine Gravitationswelle infrage gekommen wäre, noch nicht einmal nach den verzerrten Standards der Template-Methode. Das Labor in Livingston hatte eine größere Störung ("glitch") acht Sekunden vor dem Signal, die so sorgfältig "entfernt" wurde, dass ein "chirp" (typische Form eines Signals) schließlich herauskam. Der VIRGO-Detektor zeigte - sehen Sie sich es an - nichts. GW170817 kam praktisch nur von einem einzigen Detektor, aber noch schwerer wiegt, dass noch nicht einmal ein Template publiziert wurde. Eigentlich ist das fast eine Verhöhnung wissenschaftlicher Arbeitsweise.

Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass das Aufwerfen von kritischen Fragen Zeit benötigt, und niemand vermochte der aufkommenden Euphorie entgegenzutreten. Die Wissenschaftspresse sang ihre üblichen, oberflächlichen Lobeshymnen, und die Krise des Sommers 2017 ging vorüber. Im Oktober wurde der Nobelpreis für Physik an Rainer Weiss (alles was er über die Einwände aus Kopenhagen zu sagen hatte, war "naja wir haben es vermasselt"), Kip Thorne und Barry Barish.

Seitdem hat man, trotz stark verbesserter Instrumente, keine einzige weitere Neutronensternverschmelzung beobachtet, oder irgendetwas anderes, was konventionelle Teleskope hätten bestätigen können. Die "multi-messenger"-Ära besteht immer noch aus einem einzigen Ereignis.

Totales Scheitern der Reproduktion

In den folgenden Beobachtungsdurchgängen wurden eine ganze Reihe von vermeintlichen Neutronenstern-Verschmelzungssignalen im Nachhinein herabgestuft, nur weil es dafür keine elektromagnetische Bestätigung gab. Außerdem produzierten die angeblichen Verschmelzungen Schwarzer Löcher absurd kleine Falschalarm-Raten.

Die Webseite und Berichte sind voll von "Entdeckungen", jedoch beruhen all diese, wie Sie sich erinnern, auf der verfehlten Template-Methode. Es sind dabei nicht die prächtigen Signifikanzen ("fünf sigma"), sondern die Signalstärke, worauf es ankommt. Mit nüchterner Statistik betrachtet, gibt es nur Rauschen.

Als ich diesen Artikel vorbereitete, suchte ich nach einer Aktualisierung der untenstehenden Abbildung, welche die Signalstärken schön visualisiert. Es gibt sie nicht, obwohl eine Vielzahl derartiger "Verschmelzungen" im Beobachtungslauf O3 vorkamen.

Foto: Teresita Ramirez, Geoffrey Lovelace, SXS Collaboration, LIGO/Virgo Collaboration.

Wahrscheinlich ist es den Leuten peinlich, dass das allererste Signal vom September 2015 immer noch das allerstärkste ist. Es ist das einzige, das bei unvoreingenommener Statistik vom Rauschen zu unterscheiden ist und damit das einzige, welches die Template-Methode rechtfertigen könnte, damit das Stück Evidenz, auf dem alles weitere ruht.

Dass dieses Signal auftauchte, als die Instrumente gerade wenige Tage lang einsatzbereit waren, kann man schon als ziemlichen Glücksfall bezeichnen. Es ist daher Zeit, einen näheren Blick auf das Signal GW150914 zu werfen.

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