Für den amerikanischen Weg gibt es in Europa keine Mehrheiten, nirgendwo!
Gegen die Gemeinschaft der "Willigen" - Herfried Münkler über den Golfkrieg und seine Konsequenzen
Der neueste Golfkrieg ist seit kaum zwei Wochen entschieden, da legt der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler schon ein erstes Buch über den Konflikt vor. Dabei ist der Band alles andere als ein Schnellschuss. Der 51jährige Münkler, einst mit Büchern über Machiavelli und die Geschichte der Staatsraison vor allem als Historiker politischen Denkens bekannt geworden, hat bereits im vergangenen Jahr zwei Bücher über Theorie und Praxis militärischer Konflikte veröffentlicht. Darin geht er besonders auf die Rückkehr des Krieges ein, die seit Ende des Ost-West-Konflikts beobachtbar ist, und entwickelt die These der "asymmetrischen Kriege", der Wiedergeburt von Partisanen- und Guerilla-Aktionen mit anderen Vorzeichen.
Der Golfkrieg bietet Münkler nun die Möglichkeit, seine Thesen zu präzisieren, und sich zugleich wieder stärker dem außenpolitischen Rahmen militärischer Konflikte zuzuwenden. Denn in "Der neue Golfkrieg" fragt der Autor vor allem nach Ursachen und Folgen des derzeitigen Geschehens.
Seit Fazit ist ernüchternd. Die Differenzen zwischen der angloamerikanischen Kriegskoalition und den Kontinentaleuropäern seien mehr als nur kurzfristige Meinungsverschiedenheiten, argumentiert Münkler, und äußert sich "skeptisch, ob die gemeinsamen Werte zwischen USA und Europäern bei so unterschiedlichen Interessen, wie sie jetzt erkennbar werden, auf Dauer ein tragfähiges Fundament sind." Die nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten Strukturen werden brüchig, die Wertegemeinschaft des Westens könnte durch den Golfkrieg irreparablen Schaden nehmen und "bald einer vergangenen Epoche angehören."
Auf fast 180 Seiten entfaltet Münkler zunächst die Chronik eines "angekündigten Krieges" und geht detailliert den Motiven der US-Regierung nach. Nicht vordergründige Ölinteressen und keine "stupid white men" (Michael Moore) sind hiernach die kriegsentscheidenden Faktoren, sondern eine grundsätzliche Neudefinition der US-Außenpolitik durch die Bush-Administration in der Folge des 11.September 2001. Als Gründungsdokument wirkt die im September vergangenen Jahres veröffentlichte "Bush-Doktrin", nach der unter anderem "präventive" Intervention, also Krieg, zu den legitimen Mitteln der Politik gehören und in der die Vision, "eine neue Ordnung im Nahen Osten" zu etablieren, als ein vorrangiges Interesse der USA formuliert wird. Langfristig habe dies durchaus auch ökonomische Gründe, meint Münkler, neben dem Wunsch nach engen Handelsbeziehungen mit den neu zu schaffenden "Prosperitätsregimen", vor allem die Hoffnung, die Truppenpräsenz in der Region reduzieren zu können. Für Europäer mag all dies nach "Allmachtsphantasie" klingen, meint Münkler, "in der politischen Logik eines Imperiums, wie es die USA darstellen, sind Projekte dieses Zuschnitts weitaus plausibler. Die Differenzen zwischen USA und Europa haben darin ihre Wurzeln." Und die "Entfremdung vom neuen Empire" wird weiter zunehmen.
Welche Folgen hat das für Europa und für Deutschland? Münkler ist überzeugt: Europa wird sich entscheiden müssen zwischen der politischen Marginalisierung im Schatten der USA und damit dem Verzicht auf einen eigenen "weltpolitischen Gestaltungswillen," oder der Emanzipation von der Weltmacht.
Derzeit wird solch ein Ruf nach europäischem Selbstbewusstsein, nicht gegen, aber unabhängig von den USA, auch da, wo er von Linksliberalen wie Münkler kommt, immer noch vorschnell unter den Verdacht des traditionellen Antiamerikanismus der deutschen Konservativen und der klammheimlichen Sehnsucht nach einem "Deutschen Sonderweg" gestellt. Aber hinter Münklers Gedanken liegt eher das Beharren auf der - klassisch westlich aufgeklärten - Tradition republikanischer Gewaltenteilung, liberaler Machtskepsis und Verrechtlichung der Verhältnisse, wo die neuen Think Tanks der USA eher eine Gemeinschaft der "Willigen" beschwören.
Vielleicht, dies legen Münklers Überlegungen nahe, bedarf es noch mehrerer weiterer völkerrechtlich strittiger Kriege wie des derzeitigen, damit eine solche gemeinsame Interessensdefinition und Verteidigungspolitik der Europäer praktisch möglich wird. Einstweilen scheint Münkler mit dem bitteren Fazit seines Buches recht zu behalten: "Nicht die Europäer, sondern die Amerikaner, entscheiden über die zukünftige Entwicklung."
Ist das klassische Konzept des "gerechten Krieges" heute noch tragfähig?
Herfried Münkler: Nein, eigentlich glaube ich, dass das Konzept des "gerechten Krieges" auf die jetzigen Situationen nicht anwendbar ist. Die asymmetrischen Verhältnisse der Gegenwart sind dadurch gekennzeichnet, dass die eine Seite alle Macht und die andere alle Ohnmacht hat, dass die eine Seite alles Recht und die andere alles Unrecht hat. Aber was folgt daraus? Im Prinzip nur, dass die unterlegene Seite von vornherein kriminalisiert wird. Und die Folgen dieses Konzepts sieht man in Guantanamo und anderen Orts.
War nicht zumindest der Krieg gegen Hitler ein "gerechter Krieg"? Oder die jüngsten Einsätze im Kosovo-Konflikt?
Herfried Münkler: In der Retrospektive kann man vielleicht sagen: Der Krieg gegen Hitler ist ein gerechtfertigter Krieg gewesen. Aber ich wüsste nicht, welche Macht unter diesem Gesichtspunkt in diesen Krieg eingetreten ist. Die USA sicher nicht. Denen ist von Hitler der Krieg erklärt worden.
Kosovo: Vielleicht. Diese Formen militärischer Interventionen, bei denen man ja auch fragen muss, in welcher Weise es sich hier um Kriege handelt - da kann man vielleicht sagen, dass es gerechtfertigte Interventionen gewesen sind. Sie waren allerdings sehr begrenzt und dienten letztlich der Beendigung von Bürgerkriegen.
Sie haben die Gefangenenlager auf Guantanamo erwähnt. Kann man - auf der Ebene der Konzepte und Legitimationen - von einer Abschaffung des Krieges durch Weltpolizei-Aufgaben sprechen? Ist das, was jetzt passiert, eine erste Form von "Weltinnenpolitik"?
Herfried Münkler: In gewisser Hinsicht neigen wohl die Amerikaner tatsächlich dazu, sich im Sinne einer "Pax Americana" als Hüter der Ordnung zu verstehen und entsprechend zu agieren, dabei die UN als verlängerten Arm und als Legitimationsbeschaffer einzusetzen. Das ist natürlich eine Entwicklung, die von vielen nicht akzeptiert wird, auch mittlerweile von einer ganzen Reihe europäischer Staaten, aber von denen, die noch sehr viel weniger Einfluss und kulturelle Nähe zu den USA haben, noch viel weniger. Sodass man davon ausgehen muss, dass diese Praktizierung von Weltinnenpolitik dazu führen wird, dass der Widerstand in Form von terroristischen Aktionen wachsen wird.
Abgesehen davon, dass das natürlich das bestehende Völkerrecht fundamental unterhöhlt und in Frage stellt. Also: Es gilt hier gewissermaßen die Frage, die John of Salisbury einmal im Hochmittelalter im Hinblick auf den Vorherrschaftsanspruchs der Staufischen Kaiser gestellt hat: "Wer hat diese wilden und ungeschlachten Menschen zu Herren über die Völker gemacht?"
Das ist natürlich eine Frage, die jetzt gerade aus dem arabischen Raum, aber demnächst möglicherweise auch aus dem asiatischen Raum gestellt werden wird: Wer hat eigentlich die Amerikaner zu Herren über die Völker gemacht? Unter den Bedingungen des bipolaren Systems haben die Amerikaner schon eine Vorstellung davon gehabt, dass sie einen politischen Mehrwert daraus ziehen, wenn sie sich selber einbinden. Aber jetzt haben sie keinen Mehrwert mehr.
Haben sie den wirklich nicht mehr, oder glauben sie das nur?
Herfried Münkler: Kurz und mittelfristig haben sie wahrscheinlich keinen Mehrwert mehr. Langfristig hätten sie möglicherweise einen. Aber da doch politische Entscheidungsprozesse eher kurz- und mittelfristig erfolgen, als langfristig, und da die Amerikaner in der gegenwärtigen Situation und wahrscheinlich auf unabsehbare Zeit davon ausgehen können, dass ihnen in militärischer Hinsicht keiner Paroli bieten wird, neigen sie einfach dazu, diese Erfahrungen zu prolongieren Die Erfahrungen haben gezeigt, dass unilaterale Kriegsführung, gegebenenfalls mit "Koalitionen der Willigen" für sie als Problemlösung ausgesprochen attraktiv ist.
Jedenfalls kurzfristig. Denn schon in Afghanistan sieht man ja, dass das schon mittelfristig zu neuen Schwierigkeiten führt...
Herfried Münkler: Völlig richtig! Da versuchen sie ja auch, die mittelfristigen Probleme auszulagern. Die überlassen sie dann den Europäern mit dem schönen Ausspruch, dass sie "das Essen anrichten und die Europäer kommen zum Abwasch." Die Europäer werden ja auch mit einer gewissen Abfälligkeit als Putzfrauen bezeichnet. Und das ist natürlich eine Konstellation, die nachvollziehbar macht, warum es zunehmend in Europa, jedenfalls bei den etwas selbstbewussteren europäischen Nationen, einen Widerstand gegen diese Form amerikanischer Hegemonie gibt.
Hat diese Form von Widerstand denn möglicherweise einen positiven Effekt? In dem Sinn, dass sich Europa nun vielleicht genötigt fühlt zur Emanzipation von den USA? Ist es wünschenswert, dass sich Europa - das alte oder das neue - emanzipiert?
Herfried Münkler: Das ist schwierig. Bei den Europäern gibt es im Prinzip keine kohärente Selbstwahrnehmung. Das hat sich ja auch daran gezeigt, mit welcher Leichtigkeit es dem Weißen Haus gelungen ist, mit seinen vorgeschobenen Posten Blair und Aznar die Europäer gegeneinander auszuspielen, und insbesondere die kleinen mitteleuropäischen Staaten auf ihre Seite zu ziehen.
Aber wenn die Europäer nicht den Weg der politischen Marginalisierung gehen wollen, also weltpolitisch auf jeden Gestaltungswillen verzichten, Europa integrieren, aber eben nur als wirtschaftliche und verfassungsstrukturell organisierte Einheit, wenn sie im Unterschied dazu so etwas wie einen weltpolitischen Gestaltungswillen, bei dem sie ja zwangsläufig mit den USA konkurrieren, aufrechterhalten wollen - dann müssen sie wahrscheinlich zusehen, dass sie diejenigen, die dabei nicht im Ernst mitmachen wollen, auch abstoßen. Dann ist wahrscheinlich eine Perspektive auf Kerneuropa angezeigt, und müsste entsprechend verfolgt werden.
Oder ein Europa der konzentrischen Kreise - ein Konzept, das ja durchaus Sinn macht, und etwa andere Länder integrieren könnte, wie die Türkei, bei denen es bis zu einer Vollmitgliedschaft noch lang dauert...
Herfried Münkler: Ja. Mit der Türkei hätte man als Europäische Union ja tatsächlich eine Grenze zum Irak, aber auch zu Syrien. Die Probleme des vorderen Orient tangieren die Europäer geopolitisch in ganz anderer Weise als die USA. Aber das kann man sich ernstlich überhaupt erst auf die Schulter laden, wenn man sich vom politischen Willen, gegebenenfalls aber auch von den gemeinsamen militärischen Kapazitäten in der Lage sieht, sich dieses Problem aufzuhalsen. In der gegenwärtigen Situation kann man den Europäern dazu nur abraten. Weil das Ergebnis einer Selbstüberforderung dann doch nur ist, dass das, was an Integration geschafft wurde, unter einem solchen Problemdruck wieder rückgängig gemacht wird. Das beobachten wir ja gegenwärtig.
Sind die Europäer einfach objektiv - militärisch, wirtschaftlich, politisch - zu schwach, oder sind sie nicht willens genug, weil sich letztlich doch immer nationale Interessen durchsetzen?
Herfried Münkler: Militärisch sind sie zu schwach. Wirtschaftlich wird man das kaum annehmen müssen. Wenn Weltpolitik allein nach ökonomischer Potenz betrieben würde, dann würden Europäer und Amerikaner notorisch auf Augenhöhe stehen. Sobald militärische Faktoren ins Spiel kommen, sind die Europäer militärisch ein Zwerg, die Amerikaner ein Riese. Deswegen haben die Amerikaner natürlich auch ein Interesse, den einen oder anderen Konflikt militärisch zu handhaben, weil auf diese Weise das Gefälle gegenüber Europa, also letzten Endes ihre Dominanz zur Darstellung kommt. Wenn die Europäer weltpolitisch ernst genommen werden wollen, müssen sie auch die militärischen Kapazitäten besitzen, um ihren Willen zur Geltung zu bringen.
Um das jetzt am Irak zu verdeutlichen: Der Vorschlag von Paris-Berlin-Moskau auf Intensivierung und Ausweitung der Inspektionen war natürlich parasitär gegenüber der Ausweitung der militärischen Drohkulisse durch die Amerikaner. Ohne die wäre ja kein einziger Inspekteur ins Land gekommen. Insofern hat das natürlich auch immer was Schwächliches. Weil diese Position ganz vom amerikanischen Aufmarsch profitiert. Das heißt: Im Ernst wären die Europäer nur dann glaubwürdig, wenn sie in der Lage wären, eine eigene militärische Drohkulisse vergleichbarer Art dort aufzubauen, Inspekteure auf diese Weise ins Land hinein zu zwingen, aber dann aufgrund ihres eigenen politischen Willens in der Lage zu sein, die Drohkulisse nur als Drohkulisse zu handhaben, also auch wieder abzubauen und zu sagen: "Wir haben mit friedlichen Mitteln unser Ziel erreicht."
Wenn wir uns auf diese "Position der Acht" beziehen: Diejenigen, die in Europa vehement auf die amerikanische Seite springen, wie die Union hierzulande: Man spürt da etwas, das man Vasallenethik nennen könnte. Es gibt so ein Verhalten, in jedem Fall, koste es, was es wolle, "nibelungentreu" könnte man auch sagen, auf die Seite des Hegemon zu springen. Steht da ein politisches Ziel dahinter, oder ist das nur eine Form von Schwäche?
Herfried Münkler: Tony Blair und Frau Merkel gehen da ja einen nicht unriskanten Weg. Man muss abwarten, ob dieser Weg nicht über kurz oder lang ihren politischen Tod bedeuten könnten. Und auch wenn die Zahl derer, die Merkel dezidiert widersprechen, nicht groß ist, ist umgekehrt auch die Zahl derer, die ihr dezidiert beipflichten, gering. Für den amerikanischen Weg gibt es in Europa bei der Bevölkerung keine Mehrheiten, nirgendwo!
Auf die deutsche Innenpolitik bezogen: Die Diskussion leidet darunter, dass Frau Merkel auch aus dem Geist des spät Dazugekommenen die Bündnistreue gegenüber der USA in einer eigentlich nur vasallitisch zu bezeichnende Form bedient.
Andererseits gibt es in der Bundesregierung - zumindest was Schröder anbelangt, nicht unbedingt bei Fischer - eine auch problematische unmittelbare Orientierung an Stimmungen. Deutsche Außenpolitik hat so etwas Unkonturiertiertes, Schwammiges. Da ist keine klare Linie drin. Und das unterscheidet uns von Frankreich, England oder Russland: Dass man hier keine Vorstellung davon hat, was das Interesse der Bundesrepublik ist. Das ist der Angelpunkt. Wenn man sich verständigen würde: Das Interesse der Bundesrepublik ist bedingungslose Gefolgschaft gegenüber den USA, dann könnte man das vielleicht akzeptierten. Aber aus Dankbarkeit für Ereignisse von vor 60 Jahren - das ist keine tragfähige politische Basis.
Das Verhalten wirkt dann auch unglaubwürdig...
Herfried Münkler: Ja, das ist eine leicht zu durchschauende Form politischer Rhetorik. Das Problem der Deutschen ist, dass sie das transnationale Gerede auch geglaubt haben. Insofern gibt es bei uns keinen ernstlichen gesellschaftlichen Konsens, und insofern auch keine Basis gemeinsamen Interesses. Das erfüllt einen gegenwärtig, wo viele taktieren, ein bisschen mit Neid. Die Russen lassen sich ihre Position möglicherweise abkaufen - aber dann kostet es was. Die Franzosen - gut, das muss man sehen, aber ihre Interessen sind erkennbar. Die Türken haben ihre Interessen. Nur bei uns wird so eine ganz eigentümliche Diskussion geführt: Einerseits die Wertegemeinschaft und die Dankbarkeit, auf der anderen Seite der "deutsche Weg". Aber was ist hier der Zielpunkt? Das zeigt nur, dass nach der Vereinigung die Bundesrepublik noch nicht wirklich zu sich gefunden hat.
Jede Position, die eigene Interessen formuliert, wird als nationalistisch kritisiert?
Herfried Münkler: Ja. Die Franzosen und die Briten haben das Europaprojekt immer unter dem Gesichtspunkt des Eigeninteresses betrieben. Das brachte Sand ins Getriebe, aber auch eine gewisse Durchschaubarkeit des Agierens. In Deutschland ist das Europaprojekt zwar gelegentlich so kommuniziert worden, aber letzten Endes nicht wirklich überzeugend, weil klare Interessen nicht erkennbar waren.
Es wäre sicher auch erst mal zu diskutieren...
Herfried Münkler: Genau! Darüber müssten wir uns in einem breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess verständigen. Und wenn man sich darüber verständigt hat, dann ist das auch für die Partner in Europa und möglicherweise auch für andere eine gute Situation, weil sie ja dann wissen, was wir wollen und das auch erkennen und abmessen können. Unabhängig von Regierung und Opposition. Dass es gegenwärtig so läuft, wie es läuft, ist eine ausgesprochen unglückliche Situation. Wenn dann die Oppositionsführerin zu ihrem neuen großen Bruder nach Washington fährt, und sagt: "Ich bin aber ganz anders", dann zeigt dies nur, dass der gemeinsame Konsens fehlt.
Da Sie ja Historiker politischer Ideen sind: Welche Lektüre würden Sie denn den Politikern gegenwärtig empfehlen? Welcher Klassiker wäre denn der, von dem man zur Zeit besonders viel lernen kann?
Herfried Münkler: Thukydides! Die "Geschichte des Peloponnesischen Krieges". Ich glaube, dass die Situation der Athener, die sagen: Wir machen das alles schon. Und zwar militärisch. Ihr Bundesgenossen schickt uns allenfalls untergeordnete Kontingente, am liebsten verschont ihr uns aber mit Einwänden. Daraus kann man eine Menge lernen. Erstens wie die Situation der Bundesgenossen sich innerhalb kürzester Zeit dramatisch verschlechtern kann. Zweitens aber auch, wie imperiale Hybris in die Katastrophe führen kann.
Athen hat ja verloren...
Herfried Münkler: Am Schluss haben sie sich überfordert.
Und Bush ist kein Perikles...
Herfried Münkler: Bush ist kein Perikles, nein. Die Neigung der Amerikaner, ihre Erfolge zu überschätzen, und mit der Überschätzung ihrer Erfolge, ins Unheil zu rennen, ist unverkennbar - das ist eher die Politik, die die Athener nach Perikles betrieben haben.
Herfried Münkler: "Der neue Golfkrieg"; Rowohlt Vlg., Hamburg 2003, 175 Seiten, 12.90 Euro.
Vom gleichen Autor:
Herfried Münkler: "Über den Krieg"; Velbrück Vlg., Weilerswist 2002
Herfried Münkler: "Die neuen Kriege"; Rowohlt Vlg., Hamburg 2002