Für die Coronavirus-Pandemie ist die KP-China verantwortlich
Seite 4: 4. Wie wurde vertuscht und getäuscht?
Zwei Tage nach dem privaten, betriebsinternen Chat mit Kollegen und Studenten wurden Li und weitere Ärzte zunächst bei der Krankenhausleitung, dann beim Büro für öffentliche Sicherheit vorgeladen und beschuldigt, Gerüchte verbreitet und die öffentliche Ordnung gestört zu haben. Im Protokoll der polizeilichen Ermahnung heißt es: "If you insist on your views, refuse to repent and continue the illegal activity, you will be punished by the law. Do you understand?" Li Wenliang musste eine Unterlassungserklärung unterschreiben "Ich habe verstanden" und rot mit Fingerabdrücken markieren - wie ein Krimineller. Gleichzeitig wurde er verpflichtet, Stillschweigen zu bewahren.
"Ich verstehe", unterschrieb Li, verstieß jedoch gegen das Stillschweigegebot und veröffentlichte die von ihm unterzeichnete Erklärung auf Weibo. Einen Tag nach der Vorladung von Li und mehreren anderen Ärzten berichtete, laut China Digital Times, der staatliche Fernsehsender CCTV: "Einige Leute haben im Internet Informationen ohne Verifikation gepostet, die falschen Informationen weitergeleitet und für öffentliche Unruhe gesorgt. Die Polizei erinnerte jeden von ihnen daran, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Solche Handlungen werden nicht toleriert."
Viel später, im März, berichteten die chinesischen Medien, dass die Polizei sich bei der Familie von Li entschuldigt habe und dass gegen zwei Polizeibeamte in Wuhan, den Chef der Station und einen Mitarbeiter, Verwarnungen ausgesprochen worden seien. Lächerliche Bauernopfer auf allerunterster Ebene.
Drohen und einschüchtern. Die Kommunistische Partei Chinas fühlt sich so stark, dass sie selbst Daimler-Benz bereits 2018 rügte, den Dalai Lama auf Instagram zitiert zu haben. "Betrachte eine Situation von allen Seiten, und du wirst offener." Wisse Daimler denn nicht, so das offizielle Blatt der KP, die "Volkszeitung", dass man "sich die Chinesen zum Feind macht, wenn man dem Dalai Lama die stinkenden Füße hält"? Was wohl die Deutschen denken würden, wenn ein chinesischer Staatskonzern Adolf Hitler lobe? Daimler hat gekuscht und das Dalai-Lama-Zitat von seinem Instagram-Account gelöscht. Man bedaure, "die Gefühle des chinesischen Volkes zutiefst verletzt zu haben" - mit einem Post auf einem Netzwerk, das in China von der Zensur blockiert wird und offiziell gar nicht zugänglich ist.
Mehrere chinesische Journalisten sind verschwunden, die Corona-Berichte der Regierung in Frage gestellt hatten. So der 25 Jahre alte Li Zehua. Um als unabhängiger Journalist aus Wuhan zu berichten, hatte er seinen Job beim chinesischen Staatsfernsehen gekündigt. In Aufnahmen hatte er unter anderem heimlich Eindrücke aus einem Krematorium festgehalten - und festgestellt, dass der hohe Auslastungsgrad dort nicht mit den offiziellen Covid-19-Todeszahlen übereinstimmen konnte. Seine vorerst letzten Beiträge veröffentlichte er am 26. Februar. Li Zehua filmte sich in seinem Wagen, während er von der Staatssicherheit verfolgt wurde. Danach wandte er sich in einem Livestream in seiner Wohnung noch einmal an seine Hörerschaft. Seitdem fehlt von ihm jede Spur.
Die Regierung in Peking wies Mitte März 2020 mindestens 13 Korrespondenten von "New York Times", "Washington Post" und "Wall Street Journal" auf einen Schlag aus. Einen solchen Vorgang hat es in der chinesischen Geschichte noch nicht so gegeben. In China selbst wird das Internet zensiert wie immer. Begriffe wie "unbekannte Lungenkrankheit", "SARS-ähnliche Symptome" oder "Gesundheitskommission Wuhan" wurden unverzüglich gelöscht. Eine der Einrichtungen, die ständig verfolgen, was der Zensur in China gerade besonders am Herzen liegt, ist das Citizen Lab an der Universität Toronto.
Gleichzeitig startete China eine massive Propagandakampagne mit wirklich raffinierten und zeitgemäßen Mitteln. Der cool wirkende Nathan Rich stellt auf YouTube seine Corona-Chronologie vor, scheinbar sehr wissenschaftlich aufgearbeitet. Dabei kommt heraus, dass alle Gremien der Partei schnell und außerordentlich produktiv gearbeitet haben. Es kommt allerdings nicht vor, dass Li Wenliang und die anderen Ärzte bedroht und zum Schweigen gebracht wurden. Auf seiner Internetseite bietet Natan Rich T-Shirts in 28 Farben und Formen mit dem Aufdruck an: "It‘s OK to love China."
Am 10. Januar 2020 berichtete Li Wenlian auf Weibo, er sei selbst erkrankt und liege in seinem Krankenhaus. Alle Bemühungen, ihn zu retten, seien vergeblich gewesen, berichtete das Zentrale Krankenhaus von Wuhan. Ein umfassender Rettungsversuch sei fehlgeschlagen. Doch selbst um Lis Tod gab es noch ein unwürdiges Hin und Her: Scheinbar starb er am 7. Februar 2020 gegen 21 Uhr. Die Behörden sollen verboten haben, den Tod zu melden. Als sich die Nachricht dennoch verbreitete, wurde sie schnell zu einem der Hauptthemen in den sozialen Medien. Erstaunt über die starke öffentliche Reaktion tat das System - wieder einmal - das, was es am besten kann. Zensoren löschten alle Berichte - nur um sie später offiziell zu bestätigen. Lis Tod wurde zensiert, bis jemand entschied, dass die Öffentlichkeit davon erfahren sollte.4 Frank Sieren stellt es in seinem Bericht für die Deutsche Welle so dar: "Noch in der Nacht zu Samstag konnten sich die Staatsmedien nicht entscheiden, ob sie Lis Tod bekanntgeben sollten oder nicht." Für mehrere Stunden machten widersprüchliche Meldungen die Runde. "Wir wissen, dass sie lügen; sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen; und trotzdem lügen sie weiter", lautete ein vielgeteilter Post auf Weibo.
Acht Teilnehmer der Chatgruppe waren von der Polizei wegen der Verbreitung von "Gerüchten" vorgeladen, verwarnt und zum Schweigen gezwungen worden. Was mit den anderen sieben neben Li geschah, ist unbekannt. Eine Krankenschwester und ein Journalist, die die Situation im Krankenhaus mit Videos dokumentiert hatten, sind verschwunden.
Noch am 15. Januar 2020 gab die Gesundheitsbehörde Center for Disease Control and Prevention bekannt, dass keine Gefahr für die Bevölkerung oder für die Mitarbeiter des Gesundheitswesens bestehe, das Risiko einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung gering sei. Am 18. Januar 2020 fand in Wuhan die große (chinesische) Neujahrsparty statt, zu der mehr als 40.000 Familien zusammenkamen und Essen teilten, also weit mehr als 100.000 Menschen. Anschließend fuhren Millionen aus der Region Wuhan zu ihren Familien zum chinesischen Neujahrsfest ins ganze Land. Durchschnittlich fliegen 30.000 Menschen pro Tag vom Flughafen Wuhan ab. Am 19. Januar 2020 fiel eine Frau im südkoreanischen Incheon und ein Mann in den USA der Nähe von Seattle bei der Einreise mit Fieber auf. Beide 35 Jahre, beide kamen aus Wuhan an ihren Wohnort zurück, beide Covid-19 positiv, die ersten Fälle in diesen beiden Ländern.
Erst am 23. Januar 2020, Tage später, stellte die Regierung Chinas Wuhan und die Provinz Hubei mit 60 Millionen Einwohnern unter Quarantäne. Bereits am 17. Januar 2020 zweifelte das Imperial Collage in London die chinesischen Angaben an, nach denen es 1700 Erkrankte gäbe. Die Menge an inzwischen in anderen Ländern positiv getesteten spreche dagegen.
"Bild" berichtet am 24. Januar 2020, als bereits 26 Menschen gestorben waren, über den seit dem 1. Januar 2020 geschlossenen Markt in Wuhan: "Neben Fisch und Meeresfrüchten [gab es] auch exotische Tiere, die für Europäer eine kulinarische Zumutung wären, für Chinesen aber ausgesprochene Leckerbissen: Dort sollen nicht nur Schlangen, Ratten, Krokodile, Salamander und Stachelschweine verkauft worden sein, sondern laut 'South China Morning Post' auch Wolfsjunge, Pfauen und Koala-Bären. 112 Arten solcher Wildtiere sollen dort im Angebot gewesen sein. Sie wurden lebend an die Kunden verkauft oder frisch geschlachtet angeboten." Wer gegenüber "Bild" skeptisch ist, kann auch die FAZ vom 7. Februar 2020 als Quelle heranziehen: "Lebende Wolfswelpen, Pfauen und Larvenroller, eine Schleichkatzenart, hatte der Händler im Angebot. Auch Füchse, Riesensalamander und Krokodilfleisch. So stand es bis zum Neujahrstag auf der Preistafel eines Verkaufsstands namens Dazhong. Hinweise auf Zusammenhänge zwischen den Erkrankungen und diesem Markt findet man auch in "The Lancet" vom 24. Januar 2020.
Zwei Wochen später war ich selbst im Mekong-Delta auf so einem Markt. Als mir bewusst wurde, was dort alles angeboten wird, habe ich fluchtartig das Weite gesucht. Ich kann nicht im Detail bestätigen, welche seltsamen Tier dort aufgeschlitzt lagen - aber im Prinzip habe ich genau das gesehen, was ich aus den Fotos vom Markt in Wuhan kenne.
Da der Markt in Wuhan bereits am 1. Januar 2020 geschlossen worden war, muss man davon ausgehen, dass die Behörden Bescheid wussten. Die Behörden vernichteten alle dort verkauften Tiere. Damit wurde eine weitere Untersuchung so gut wie unmöglich. Lis Chatgruppe wollten ihre Erkenntnisse auf dem korrekten Amtsweg melden, der infolge der SARS-Epidemie einzuschlagen war. Das aber war nicht möglich, weil es noch keine Bestätigung der Gesundheitsbehörde gab, des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC). Darauf hätten die Ärzte womöglich noch Tage warten müssen. Nach ihrem Versuch, die Menschen per Chatgruppe und durch die persönliche Weitergabe von Informationen zu warnen, wurde ihnen verboten, in irgendeiner Form an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch das berichtet Josephine Ma in der "South China Morning Post". Die "feierliche Entschuldigung" der Partei gegenüber Li Wenliang war relativiert worden, indem man ihm gleichzeitig vorhielt, er habe nicht den vorgesehenen Weg eingehalten.
Die Kontrollwut der Kommunistischen Partei steht in China über allem. Die Verbreitung jeglicher Informationen wird überwacht, ob mündlich oder - noch leichter - im Internet. Unter Staatspräsident Xi Jinping nimmt die Sicherheitshysterie von Partei und Staat ganz neue Ausmaße an. Die Furcht ist unter seiner Herrschaft zurückgekehrt - "Die Neuerfindung der Diktatur".5
Wie es dazu kam, dass die Informationen über den neuen Virus früh vorhanden waren, aber nicht weitergegeben wurden, darüber berichtete Nis Grünberg vom Mercator Institut im "Tagesspiegel" vom 23. Februar 2020. Das Mercator-Institut für China-Studien ist ein führender deutscher Think Tank und der größte europäische Think Tank mit exklusivem Fokus auf China. Die gemeinnützige Organisation wurde 2013 von der Stiftung Mercator, einer der größten privaten Stiftungen Deutschlands, gegründet.
Im Fall des Coronavirus ist ganz klar, dass die Informationen früh weitergegeben wurden - nur nicht an die Öffentlichkeit. Der China-Experte Grünberg bestätigt, dass China über ein Meldesystem verfügt, das von Ärzten verlangt, Fälle wie Coronavirus-Infektionen an das Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) zu melden. Aber eine Weitergabe außerhalb der offiziellen Kanäle ist nicht vorgesehen und muss von Peking abgesegnet werden, so Nis Grünberg. Alles lief nach Plan: Die Ärzte haben gemeldet, die Zensurbehörde hat die Wahrheit über die lebensgefährliche Lage unterdrückt.
Parteifunktionäre oder Beamten auf lokaler Ebene unterdrückten die Information. In schwierigen Situationen warten chinesische Funktionäre unten lieber auf Anweisungen von oben. Es ist eindeutig: Nach der SARS-Epidemie 2003 wurde das verbindliche Meldesystem eingeführt. Ärzte müssen es für die Erfassung neuer Infektionen nutzen. Treten an einem Ort vermehrt Krankheitsfälle auf, werden die Lokalbehörden informiert und die nationale Gesundheitskommission übernimmt die öffentliche Bekanntgabe des Ausbruchs - oder auch nicht.
Die Gesundheitsämter auf lokaler und regionaler Ebene waren Ende Dezember 2019 ebenso informiert wie die zentralen Behörden und die Medien. Durch das Wissen über die SARS-Epidemie war allen die Bedeutung klar. Doch jede wichtige Entscheidung in China wird von Parteifunktionären getroffen - nicht von Fachleuten. Das Coronavirus breitete sich ausschließlich aus, weil die Partei die Information unterdrückte. Sie hat die nahezu absolute Macht über Medien und Internet.
Xi Jinping wurde nach Darstellung chinesischer Parteimedien spätestens bei einem Treffen des Politbüros am 7. Januar 2020 informiert. Erste 13 Tage später wurde die Öffentlichkeit gewarnt, er gab seine erste Stellungnahme am 20. Januar ab.