"Für mich bedeutet Friedensarbeit, Brücken zu bauen"

Nikolaikirche Leipzig

Nikolaikirche Leipzig, im Vordergrund das Denkmal für die friedliche Revolution. Bild: trabantos / Schutterstock.com

Zum Tag der Einheit ruft ein breites Bündnis zur Friedensdemo auf. In Berlin wird für Verhandlungen und gegen Aufrüstung protestiert. Doch die Bewegung ist gespalten. Ein Telepolis-Interview.

Für den 3.10.2024, den Tag der Deutschen Einheit, hat ein Aktionsbündnis zur bundesweiten Friedensdemonstration in Berlin aufgerufen. Sie steht unter dem Motto "Nein zu Krieg und Hochrüstung! Ja zu Frieden und internationaler Solidarität". Zu den Unterstützern gehören die Bundesvorstände von BSW und Linken, aber auch Persönlichkeiten und Gruppierungen aus SPD und Gewerkschaften sowie zahlreiche Friedensorganisationen.

Gefordert werden unter anderem Verhandlungen zur sofortigen Beendigung der Kriege in der Ukraine und in Gaza, der Stopp von Waffenlieferungen und keine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.

In Leipzig hat sich vor vier Jahren die Initiative "Leipzig bleibt friedlich" gegründet, die an die Tradition der friedlichen Revolution von 1989 in der DDR anknüpft und sich gegen den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle als Militärflughafen und Rüstungsstandort wendet.

Der Journalist und Afrikawissenschaftler Lutz Mükke war bereits in der DDR-Friedensbewegung aktiv, hat später als Korrespondent von zahlreichen Kriegsschauplätzen berichtet und die Initiative "Leipzig bleibt friedlich" auf den Weg gebracht. Dietmar Ringel hat mit ihm gesprochen.

▶ Werden Sie am 3.10. in Berlin dabei sein?

Lutz Mükke: Ja. Das ist mir wichtig.

▶ Die Unterstützer der Demo sind zwar breiter aufgestellt als vor eineinhalb Jahren bei der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Kundgebung. Allerdings gibt es auch dieses Mal von verschiedener Seite Kritik, weil im Aufruf zur Demo der Aggressor Russland nicht verurteilt werde. Deshalb lehnt etwa die Deutsche Friedensgesellschaft – KriegsdienstgegnerInnen ihre Teilnahme ab. Ist die Kritik berechtigt?

Lutz Mükke
Lutz Mükke

Lutz Mükke: Die Kritik zeigt, wie sensibel die Frage der Schuldzuweisung ist. Friedensbewegungen müssen jedoch vorsichtig sein, dass sie nicht in die Falle der Polarisierung tappen. Es ist wichtig, die Eskalation von Gewalt und Krieg zu verurteilen und Ross und Reiter zu benennen, ja. Gleichzeitig dürfen wir dabei nie das konstruktive Momentum aus dem Auge verlieren: Welche Wege gibt es zum Dialog und zur Mediation, damit das Sterben endet?

Fokus auf Beendigung von Leid und Zerstörung

Der Fokus muss auf der Beendigung von Leid und Zerstörung liegen, nicht auf Schuldzuweisungen. Für mich bedeutet Friedensarbeit, Brücken zu bauen, nicht Feindbilder zu verstärken. Die Kritik, dass der Aggressor Russland im Aufruf zur Demo nicht ausdrücklich verurteilt wird, ist verständlich, denn die russische Aggression in der Ukraine ist eine tragische Realität.

Aber verlieren wir bei all unseren Diskussionen und gegenseitiger Kritik nicht das eigentliche Ziel aus den Augen: alles zu tun, um den Krieg in der Ukraine und in Russland zu stoppen. Die Absage der Deutschen Friedensgesellschaft ist auch deshalb bedauerlich, weil eine solche Gelegenheit verloren geht, gemeinsam ein Zeichen zu setzen.

Keine Unterstützung, aber Aufruf

▶ Die katholische Friedensorganisation Pax Christi unterstützt den offiziellen Aufruf zwar nicht, lädt aber trotzdem zur Teilnahme an der Kundgebung ein. Ist das ein fauler Kompromiss oder ein richtiger Schritt, um die Friedensbewegung wieder breiter und stärker zu machen?

Lutz Mükke: Die Entscheidung von Pax Christi ist pragmatisch. Sie zeigt, dass es möglich ist, unterschiedliche Perspektiven innerhalb der Friedensbewegung zuzulassen, ohne sich zu entzweien und die an sich guten Motivationen anderer Akteure zu schwächen. Die Einladung zur Teilnahme signalisiert Offenheit und ein Streben nach einem breiteren Konsens und Wirkung, was gerade in Zeiten der Fragmentierung der Friedensbewegung sehr wichtig ist.

Keine bundesweite Friedensbewegung

▶ Kann man derzeit von einer bundesweiten Friedensbewegung sprechen?

Lutz Mükke: Nein, es gibt keine kohärente, bundesweite Friedensbewegung, wie sie in den 1980er Jahren in Westdeutschland aufgewachsen war. Und auch keine, wie sie in Ostdeutschland unter dem Dach der Kirchen Zuflucht gefunden hatte. Trotzdem sehe ich positive Tendenzen. Die Ratlosigkeit nimmt ab und der Vernetzungsgrad zu.

▶ Was meinen Sie mit Ratlosigkeit?

Lutz Mükke: In den vergangenen Jahren sind wir durch rasante gesellschaftliche Veränderungen gestolpert, die viele verdutzt und manchmal desorientiert und desillusioniert zurückgelassen haben. Nach der belastenden Zeit der Pandemie wurde ohne gesellschaftlichen Diskurs die "Zeitenwende" in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik verkündet, Bündnis 90/Die Grünen sind zu Claqueuren der militärischen Konfrontation geworden und der Spiegel hetzt "Lumpenpazifisten".

Lange kaum Expertenstimmen für Deeskalation

Expertenstimmen, die für Deeskalation in der Ukraine argumentieren, waren zu lange verstörend selten und dann oft nur sehr einsam in den tonangebenden gesellschaftlichen Debattenräumen präsent. Krieg als Mittel der Konfliktbewältigung ist wieder völlig salonfähig und "normal" geworden.

Diese extrem harte Gangart, bei der oft Alternativlosigkeit vorgegaukelt wird, kann einer Demokratie nicht guttun und wird bedauerlicherweise in den vergangenen Jahren sicher auch zum galoppierenden Vertrauensverlust in Politik, Medien und sogar im Gesellschaftssystem beigetragen haben.

▶ Was fehlt derzeit, um Aktionen wie in den 1980er-Jahren zu wiederholen?

Lutz Mükke: Nichts. Es ist wirklich alles da und es ist höchste Zeit. Friedensinitiativen müssen jetzt stärker miteinander ins Gespräch finden. Wer miteinander kann, soll sich vernetzen und digital modernisieren. Auf die Themen Friedensdiplomatie, Mediation und Gewaltlosigkeit sollte man sich einigen können. Auch darauf, gemeinsam kriegstreiberischen Diskursen zu begegnen.

Frieden und Wahlkampf

Über die Formate und Aktionen muss man beraten. Relativ naheliegend wäre, "Krieg & Frieden" 2025 zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen – und vor der Bundestagswahl bspw. Forderungen an die Politik zu formulieren, dazu die Positionen der Parteien abzufragen und daraufhin klare Wahlempfehlungen herauszugeben.

Nur wer sich wahrhaftig für Friedensdiplomatie einsetzt, bekommt unsere Stimmen. Oder andersherum: Kriegstreiberei muss zu Machtverlusten führen.

▶ Was macht die Initiative "Leipzig bleibt friedlich"?

Lutz Mükke: Wir haben uns 2019 gegründet. Impuls waren Ansiedlungspläne für ein Flottenmanagement-Zentrum für bis zu 60+ Militärgroßhubschrauber von Lockheed Martin/Sikorsky und Rheinmetall in Leipzig.

Wir sehen uns in der Tradition der Friedlichen Revolution von 1989 und empfanden dieses Ansinnen als respektlos unserem Erbe gegenüber. Das ausdauernde Schweigen der Leipziger Stadtgesellschaft dazu und der mediale Applaus für ein paar versprochene Arbeitsplätze stießen uns damals auf. Vor diesem Hintergrund haben wir dann das Konzept "Weltfriedensort Leipzig" entwickelt.

Friedlicher Protest und Widerstand

▶ Was für ein Konzept ist das?

Lutz Mükke: Im Prolog des Konzeptes steht: "Was in Leipzig 1989 gelungen ist, hat Weltgeschichte geschrieben. Die eine Seite hat mit Kerzen und Transparenten friedlich demonstriert und Widerstand geleistet und die waffenstarrende andere Seite hat nicht geschossen. Leipzig hat einen wesentlichen Anteil am Fall der Berliner Mauer.

Und das kann man einordnen in welthistorische Ereignisse wie den Marsch der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung auf Washington oder den zivilen Ungehorsam gegen die britische Kolonialherrschaft in Indien, angeführt von Mahatma Gandhi. Dieses Erbe und der gewaltfreie Geist der friedlichen Revolution soll auf künftige Generationen ausstrahlen und helfen, aktuelle Krisen zu lösen. Leipzig hat die Chance, glaubwürdig und aktiv zum Weltfrieden und zur internationalen Verständigung beizutragen."

Kurz: Wir denken, dass man den Standort Leipzig klüger nutzen kann, als Militär und Rüstungsunternehmen anzusiedeln. Man baut auch keine Rindermastanlage in ein Trinkwasserschutzgebiet.

Deshalb haben wir demonstriert, eine Petition auf den Weg gebracht, hunderte Gespräche geführt, Diskussionsveranstaltungen und Friedensgebete organisiert, Karikaturen in Umlauf gebracht und ca. 800 persönliche Briefe an Entscheidungsträger vom Kanzleramt, Verteidigungsministerium, Bundestag, über Ministerpräsidenten und Bürgermeister bis zu Ortschaftsräten geschrieben, um diese Ansiedlungen abzuwenden.

Und wir meinen, wir haben ein wenig dazu beigetragen, dass die Entscheider auf Bundesebene gegen die Ansiedlungen am Flughafen Leipzig votiert haben.

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▶ Wer macht bei Ihnen mit?

Lutz Mükke: Ganz normale Leute: eine Kindergärtnerin, ein Architekt, eine Kulturwissenschaftlerin, ein Journalist, eine Chefredakteurin, ein Arzt, ein Geschäftsführer, ein Betriebsrat, Arbeitslose, Rentner, Schüler, ein Grafiker – alle verbinden etwas mit "Nie wieder Krieg!" und mit 1989.

Gerhard Schöne unterstützt uns, Margot Käßmann, Hans-Eckart Wenzel, Konstantin Wecker, Uni-Professoren, Handwerker, Pfarrer, eine Anwaltskanzlei. Vor zwei Wochen haben wir auch die Schwerter-zu-Pflugscharen-Allianz gegründet und zusammen mit acht Friedensinitiativen aus der Region den "Klosterbucher Appell" verabschiedet, der Friedensinitiativen und -gruppen dazu ermuntert, sich stärker zu vernetzen und zu kooperieren.

▶ Am 7. Oktober laden Sie zum Friedensgebet in die Leipziger Nikolaikirche ein. Der nigerianische Bischof Matthew Kukah wird sprechen. Warum gerade er?

Weil er ein guter, kluger Mann ist, der ungezählten Menschen das Leben gerettet hat und der sich seit Jahrzehnten für Frieden und Mediation in Nigeria einsetzt, einem Land, das stark von ethnischen, religiösen und Verteilungs-Konflikten geprägt ist. Er hat seinen Bischofssitz in Sokoto, im Sharia-geprägten Norden Nigerias. Dort arbeitet er im engen Dialog mit muslimischen Würdenträgern.

Kukah war auch daran beteiligt, den verheerenden Konflikt zwischen den Ogoni gegen den Erdölkonzern Shell im Niger-Delta zu beenden. Um voneinander zu lernen, müssen wir Friedensbewegung auch international denken und vernetzen. Deshalb unterzeichnen wir während des Aufenthalts von Bischof Kukah in Leipzig auch feierlich einen Kooperationsvertrag mit dem Kukah-Zentrum in Nigeria. Wir passen gut zusammen.