Vermisst: Friedensbewegung

Peacezeichen klammert Atomwaffe

Sogar Rüstungsfans fragen sich, wo die Friedensbewegung bleibt. Neue Raketen Richtung Russland, doch niemand schreit auf? Einige schon – aber wie?!

Gründe für eine neue massenhafte Friedensbewegung, wie sie sich Anfang der 1980er-Jahre bildete, gibt es reichlich: Wie damals wollen die USA Raketen mit einer Reichweite in Deutschland stationieren, die Ziele bis tief in Russland erreichen können. Es geht um Marschflugkörper (Cruise-Missiles), Flugabwehrsysteme und Überschallraketen.

Letztere entwickeln die USA derzeit. Sie sind besonders schnell und wendig, können daher von der feindlichen Abwehr nur schwer abgefangen werden. Das gilt auch für die neuen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk BGM 109. Sie peilen Ziele in bis zu 2.500 Kilometer Entfernung an, fliegen in sehr niedriger Höhe mit bis zu 900 Kilometern pro Stunde.

Der Abschuss kann von See erfolgen wie auch vom Boden aus. Zunächst sollen nur konventionelle Sprengköpfe zum Einsatz kommen. Aber sie können durch Atomsprengköpfe ersetzt werden.

Wir hätten gern ein paar richtig weit fliegende Raketen, okay?

Die Initiative ging von den USA aus, hieß es zunächst. Es sei eine Entscheidung der amerikanischen Administration gewesen, erklärte ein Sprecher der Bundesregierung. Ende Juli förderte allerdings die Süddeutsche Zeitung zutage: Mitnichten, bereits vor einem Jahr hätte die Bundesregierung vertrauliche Gespräche mit den USA begonnen1:

Ob sich die Amerikaner die Stationierung weitreichender Waffensysteme in Deutschland vorstellen könnten? Das stieß auf Wohlwollen.

Süddeutsche Zeitung, 27. Juli 2024

Ob unter US-amerikanischem Druck oder auf eigenen Wunsch: Die deutsche Regierung steht hinter dem Plan, bis 2026 diese Waffen hierzulande zu stationieren. Sie sollen allerdings nur so lange bleiben, bis Deutschland und weitere europäische Länder selbst vergleichbare Raketen und Cruise-Missiles herstellen können. Dann könnte Europa ganz eigenständig Russland militärisch Paroli bieten – oder noch mehr.

Mit der Entscheidung werde ein "Zeichen der Stärke" gesetzt, verlautete folgerichtig aus Berlin.

Russland hat massiv aufgerüstet und unser Territorium bedroht. Und weil es aber nicht reicht, nur abzufangen, muss man auch in der Lage sein, jemanden abzuschrecken, damit er nicht angreift. Deshalb haben wir ja auch schon längst Marschflugkörper in unserem Bestand. Jetzt brauchen wir weiterreichende Waffen, damit es nicht zu einem Krieg kommt.

Olaf Scholz im ARD-Interview

Wenn ein deutscher Songtext übersetzt werden muss

Das alte Lied also: "Wir" werden bedroht, da müssen "wir" uns doch dagegen wehren! Und wieder singen es beinahe alle brav mit. Obwohl der Songtext in Deutsch ist, muss man ihn übersetzen. "Wir" heißt für einen Bundeskanzler sein Staat, den er mit aller Macht gegen die vielen anderen Mächte in der Welt vertritt und seine Interessen gegen Partner, Rivalen und Feinde durchzusetzen versucht.

Dabei stoßen dieser Staat und sein Chef auf Gegenwehr. Denn die anderen Staaten verfolgen ebenfalls ihre Interessen in puncto Macht und Einfluss, um die besten Bedingungen für ihre jeweilige Reichtumsproduktion, sprich ihr liebes Kapital, zu schaffen.

Das Volk kommt in dieser Betrachtung der herrschenden Elite als Material vor: Als Garant für sprudelnde Gewinne, die dem Staat seine kostspieligen Ausgaben für die Aufrüstung finanzieren. Die wenigen, die das nötige Kapital besitzen, und die vielen, die dafür arbeiten. Und wenn es zum Waffengang kommt als ausreichend großes Reservoir von Menschen, die ihr Leben einsetzen und andere Leben vernichten. Das zum Lied vom "Wir"…

Der unverzeihliche Fehler Russlands: Sich aufführen wie eine Weltmacht

In dem endlosen Kampf der Staaten gegeneinander hat sich nicht erst seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs Russland als der aktuell größte Gegner für den Westen entpuppt.

Genauer gesagt: für die USA. Und das nicht, weil Moskau den globalen Erfolg der US-amerikanischen Kapitalisten gefährdet. Sondern weil sich in der "regelbasierten Ordnung" immer noch ungehöriger Weise ein Staat wie eine Weltmacht aufführen will, und zwar nur dank seiner überragenden Atomstreitmacht.

Direktiven und Erpressungen aus Washington – Präsident Biden erklärte noch kürzlich, dass er "die Welt regiert" – prallen daher an Russland ab.

Und wenn die USA alles daransetzen, mit der Ukraine einen weiteren sehr wichtigen Militär-Vorposten gegen Russland aufzubauen, schreitet eben dieses Russland zur Tat. Es geht dagegen mit Gewalt vor.

Denn alle Verhandlungsangebote hatte der Westen zuvor brüsk abgelehnt. Die viel beschworene europäische Sicherheitsarchitektur hat für die russischen Sicherheitsinteressen keinen Platz.

Man kann es auch weniger abgehoben formulieren: Die Nato lässt sich von Russland nicht davon abhalten, nach fast allen ehemaligen Staaten des einstigen Militärbündnisses "Warschauer Pakt" auch die Ukraine zu einem Aufmarschgebiet zu machen.

Wer rückt hier eigentlich seit Jahren gegen wen vor?

Seit dem Ende der Sowjetunion 1990 hat sich die Nato immer weiter Richtung Russland ausgedehnt. Auch in den anderen Kontinenten, neuerdings verstärkt in Asien mit Blickrichtung gegen China, ist sie aktiv. Von einer vergleichbaren Ausdehnung Russlands, geschweige denn von einem russischen Militärbündnis als Gegenpol zur Nato ist nichts bekannt.

Das zum Thema, wer in der Weltpolitik aggressiv vorgeht. Das nordatlantische Verteidigungsbündnis begreift mittlerweile die ganze Welt als ein Feld, auf dem die Freiheit verteidigt werden muss. Die Freiheit, ohne Gegenwehr anderer Staaten seine Interessen durchzusetzen.

Kurzum: Die Zeichen stehen auf Krieg. Eine große Front wird in Europa aufgebaut. Wie vor rund 40 Jahren sollen in Deutschland Waffen stationiert werden, die den Feind in Moskau empfindlich treffen und ihn als relevante Macht ausschalten, "enthaupten".

Dass sich dieser das nicht ungerührt ansehen wird, ist klar. Es droht also ein Schlachtfeld in Europa, mit Deutschland als Zentrum.

Horrorvision anno 1983: das gefährlichste Jahr im Kalten Krieg

Das war auch die Horrorvision der Friedensbewegung 1983 gewesen. In dem Jahr, "in dem die Pershing-II-Raketen in Deutschland stationiert wurden, und es war das Jahr, das vermutlich das gefährlichste während des gesamten Kalten Krieges war", wie sich der Deutschlandfunk vor zehn Jahren erinnerte.

Und doch gehen nicht wie damals Hunderttausende auf die Straße. Im Februar 2023 kamen in Berlin nach Zählung der Polizei 13.000 Menschen zusammen. Die Veranstalter sprachen hingegen von 50.000. Irgendwo dazwischen wird wohl die Wahrheit liegen.

Die Teilnehmer waren dem Aufruf der damaligen Noch-Linken Sahra Wagenknecht und der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer gefolgt. In ihrem Friedensappell forderten sie einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und den Beginn von Verhandlungen.

Raketen gegen Russland? Ach ja, muss wohl sein, sagt die Öffentlichkeit

Ihr Appell galt aber als mittlerer Skandal, verhallte ungehört. Im Gegenteil erhöhte die Bundesregierung die Waffenlieferungen und die eigenen Rüstungsanstrengungen, inklusive der Anwerbung von mehr Soldaten für die Bundeswehr. Im November 2023 versammelten sich erneut rund 10.000 bis 20.000 Menschen zu einer weiteren Demonstration mit ähnlicher Stoßrichtung.

Nun folgt – neben diversen Aktivitäten am "Antikriegstag" 1. September auf lokaler Ebene – ein erneuter Aufruf zu Friedensaktionen und zu einer bundeszentralen Demonstration am 3. Oktober, wieder in Berlin: "Nein zu Deutschland als Kriegspartei – Nein zu neuen Mittelstreckenraketen!".

Ein Aufschrei in der deutschen Öffentlichkeit ist indes nicht zu vernehmen. Selbst die Aufrüstung befürwortende Medien wundern sich, wie unaufgeregt die Mitteilung über die neuen Waffensysteme und die rasche, ohne parlamentarische Umständlichkeiten durchgezogene Beschlussfassung aufgenommen wurden.2

Die Organisatoren der kommenden Demonstration in Berlin gehen daher realistischerweise nicht von einer großen Teilnehmerzahl aus, wie 1983 in Bonn und anderen Großstädten. Insgesamt protestierten damals rund 1,3 Millionen Bürger gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen.

Eine Minderheit sagt dennoch: Nein! Schon mal eine Ansage

Immerhin, eine Friedensbewegung ist noch da – trotz der zahlreichen Anfeindungen, bei ihr handelte es sich um eine Ansammlung von "Lumpenpazifisten" oder "Putinverstehern". Leider begeht sie aber viele der Fehler von damals.

Doch zunächst sollte festgehalten werden, was sie der verbreiteten Zustimmung für die Kriegsvorbereitung entgegenhält. Der Titel des Aufrufs stellt sich gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung und gegen die Stationierung der Russland ernsthaft bedrohenden Waffen. Das ist schon einmal eine Ansage.

Die Strategie, den Gegner niederzurüsten, ist von den Militärs der Nato-Führung vorgegeben und verfolgt in erster Linie die Interessen der USA. In Wiesbaden entsteht mit 700 Militärs die Nato Security Assistance and Training for Ukraine (NSATU), 40 davon stellt die Bundeswehr.

Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V.

Das mit dem "Niederrüsten" hat zum Ende der Sowjetunion beigetragen, warum soll das nicht auch mit Russland funktionieren? Und den Russen in der Ukraine ein "zweites Afghanistan zu bescheren", trägt dazu gewiss bei. Insofern hat der Aufruf die offensive Stoßrichtung bei diesem entscheidenden Aufrüstungsschritt erkannt, der wieder einmal als "Nachrüstung" verkauft wird.

Auch, dass es im Interesse der USA liegt, möglichst nah an den Grenzen des erklärten Feinds weitere kriegsentscheidende Waffen zu platzieren. Es muss nicht nur die Ukraine sein …

Kriege überall in der Welt: schlimm, sicher. Aber hier? Geht gar nicht!

Insofern ist die Befürchtung der zur Demonstration Aufrufenden plausibel: "Die Gefahr eines großen Krieges in Europa droht wieder zu einer denkbaren Zukunft zu werden", heißt es weiter. Nur kommt dabei merkwürdigerweise kein Akteur vor.

Eine Gefahr droht, eine denkbare Zukunft zu werden? Wo jetzt schon auf allen Kanälen die Befürworter von Kriegstüchtigkeit und militärischer Resilienz die Sache explizit herbeireden und teils auch mit dem Datum des Kriegsausbruchs aufwarten.

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Und man könnte auch einwenden: Ach, wenn ausnahmsweise das Aufeinandertreffen staatlicher Gewalten nicht irgendwo weit weg passiert, sondern vielleicht bald vor der eigenen Haustür, dann wird man zum Kriegsgegner?

Dass der Westen unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands ständig Kriege anzettelt und befeuert – Jugoslawien mitten in Europa, Irak, Afghanistan, Syrien, Ukraine und Gaza, um nur die größten zu nennen – taugt nicht für eine ausgewachsene Friedensbewegung?

Da müssen erst Mittelstreckenraketen kommen, weil ihr Ziel, Russland, zurückschießen und so das bis dahin scheinbar so friedlich in der Welt tätige Deutschland zerstören könnte?

Die Friedensmacht Europa befeuert Kriege und zettelt welche an

Nun gut, wenn dies der Auslöser dafür ist, einmal gründlich über das nachzudenken, was Staaten treiben und warum es zwischen ihnen stets eine Frage des Gewaltverhältnisses ist – dann kann daraus mehr werden als eine rein nationale Sorge um das Bestehen der Heimat. Allein, der Aufruf gibt dafür wenig Anlass zur Hoffnung. Zwar wird der Blick schon über Deutschland hinweg auf Europa gerichtet – aber wie:

Das EU-Europa, das sich in eine wachsende Abhängigkeit gegenüber den USA begeben hat, muss wieder zu einer eigenständigen Friedensmacht werden, in der die Diplomatie im Zentrum steht.

Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V.

Friedensmacht EU? Wie früher in der guten alten Zeit, wann immer die war? Hoffnung soll man setzen auf ein Zweckbündnis von Staaten, die ein anspruchsvolles Ziel eint?

Nämlich: gemeinsam in der Konkurrenz um Macht und Reichtum in der Welt gegen die anderen Weltmächte zu bestehen und dem großen Rest die Bedingungen für ihre Teilhabe zu diktieren – das Ganze eben im Kollektiv, weil die Betreffenden das allein nicht können.

Entsprechend haben sie sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Staaten beteiligt, siehe Irak oder Afghanistan, oder sich gleich als Ordnungsmacht aufgeführt, siehe Jugoslawien. Letzteres hat nicht ganz geklappt, so großmächtig war der – zerstrittene – europäische Verein nicht; bisher nicht! Die USA mussten die Sache gegen die Serben letztlich entscheiden.

So haben die USA auch aktuell in der Ukraine einen europäischen "Ordnungsfall" zu ihrer Angelegenheit gemacht. Und damit ist die Frage aufgeworfen, wie sehr sich speziell Deutschland als "Führungsmacht" (Scholz) aufstellen und behaupten kann.

Verhandeln? Wenn es vorteilhaft ist – sonst wird weiter geschossen

Die EU verfügt schlicht nicht über die ausreichenden militärischen Mittel, um in solchen Fällen den Gegnern eine überlegene Macht entgegenzusetzen. Das ärgert die führenden EU-Staaten, allen voran Deutschland. Sehr gern würde man eine eigenständige Friedensmacht werden. Also wird aufgerüstet, was der Euro hergibt.

Dann könnte die Diplomatie im Zentrum stehen: Mit ordentlich viel Panzern, Drohnen und Raketen im Rücken die Kriegsparteien zu Verhandlungen zwingen oder selbst die besten Karten haben, wenn man als Kriegspartei in einer Verhandlung das vorteilhafteste Ergebnis erzielen will. Und bei alldem nicht auf die USA angewiesen zu sein. Gegebenenfalls sogar gegen deren Interessen handeln zu können.

Von einer solchen Friedensmacht ist daher kein Frieden zu erwarten. Im Aufruf wird jedoch gerade darauf gesetzt:

Frieden braucht eine "Europäisierung Europas" und eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur. Mehr Gemeinsamkeit in unserer Welt mit Staaten unterschiedlicher Ordnung kann nur heißen: Nord-Süd-Solidarität, Gemeinsame Sicherheit und Nachhaltigkeit.

Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V.

Sicherheitsarchitektur: ein Haus mit lauter potenziellen Feinden

Dem ständigen Gerede der Politiker von "Sicherheit", "Sicherheitsinteressen" und "Sicherheitsarchitektur" setzt der Aufruf nichts entgegen, im Gegenteil: Das soll nur bitte schön "gesamteuropäisch" und mit "mehr Gemeinsamkeit" gehandhabt werden. Eine Friedensbewegung dürfte sich schon die Frage stellen, was es mit dieser "Sicherheit" auf sich hat.

Denn hinter diesem Begriff verbirgt sich der Anspruch eines jeden Staates, dass sein Handeln nicht auf eine ernst zu nehmende Gegenwehr trifft. Dabei geht "Sicherheit" wie selbstverständlich davon aus, dass es immer viele Gründe gibt für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Staaten – und das stimmt ja auch.

Die Nationen der "ersten Welt" sind nicht qua Geburt in diese Position gekommen. Sie haben sich ihre hervorragende Stellung mit erfolgreicher Ausbeutung nach innen wie nach außen verschafft, flankiert gegenüber den Verlierern der globalen Konkurrenz durch ihre überragenden Streitmächte, zuvorderst durch das stärkste Militärbündnis aller Zeiten, die Nato.

Ihre Konkurrenz untereinander stellen diese Staaten allerdings deshalb längst nicht ein. Sie wird nur – bis auf Weiteres – ohne Anwendung von militärischer Gewalt ausgetragen. Ökonomische Gewalt, bis hin zu Handelskriegen, ist durchaus zugelassen und wird ausgiebig angewendet.

Selbstverständlich auch gegen solche Erzfeinde wie China, die sich angeblich ungerechtfertigte Vorteile auf dem vom Westen beanspruchten Weltmarkt verschaffen. Auf eine militärische Fortsetzung dieser Konkurrenz bereitet sich bekanntermaßen die USA mitsamt ihren Verbündeten seit Jahren intensiv vor.

"Mehr Gemeinsamkeit" in der Staatenwelt? Ein buchstäblich frommer Wunsch

Wie soll sich bei diesen ständigen Händeln der Staaten gegeneinander "mehr Gemeinsamkeit" einstellen? Wenn alle Gründe, für diese Konflikte bestehen bleiben – also jeder Staat auf seine Sicherheit gegen seinesgleichen bedacht ist, entsprechend sich mit Gewalt ausstattet? Und überhaupt: Was ist eine größere "Gemeinsamkeit" als die Nato? Da schließen sich Staaten zusammen gegen gemeinsame Gegner. Mehr davon?

So meint der Aufruf das natürlich nicht. Sondern irgendwie sollen die Staaten "mit unterschiedlicher Ordnung" besser miteinander auskommen. Da ist manches "Wort zum Sonntag" näher an der Realität.

Eine Ahnung von dem konfliktträchtigen Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern in der Staatenwelt deutet zumindest der Wunsch nach Nord-Süd-Solidarität an. Aber was soll das sein? Sich solidarisch mit dem Elend zu zeigen, das Deutschland in den meisten Ländern dieser Erde mit erzeugt hat und von dem es profitiert?

Bei diesen Staaten hat der Norden im Wesentlichen nur Interesse am reibungslosen Import von dortigen Wertstoffen, der Abwehr, gegebenenfalls Auslagerung von Flüchtlingen und der Bekämpfung derjenigen Terroristen, die diesen Norden hassen.

Der Hinweis auf "Nord-Süd" verfehlt allerdings darüber hinaus das Thema: Es stehen sich schließlich West und Ost gegenüber, wenn man schon in diesem groben geografischen Schema denkt. Da hilft Solidarität mit den verarmten Zaungästen im Süden wenig.

Friedensbewegung mahnt: Aufpassen bei der Kriegsvorbereitung!

"Deutschland droht, in den Krieg abzurutschen (…) Unser Land wird zur Kriegspartei", heißt es am Ende des Aufrufs.

Da beschließt ein Staat das größte Aufrüstungsprogramm seiner Geschichte, stattet eine Kriegspartei mit immer mehr Waffen und sehr viel Geld aus, bekämpft die andere Kriegspartei mit allen möglichen Sanktionen und kurbelt eine Kriegspropaganda ohnegleichen gegen das Böse im Osten an, die von jedermann eine entsprechende Parteinahme einfordert – und die Friedensbewegung hebt den Finger und mahnt: Vorsicht! Nicht, dass das außer Kontrolle gerät und wir uns auf einmal im Krieg befinden!

Das wird nicht passieren, sagt der Bundeskanzler stets aufs Neue. Seltsam, diese Sicherheit auf unserer Seite! Zum Krieg gehören aber bekanntlich mindestens zwei Staaten.

Und die andere Seite, Russland mit seiner Ausgeburt des Bösen namens Wladimir Putin als Chef, gilt laut hiesiger Lesart als extrem unberechenbar, bösartig und brutal. Wie kann Olaf Scholz da sicher sein, dass der Feind im Osten die Aufrüstung nicht als Kriegserklärung versteht?

Offenbar glaubt man an dieser Stelle nicht der eigenen Propaganda. Sondern setzt tatsächlich auf eine sehr berechenbare Kalkulation der Gegenseite, die jetzt auf einmal als normaler Akteur im Staatenverkehr zur Kenntnis genommen wird.

In der Tat, die Kalkulation in Moskau lautet, wenn man einmal das moralisch aufgerüstete Feindbild des Westens beiseitelässt: Uns geht es um die Ukraine. Sie darf kein Nato-Stützpunkt werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Es ist dieses russische Sicherheitsinteresse, was stört, und nicht ein angeblicher (Neo-)Imperialismus in Moskau, der die ganze Welt erobern will.

Krieg verhindern: Den handelnden Politikern in den Arm fallen

In ein paar Jahren, wenn Deutschland und Europa plangemäß – mit und ohne die USA – militärisch hochgerüstet und mit den entsprechenden nuklearen Potenzen ausgestattet sind, kann das anders aussehen.

Dann sieht sich Russland einer weit größeren Phalanx von kriegsentscheidenden Waffen gegenüber. Nur wird dann nicht in den Krieg abgerutscht, sondern in konsequenter Fortsetzung der gegenwärtigen Kriegsertüchtigung gehandelt. Wie übrigens immer in solchen Fällen.

Eine Bewegung, die eine gezielte Kriegsvorbereitung verhindern will, sollte daher den Handelnden in den Arm fallen – und ihnen nicht mit falschen Erklärungen zugutehalten, nur Getriebene in einem fatalen System zu sein.