"Für mich ist 'neoliberal' ein Ehrentitel"

Seite 2: Aus Skrupellosigkeit und unethischen Methoden entsteht kein wirtschaftlicher Erfolg

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Zustimmung. Eines der Probleme, das ich sehe, wenn Kritik an den Reichen geübt wird, ist, dass die Kritik sowohl nach oben als auch nach unten zu eindimensional ist. Weder sind alle Reichen "schlechte" Menschen, noch sind alle Armen automatisch "gute" Menschen. Menschen sind Menschen. Verwerfliches Verhalten gibt es - aus den unterschiedlichen Gründen - in allen Schichten und Klassen. Es wäre wohl ein großer Fehler, wenn man die eine Gruppe verdammen und die andere in den Himmel heben würde.

Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Wer über sehr viel Vermögen verfügt, hat einen ganz anderen Handlungsradius und eine ganz andere Handlungsmacht als der Bäcker mit seinem kleinen Laden an der Ecke - und damit kann er dann eben auch einen größeren Schaden anrichten.

Rainer Zitelmann: Aber ist einer moralisch besser als der andere, nur weil er weniger Handlungsmacht hat? Ist einer, der 1000 Euro Steuer hinterzieht, weil er eben nicht mehr hat, moralisch besser als derjenige, der 100.000 Euro hinterzieht? Unehrliche und auch skrupellose Menschen gibt es in allen Einkommens- und Vermögensklassen: bei Reichen ebenso wie bei Armen, in Villenvierteln wie in Slums.

Ich denke, wer reichen Menschen pauschal unterstellt, sie seien durch besondere Skrupellosigkeit und unethische Methoden reich geworden, der versteht nicht, wie wirtschaftlicher Erfolg entsteht. Vielleicht trösten sich manche Menschen, die selbst nicht reich geworden sind, auch einfach damit: "Ich bin ein guter und ehrlicher Mensch und daher konnte ich nicht reich werden." Als Trostpflaster mag das gut sein, aber gesellschaftliche Wirklichkeit wird damit nicht erklärt.

Aber wie gesagt, ich weiß nicht, warum so viele Foristen den Reichen pauschal unterstellen, sie seien nur durch Skrupellosigkeit reich geworden. Nehmen wir mal ein paar bekannte Namen - keiner davon war Interviewpartner von mir, aber wir alle kennen sie. Und ich habe in meinem international bekanntesten Buch ("Setze dir größere Ziele!") ausführlich über sie geschrieben: Wurden Bill Gates, Steve Jobs, Mark Zuckerberg, Howard Schulz, Sergej Brin, Michael Dell, Jeff Bezoz, Invar Kamprad oder Madonna reich, weil sie skrupelloser sind als andere Menschen? Oder eher deshalb, weil sie Produkte erfunden und vermarktet haben, die einen großen Nutzen für viele Menschen stiften - den PC, das iPhone, Facebook, Starbucks, Google, Amazon, Ikea-Möbel usw.

Also welchen tatsächlichen Nutzen eine "Datenkrake" wie Facebook für die Menschen haben soll, weiß ich nicht. Aber das nur am Rande.

Rainer Zitelmann: Ich nutze Facebook nicht und brauche es auch nicht. Aber wenn andere Menschen es tun und Zuckerberg dadurch reich wird, dann finde ich das vollkommen legitim. Soll ich meine Vorlieben und Abneigungen zum alleinigen Maßstab machen? Oder sollen die Bürger, also die Konsumenten, entscheiden? Ich denke, die meisten Leser werden Produkte der oben genannten Unternehmen nutzen und haben damit dazu beigetragen, dass diese Menschen reich wurden.

Nehmen Sie deutsche Beispiele: Die Albrecht-Brüder mit Aldi, Schwarz mit Lidl, Otto mit dem Otto-Versand, Erich Sixt: alles Betrüger, Skrupellose? Oder eher Leute, die der Gesellschaft einen großen Nutzen gebracht haben und dadurch reich wurden? Haben die Albrecht-Brüder, einst die reichsten Menschen in Deutschland, den einfachen Leuten mit ihren Aldi-Läden eher genutzt oder geschadet?

Es ist etwas zu vereinfacht, wenn man große Unternehmen alleine durch ihren Wert, den ihre Produkte für die Menschen in einer Gesellschaft vielleicht haben, soziologisch zu erfassen versucht.

Rainer Zitelmann: Was Sie mit "soziologisch erfassen" genau meinen, weiß ich nicht. Unternehmen werden jedenfalls unstrittig nur dann groß, wenn sie Bedürfnisse von vielen Konsumenten befriedigen. Ob es Zalando letztlich schaffen wird oder nicht, entscheiden die Frauen - ob sie ihre Schuhe dort oder woanders kaufen und wie viele sie wieder zurückschicken. Ich finde das ziemlich demokratisch. Der Firmenwert wird in der Tat primär dadurch bestimmt, wie groß die Zahl der Konsumenten ist, denen die Produkte gefallen.

Sie haben Ihre Doktorarbeit im Fach Soziologie verfasst, also einer Wissenschaft, die einen kritischen Blick auf die Gesellschaft und ihre Mechanismen wirft. Was bedeutet es für ein soziales Gefüge, wenn eine kleine Gruppe von Akteuren über einen Superreichtum verfügt während viele andere über keine oder nur geringe Geld- und Vermögenswerte besitzen?

Rainer Zitelmann: Dahinter steckt ja die Vorstellung, dass es den unteren Schichten besser ginge, wenn man die Reichen schröpft, ihnen etwas wegnimmt oder sie vielleicht sogar abschafft. Dafür gibt es in der Geschichte keinen Beleg. So sind alle sozialistischen Experimente, die die Menschen gleich machen und die Reichen abschaffen wollten, gescheitert und haben vor allem auch den Wohlstand der einfachen Menschen nicht gemehrt.

Man hat den Sozialismus, der ja auf Gleichheit abzielt, in so vielen Varianten ausprobiert: In Jugoslawien anders als in Albanien, in Nordkorea anders als in Rumänien, in der DDR anders als in China und in Russland anders als in Bulgarien, in Schweden anders als in Venezuela. Hat sich das Los der unteren Schichten in einem dieser Länder wirklich dadurch verbessert, dass man versucht hat, den Reichtum abzuschaffen?

Also zunächst Mal dürfte es den unteren Schichten besser gehen, wenn eine tatsächliche (!) Umverteilung von oben nach unten stattfindet. Um es runterzubrechen: Wenn ich von einem Reichen, der 100 Millionen Euro besitzt, 50 Millionen wegnehme und 50 Armen gebe, dann sind die 50 nicht mehr arm, sondern Millionäre. Und damit ginge es Ihnen finanziell schlagartig besser. Das ist ganz einfach.

Auch wenn die Realität sicherlich viel komplexer als dieses Beispiel ist: Es würde an dieser Stelle zu weit führen, einmal darzulegen, ob die Länder, die Sie angeführt haben, tatsächlich - aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive - sozialistische Staaten waren. Es gab in diesen Ländern keine Abschaffung von Reichtum. Im Gegenteil: Reichtum wurde bei einigen wenigen konzentriert.

Rainer Zitelmann: Ich weiß, es gibt Leute, die sagen: "Ja, das war nicht der wahre Sozialismus. Es wurde zwar Dutzende Male in der Geschichte und auf der ganzen Welt ausprobiert, aber ich weiß jetzt, wie es besser geht, so dass es diesmal dann wirklich funktioniert. Ich habe endlich das richtige Rezept gefunden." Ich denke, so ähnlich würden Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht argumentieren.

Was Ihr Beispiel angeht: Ich habe noch von niemandem gehört, dass Sozialismus darin bestehen soll, dass man einem Reichen, der 100 Millionen besitzt, 50 Millionen wegnimmt und die an 50 Arme verteilt. Wer sollte die denn auswählen? Verteilen Sie die 50 Millionen Mal gerecht an 80 Millionen. Dann hat jeder nicht einmal einen Euro mehr. Zudem ist ja die Vorstellung, dass einer der 100 Millionen besitzt, die auf dem Bankkonto liegen hat, absolut weltfremd und naiv. Die allermeisten Reichen sind Unternehmer - und bei denen steckt der ganz überwiegende Teil des Vermögens in ihren Firmen. Man kann so eine Firma nicht einfach in 50 kleine Teilchen zerlegen und die dann verteilen.

Mit den Beispiel von den 100 und 50 Millionen wollte ich verdeutlichen: Wenn man "von oben" genug wegnimmt und es nach "unten" gibt, kommt eben dort auch genug an. Es geht nicht darum jetzt konkret jemanden, der 100 Millionen Euro besitzt, 50 Millionen Euro wegzunehmen und auf 50 Arme zu verteilen. Damit wären die grundsätzlichen Probleme natürlich nicht gelöst.

Rainer Zitelmann: Nun ja, ich habe doch nur wiederholt, was Sie gesagt haben. Wenn wir uns einig sind, dass das abwegig ist, dann sind wir einen Schritt weiter.

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