"Für viele ist Weiterbildung vergleichbar mit einem Zahnarztbesuch"

Seite 2: "Wir können doch nicht zulassen, dass sie untätig zu Hause bleiben und nichts tun"

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Besteht nicht im Segment der Arbeitslosengeld-II-Empfänger, der viel größere Handlungsbedarf?

Matthias Bartke: Wir wollen auch Programme für Hartz-IV-Bezieher vorlegen. Beides sollte man nicht vermischen. Und ich finde, man muss realistisch sein: Es gibt Menschen, die schon so lange arbeitslos sind, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass wir sie wieder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren können.

Das heißt?

Matthias Bartke: Für diese Gruppe wollen wir einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen. Wir können doch nicht zulassen, dass sie untätig zu Hause bleiben und nichts tun. Wir wollen, dass sie arbeiten und etwas Sinnvolles machen. Denn Arbeit ist für jeden Menschen wichtig, sie strukturiert den Tag und sie verleiht auch Würde. Daher möchten wir, dass auch diejenigen ohne Perspektive auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf Mindestlohnniveau erhalten. Diese Menschen sollen für die Gesellschaft sinnvolle Tätigkeiten ausüben.

Welche Arbeiten kämen dafür infrage?

Matthias Bartke: Das kann die Unterstützung von vorhandenem Personal in Obdachlosen- und Notunterkünften sein. Das kann aber auch die Erfassung von Vandalismusschäden und unrechtmäßiger Müllablage sein. Es gibt viele Beschäftigungsmöglichkeiten, von denen wir als gesamte Gesellschaft profitieren könnten.

Zurück zum Arbeitslosengeld Q: Der Staat müsste künftig jedem Arbeitslosen eine Weiterbildung anbieten. Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW Kön) kritisierte vor kurzem, so würde sehr viel Geld für unnötige und unwirksame Maßnahmen ausgegeben. Wie wollen Sie das vermeiden?

Matthias Bartke: Man muss sich jede einzelne Biographie genau anschauen. Mit jedem Arbeitslosen muss genau besprochen werden, welche Qualifizierungsmaßnahmen für eine Jobperspektive sinnvoll sind.

Aber wägen die Mitarbeiter der Arbeitsagentur nicht jetzt schon in jedem Einzelfall ab, ob eine Maßnahme sinnvoll ist?

Matthias Bartke: Ja, das tun sie. Aber es wird teils zu rigide vorgegangen, was sicherlich auch mit den Erfahrungen der Vor-Agenda-Zeit zusammenhängt. Damals wurden Arbeitslose häufig eher unsortiert in Weiterbildungen vermittelt. Nach dem sogenannten Vermittlungsskandal (2002. d. Red.) wurden dann nur noch wenige Maßnahmen bewilligt. Und daran hat sich bis heute leider nicht ausreichend viel geändert. Das wollen wir ändern.

Wie wollen Sie ausschließen, dass nicht vermehrt Warteschleifen in der Arbeitslosigkeit finanziert werden?

Matthias Bartke: Die Gefahr besteht. Gerade deswegen ist es ja so wichtig, das Monitoring zu verbessern. Aber es gehört zur Wahrheit dazu, dass uns das Lohnniveau im Weiterbildungssektor derzeit große Sorgen bereitet. Der Weiterbildungs-Mindestlohn wird nicht flächendeckend gezahlt. Das ist ein großes Problem, denn die Qualität der Weiterbildung hängt maßgeblich von der Qualität der Weiterbildungslehrer ab. Hierauf müssen wir unbedingt ein Auge werfen.

Herr Bartke, erweckt die SPD mit all den Vorschlägen nicht zu hohe Erwartungen bei den Wählern?

Matthias Bartke: Inwiefern?

Die SPD kann keine Arbeitslosen einstellen.

Matthias Bartke: Völlig richtig, die Unternehmen schaffen die Arbeitsplätze. In Deutschland haben wir immer weniger Fachkräfte. Und auf diese Situation reagieren wir, indem wir jene Arbeitslosen, die zuvor lange derselben Tätigkeit nachgegangen sind, qualifizieren wollen für eine neue Aufgabe. Und das auch noch in höherem Alter. Genau das sind die Antworten auf die aktuellen Fragen der Zeit.

Abschlussfrage: Ist Rot-Rot-Grün - Stand jetzt - Ihre Wunschkoalition?

Matthias Bartke: Mein Wunsch wäre natürlich eine Alleinregierung der SPD. Aber das ist wohl leider nicht realistisch (lacht). Im Ernst: Ich gehöre zu der Gruppe von Bundestagsabgeordneten, die derzeit gemeinsam mit Abgeordneten der Linkspartei und den Grünen ausloten, was möglich ist. Und das sieht nicht schlecht aus.

Sie halten eine Zusammenarbeit mit Sahra Wagenknecht für möglich?

Matthias Bartke: Ja, ich halte Sahra Wagenknecht durchaus für eine kluge Frau, die weiß, dass man Kompromisse eingehen muss, wenn man gestalten will. Allerdings bin ich mir da nicht bei all ihren Abgeordneten der Linken sicher. Aber eins ist auch klar, ich bin kein Freund davon, erneut eine Große Koalition einzugehen. Ich will im Herbst wieder in den Bundestag einziehen und dann Martin Schulz zum Kanzler wählen!