"Fußball, Fußball über alles"
Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland soll die Medienindustrie retten doch was, wenn Klinsmanns Balltreter schon in der ersten Runde ausscheiden?
Der Ball soll es richten. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland muss nach Ansicht der führenden Medienkonzerne der Republik der Durchbruch für neue Technologien im Medienbereich werden. Das war der Tenor des diesjährigen Medienforums in Berlin, das in diesem Jahr zusammen mit der alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Funkausstellung (IFA) die Medienwoche 2005 bildete.
Neue Technologien, damit meinten die wichtigsten Vertreter von Fernsehanstalten, Rechtevermarktern, WM-Lobbyisten und Geräteherstellern das bereits auf der Funkausstellung 1989 vorgestellte HDTV, das seit vielen Jahren durch schwarze Balken unten und oben bekannte 16:9 Fernsehformat und verschiedene Spielarten von "Mobile Media" fürs Handy, wie z.B. die DVB-H(andheld)-Mischung aus UMTS und DVB-T.
HDTV – nach über 16 Jahren der Durchbruch?
Dass diese Träume nicht wirklich neu sind und in den letzten Jahren u.a. an einer falschen Markteinschätzung scheiterten, ist den beteiligten Akteuren von T-System bis Premiere klar. So konnte man den Eindruck gewinnen, dass die nächstes Jahr in verschiedenen Großstädten der Republik veranstaltete Meisterschaft um die beste männliche Fußballmannschaft der Welt die letzte Chance zur Verwirklichung der alten Träume ist. Und die Zunft will auch etwas dafür tun: Pro Sieben und Sat 1 wollen ab Ende Oktober bereits im HDTV-Format senden.
Um der Hoffnung auf einen Durchbruch mittels der WM 2006 Ausruck zu verleihen, boten die Veranstalter, das Medienboard Berlin-Brandenburg und die Medienanstalt Berlin-Brandenburg in diesem Jahr neben den üblichen Köpfen der Medienkonzerne und Programmveranstalter auch Sportfunktionäre und -manager auf und luden die Branchenvertreter in das imposant neu gestaltete Berliner Olympiastadion ein.
"Volkssportminister" Otto Schily mahnt zu Besonnenheit, Tradition und GEZ-Beteiligung
Dort ermahnte "Sportminister" Otto Schily die Anwesenden in Bezug auf die Vergabe der Fußballübertragungsrechte der Champions League an den Bezahlsender Premiere: "Fußball muss Volkssport bleiben", also weiterhin im Free-TV zu sehen sein. Damit auch Sportmuffel weiter über die GEZ die Fußballfunktionäre mitbezahlen müssen. Hierin ist er sich mit Kanzler Schröder einig, ist ja auch nicht sein Geld, sondern beispielsweise das der Internetnutzer, die ab 2007 das öffentlich-rechtliche Fernsehen sanieren sollen (Das Internet wird gebührenpflichtig!). Jawohl, Fußball ist öffentlich-rechtliche Grundversorgung und Bildungsauftrag.
Sportmoderator Gerd Delling flaxte mit Franz Beckenbauer, in dessen Funktion als Präsident des WM-WM-Organisationskomitees, über alte Zeiten – und man merkte gar nicht, dass da nicht Günter Netzer neben ihm saß. Karl-Heinz-Rummenigge (Vorstandsvorsitzender Bayern München) zeigte sich "sehr beeindruckt" vom hochauflösenden Fernsehen.
Dass also der Fußball alles richten muss, war Konsens. Doch auch ein Realismus war sichtbar, der auf dem auf dem letztjährigen Medienforum (Radiomänner, Re-Regulierung und Mobilfunkblasen) noch wenig zu spüren war. T-Mobile wird zwar mobile Dienste, wie die Übertragung von Toren aufs Handy spätestens 10 Minuten nachdem dieses gefallen ist, anbieten. Lukrativer erscheint dem Mobilfunkanbieter jedoch das Wettgeschäft via Handy.
Gebrannte Kinder scheuen dagegen nicht unbedingt das Feuer: Rainer Hüther von EM.TV, dessen Firma vor seiner Zeit Milliarden DM in der Internetblase versenkte, verkündete: "Die WM 2006 wird der Brecher." Allerdings scheint das heutige Geschäft von EM.TV auch etwas sicherer, hat sich doch die Firma die Merchandising-Rechte für die WM 2006 gesichert.
Full live oder half live?
Denn nur wer die Rechte an einer wie auch immer gelagerten Übertragung oder Begleitung der WM 2006 hat, wird auch nur in der Lage sein, beim erhofften wirtschaftlichen und technischen Durchbruch zu gewinnen. Deshalb gibt es viele Arten der Rechteverwertung. Lange vorbei die Zeit, als es einfach nur Übertragungsrechte für Live-Berichterstattung gab. Im Zeitalter der gesteigerten Crossmedialen Verwertungsketten gibt es da gleich mehrere Kategorien: "live-live-" und "near-live”-Rechte. Also wirklich zeitgleich, etwas später und in Zusammenfassungen – und das für alle möglichen technischen Übertragungswege und Formate.
Nur einen unsicheren Faktor haben die Medienlenker noch ausfindig gemacht. Zwar ist die Nationalmannschaft um Trainer Kliensmann durch die Gastgeberrolle Deutschlands automatisch für die WM qualifiziert, aber ein Aus bereits in der Vorrunde würde alle Geldträume platzen lassen. Der auf dem Medienforum kolportierte prognostizierte Prozentsatz neuer 16:9 Fernseher in den Wohnstuben der Republik von bis zu 30%, die eventuell auch noch HDTV-tauglich wären, käme nicht zustande. Die Werbeerlöse gingen in den Keller, ähnliches wäre für die Abonnenten der HDTV-Übertragung bei Premiere absehbar.
“Ihr müsst gewinnen – wir haben schließlich dafür zahlen lassen“
Fritz Pleitgen, Intendant des westdeutschen Rundfunks Köln, hält es deshalb für "eine patriotische Pflicht" wie einst bei den anderen Sportlern in der „Deutschen Demokratischen“, dass die Kliensmann-Elf zumindest ins Endspiel kommt. Kein Wunder, übertragen doch die öffentlich-rechlichen Sender ARD und ZDF alle Spiele mit deutscher Beteiligung "live live" und zahlen dafür viel Gebührenzahler-Geld. Sollten die Ball(er)männer verlieren, wären folglich nicht nur Fußballmuffel über diese immense Gebührenverschwendung für dann nur noch ein oder zwei mäßig sehenswerte Spiele erbost.