G20-Gipfel: Putin abgereist
In einem Fernsehinterview, das heute ausgestrahlt wird, warnt der russische Präsident davor, dass die ukrainische Regierung alle ihre Gegner "vernichten" wolle
Der russische Staatspräsident hat das letzte gemeinsame Essen beim G20-Gipfel im zehn Stunden vor der Mitteleuropäischen Zeitzone liegenden australischen Brisbane nicht abgewartet und ist vor der offiziellen Beendigung des Gipfels abgereist. Sein Stab begründete diese vorzeitige Abreise damit, dass dieser Teil der Veranstaltung "eher Unterhaltung" sei und dass Putin sich ausschlafen und morgen wieder arbeiten wolle.
Westliche Medien vermuten hinter dem frühen Aufbruch eine mögliche Enttäuschung über den Verlauf eines vierstündigen Gesprächs mit Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Kremlsprecher Dmitri Peskow verlautbarte, Putin habe den beiden Politikern in dem Gespräch noch einmal die Position Russlands im Ukrainekonflikt erläutert.
Dies versucht der russische Staatspräsident auch in einem bereits vor dem G20-Gipfel aufgenommenen Interview mit der ARD, das die Sendeanstalt erst heute Abend ausstrahlen will. Vorab gab sie bekannt, dass Putin es für "das Wichtigste" halte, "dass man das Problem nicht einseitig betrachtet". Der Westen verschließt seiner Ansicht nach die Augen davor, dass die ukrainische Regierung Raketen auf Wohngebiete schießt und im Osten des Landes "sämtliche politischen Gegner und Widersacher […] vernichten" will. Russland wolle das nicht und werde es nicht zulassen.
Die von der EU verhängten Wirtschaftssanktionen schaden Putins Ansicht nach nicht nur Russland, sondern auch der Weltwirtschaft, Europa und der Ukraine. Russland verhindere deren Zusammenbruch, weil es trotz eines vertraglichen Rechts darauf Kredite nicht vorzeitig zurückfordert. Solch ein Zusammenbruch würde dem russischen Staatspräsidenten zufolge auch das internationale Finanzsystem schwer in Mitleidenschaft ziehen.
Die letzte Woche von der ukrainischen Regierung angeordneten Sperre von Überweisungen an Rentner, Beamte und andere Transferleistungsempfänger in der Ostukraine bezeichnete Putin in Brisbane als ebenso "großen Fehler" wie die Kappung der Wirtschaftsbeziehungen zu dem Gebiet, in dem unter anderen Steinkohle gefördert wird. Um den Menschen dort zu helfen, soll heute erneut ein LKW-Konvoi in der Stadt Donezk eintreffen. Er besteht aus insgesamt 54 Lastwagen, die nach Auskunft des russischen Zivilschutzministeriums nur Lebensmittel und andere humanitäre Hilfsgüter transportieren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in Brisbane, Russland müsse die in Minsk vereinbarten Maßnahmen für eine Friedensfindung in der Ostukraine "in vollem Umfang" umsetzen und "die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine uneingeschränkt respektieren". Vorher hatte sie eine mangelnde Kontrolle der Grenze zum Separatistengebiet und angebliche Waffenlieferungen dorthin kritisiert, die von der russischen Regierung bestritten werden.
Zu den gestern vom britischen Premierminister David Cameron und vom EU-Ratspräsidenten Hermann van Rompuy in Aussicht gestellten neuen Sanktionen gegen Russland wird es nach Gesprächen der europäischen Politiker mit dem US-Präsidenten Barack Obama vorerst nicht kommen. Stattdessen werden Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zufolge lediglich weitere Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen separatistische Politiker in der Ostukraine verhängt. Formell beschlossen werden soll dies bei einem Treffen der EU-Außenminister am Montag.
Neue Sanktionen gegen Russland hätten das in Brisbane vereinbarte Ziel eines Weltwirtschaftswachstums von 2,1 Prozent bis 2018 konterkariert. Dieses Ziel soll mit über 8000 Einzelmaßnahmen erreicht werden, denen die Teilnehmer zustimmten. Dazu zählen unter anderem eine schärfere Kontrolle systemrelevanter Finanzinstitute und der Plan, dass Konzerne Gewinne nicht mehr in Steueroasen verschwinden lassen.
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