G7- und G20-Staaten uneins über die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte
Diplomaten sehen Prinzip des Völkerrechts in Gefahr, sollten russische Vermögen konfisziert werden. USA wollen Beschlagnahme dennoch durchsetzen.
Die Debatte um die eingefrorenen russischen Guthaben ist ins Stocken geraten, wie ein aktueller Bericht der Financial Times (FT) zeigt. Auf der internationalen Bühne werden Zweifel laut, ob die G-7-Staaten ihr Vorgehen bei der Beschlagnahmung von Geldern der russischen Zentralbank durchdacht haben.
G-7-Staaten in der Kritik: Zweifel an Beschlagnahmung russischer Gelder
Mehrere Schwellenländer zeigten sich beim jüngsten Treffen der G-20-Finanzminister besorgt und fragten offen, ob man sich im Westen der Tragweite eines solchen Schrittes bewusst sei. Vertreter von Ländern wie Saudi-Arabien und Indonesien versuchten deshalb, mäßigend auf die westlichen Staaten einzuwirken – auch aus Eigeninteresse, denn sie fürchten, dass ihre eigenen Devisenreserven im Westen gefährdet sein könnten.
Aber auch durch den Club der fortgeschrittenen Volkswirtschaft (G7) geht ein Riss in dieser Frage. Man ist sich zwar einig darüber, dass Russland für die Kriegsschäden in der Ukraine aufkommen müsse, aber Streit entwickelt sich um die Frage, wie man das erzwingen möchte.
Uneinigkeit in der G7: Streit um Durchsetzung von Kriegsschäden
Die US-Regierung ist – wie in der Vergangenheit mehrfach berichtet – die treibende Kraft bei der Forderung nach einer raschen Beschlagnahmung von Geldern der russischen Zentralbank.
Unterstützt wird sie dabei von Kanada und Teilen der britischen Regierung. Alle drei Länder sind – im Vergleich zu den Ländern der Europäischen Union – finanziell kaum mit Russland verflochten und wären von Gegenreaktionen weniger betroffen.
EU-Länder skeptisch: Furcht vor Präzedenzfall und Gegenreaktionen
Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien und Japan stehen den Plänen dagegen skeptisch gegenüber. Dies liegt zum einen daran, dass der Großteil der russischen Gelder in der EU gehalten wird und die Gegenreaktion auf eine Beschlagnahmung die EU-Länder deutlich stärker treffen würde.
Zum anderen sehen sie in der Konfiszierung einen Bruch des Völkerrechts, der einen Präzedenzfall schaffen würde, der auf sie zurückfallen könnte. Denn dann könnten Forderungen an Deutschland, Italien und Japan für Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg gestellt werden, die mit der Konfiszierung von Eigentum dieser Länder beglichen würden. Auch eine Abrechnung der ehemaligen Kolonien mit Frankreich wäre dann möglich.
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China warnt: Glaubwürdigkeit des internationalen Finanzsystems in Gefahr
Vertreter Chinas haben damit deutlich gemacht, dass die Glaubwürdigkeit des internationalen Finanzsystems Schaden nehmen würde, wenn Devisenreserven beschlagnahmt würden. Dies könnte auch als Signal verstanden werden, verstärkt auf den Renminbi als Alternative zum US-Dollar zurückzugreifen. Zuvor war diese Gefahr auch von einzelnen US-Politikern skizziert worden.
So wies der italienische Finanzminister Giancarlo Giorgetti laut FT beim G-20-Treffen in São Paulo darauf hin, dass es "schwierig und kompliziert" sei, eine Rechtsgrundlage für die Beschlagnahmung russischen Staatsvermögens zu finden. Und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire betonte demnach, dass die Rechtsgrundlage schlicht nicht existiere.
Pattsituation in der G7: Rechtsgrundlage für Beschlagnahmung fehlt
In der G7, so der Bericht, sei eine Pattsituation entstanden. Dennoch werden US-Politiker nicht müde, auf einen Schritt zu drängen, der von Teilen der Weltöffentlichkeit als offener Diebstahl empfunden wird. Und ihr Verhalten ähnelt immer mehr dem des angry german kid.
Die Europäer wollen statt einer Beschlagnahme des Vermögens seine Bewirtschaftung. Die Zinsen, die mit ihm erwirtschaftet werden, sollen dann der Ukraine zur Verfügung gestellt werden. Je nach Zinssatz würde dies aber nur rund drei Milliarden Euro einbringen – im Vergleich mit dem Bedarf der Ukraine von rund 88 Milliarden Euro bloß ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Rechtsexperten warnen: Staatenimmunität auf der Probe
Doch Rechtsexperten sind sich sicher: Wie auch immer die russischen Zentralbankguthaben verwendet werden, immer wird das Rechtsprinzip der Staatenimmunität auf die Probe gestellt. Es besagt, dass kein Land von den Gerichten eines anderen Landes verklagt werden kann, wenn es nicht zustimmt.
"Das ist ein sehr altes und bewährtes Prinzip, das auf der Idee beruht, dass alle Staaten gleich sind", sagte Philippa Webb, Professorin für öffentliches internationales Recht am King’s College, der FT. "Selbst die Großmächte der Welt können nicht über einen kleinen Inselstaat richten." Und die Gelder der Zentralbanken seien durch dieses Prinzip in besonderem Maße geschützt.
Mögliche Reaktionen Russlands: Europäische Investoren und Sachwerte im Visier
Sollten sich die westlichen Staaten dazu entschließen, diesen Rechtsgrundsatz zu brechen, wird Russland – wie vom Kreml mehrfach angekündigt – reagieren. Europäische Investoren halten laut FT russische Wertpapiere im Wert von rund 33 Milliarden Euro, die bereits eingefroren wurden.
Moskau könnte aber auch auf Sachwerte zurückgreifen, die westliche Unternehmen in Russland halten. Rund 285 Milliarden Euro sind in Fabriken, Lagerbeständen und anderen Werten gebunden – und auch hier würde Europa die Hauptlast tragen. So halten europäische Unternehmen Sachwerte in einer Größenordnung von rund 98 Mrd. Euro, amerikanische dagegen nur von rund 33 Mrd. Euro.