Gabriel für Kehrtwende beim Fetisch Sparpolitik gegenüber Griechenland
- Gabriel für Kehrtwende beim Fetisch Sparpolitik gegenüber Griechenland
- Starkes Strafbedürfnis gegenüber den "faulen Griechen"
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Einsicht in die Notwendigkeit? Der Außenminister will einen Schuldenschnitt - damit beweist er einen in Berlin kaum noch zu vermutenden Realitätssinn
Vor wenigen Tagen ereignete sich anscheinend eine politische Anomalie allererster Güte. Ein Spitzenpolitiker der SPD scheint Rückgrat bewiesen zu haben - indem er sich in einer zentralen Frage gegen das schäublerische Finanzministerium (samt dem deutschen Stammtisch) stellte.
Außenminister Sigmar Gabriel forderte tatsächlich einen Schuldenschnitt für Griechenland, das nach rund acht Jahren voller drakonischer Kürzungs- und Sparprogramme noch immer einem sozioökonomischen Katastrophengebiet gleicht.
Hellas seien immer wieder "Schuldenerleichterungen versprochen worden, wenn die Reformen durchgeführt werden", erläuterte Gabriel, nun müsse man "zu diesem Versprechen stehen". Dies dürfe nicht "am deutschen Widerstand scheitern". Die pauperisierten Hellenen hätten enorme soziale Kürzungen überstanden, gegen die seien "die Maßnahmen der Sozialreformen der Agenda 2010 in Deutschland ein laues Sommerlüftchen", erklärte Gabriel.
Europäische Krisenpolitik: deutschem Wahlkampf untergeordnet
Der Außenminister spielte mit dieser Bemerkung auf das letzte, inzwischen wohl 14. große Kürzungsprogramm in Hellas an, das die ehemals linke Syriza-Regierung gegen den erbitterten Protest der Bevölkerung durchsetzte. Die abermaligen Austeritätsmaßnahmen - darunter auch drakonische Rentenkürzungen - bildeten die Vorbedingung für die Auszahlung neuer Krisenkredite an Hellas.
Doch daraus wird erstmal nichts. Am Montag konnten sich die Finanzminister der Eurozone und der IWF erneut nicht auf eine gemeinsame Linie gegenüber dem geschundenen Mittelmeerland einigen (siehe Schäubles Farce).
Obwohl die Rentenkürzungen, Steuererhöhungen und abermaligen Sparmaßnahmen in Athen zum x-ten Mal beschlossen wurden, auf die insbesondere Finanzminister Schäuble bestand, konnte die machtpolitische Blockade zwischen Berlin und IWF nicht überwunden werden. Gabriels mahnende Worte verhallten somit im deutschen Finanzministerium ungehört.
Dabei agiert in diesem Streit inzwischen Schäuble als der Hardliner, während der Währungsfonds die "gemäßigtere" Linie verfolgt. Der zentrale Streitpunkt: IWF pocht auf einen baldigen Schuldenschnitt, während Schäuble diesen bis zur Bundestagswahl verweigern will. Die europäische Krisenpolitik muss sich somit der deutschen Innenpolitik unterordnen - sie ist zu einem Faktor des Bundestagswahlkampfes verkommen.
Sozioökonomische Tragödie Griechenlands
Insofern richtet sich die Krisenpolitik gegenüber Hellas nicht nach den sozioökonomischen Notwendigkeiten aus, sondern nach dem wahltaktischen Kalkül in Berlin. Bis zu den Wahlen soll es keinen Schuldenschnitt für Athen geben, um die Siegeschancen der CDU nicht zu gefährden - auch wenn alle empirische Evidenz das katastrophale Scheitern der schäublerischen Sparmaßnahmen in Hellas eindeutig belegt.
Zuletzt hat beispielsweise die Financial Times die sozioökonomische Tragödie Griechenlands in dürren Zahlen zusammengefasst. Zum einen kommt in Griechenland auch nach acht Austeritätsjahren keine nennenswerte Wachstumsdynamik auf. Die optimistischen Wachstumsprognosen von 2,5 Prozent für 2017 mussten demnach auf 1,5 Prozent revidiert werden, wobei es zu bedenken gilt, dass Griechenlands BIP im Krisenverlauf bereits um mehr als 27 Prozent schrumpfte.
Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Monaten sogar abermals gestiegen: von 23,2 auf 23,5 Prozent. Nur 52 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung geht einer offiziell erfassten Lohnarbeit nach, was auf einen hohen Anteil an informeller Arbeitslosigkeit und Elends- sowie Subsistenzwirtschaft hinweist. Derweil haben bereits rund 300.000 junge Griechen das Land auf Arbeitssuche verlassen. Überdies hat der starke Anstieg der Steuerbelastung zu einer abermaligen Zunahme von Kapitalabflüssen aus Hellas geführt.
Dabei ist das Elend in Hellas gerade der Umsetzung der Sparprogramme Schäubles zu verdanken: Noch Ende April hatte der deutsche Finanzminister die Reformbereitschaft der griechischen Regierung gelobt, die jeden ernsthaften Widerstand gegen die extremen Austeritätsmaßnahmen aus dem Berliner Finanzministerium längst aufgegeben hat. Nur zwei Wochen später musste Eurostat, das Europäische Statistische Amt, eine erneute Hiobsbotschaft aus Griechenland melden, das zu Beginn dieses Jahres erneut in einer Rezession versunken ist.
Zuflucht in Subsistenzwirtschaft
Inzwischen nötigt das blanke Elend in Hellas immer größere Teile der Bevölkerung dazu, in archaisch anmutenden Formen der Subsistenzwirtschaft Zuflucht zu suchen. Nach acht Jahren "Sparpolitik" à la Schäuble versuchen gerade viele junge Griechen, kleinbäuerliche Betriebe zu gründen, um so über die Runden zu kommen.
Doch selbst diese verzweifelten Versuche, kleinbäuerliche Wirtschaftsbetriebe auf einem von mächtigen Agrarkonzernen geprägten EU-Markt aufzubauen, werden durch die Folgen der Austeritätspolitik konterkariert: Die Einkommenssteuer für Landwirtschaftsbetriebe in Hellas musste auf Weisung aus Berlin von 13 Prozent auf 22 Prozent und sogar bis 45 Prozent (ab einem Einkommen von 40.000 Euro) erhöht werden.
Es ist somit offensichtlich und eigentlich bar jeden Zweifels, dass Schäubles Sparpolitik grandios gescheitert ist. Hellas wird somit früher oder später einen Schuldenschnitt bekommen: Entweder im Rahmen einer europäischen Verhandlungslösung oder auf die harte Tour im Verlauf einer Staatspleite. Und dennoch soll bis zu der Bundestagswahl an der Fiktion festgehalten werden, wonach Griechenland seine Schulden auf Heller und Pfennig zurückzahlen werde.