Gammelfleisch-Skandal mit Ansage

Seite 2: Kriminelle Energie oder Fehler im System?

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Warum werden immer wieder Missstände in Herstellung und Kontrolle von Lebensmitteln aufgedeckt? Die amtliche Lebensmittelüberwachung obliegt hierzulande den einzelnen Bundesländern, die wiederum ist auf kommunaler Ebene organisiert.

Die Lebensmittel herstellenden Unternehmen sind verpflichtet, die Qualität der verwendeten Rohstoffe selbst zu kontrollieren und zu dokumentieren. Stichprobenartig überprüfen die Behörden, ob die Rechtsvorschriften eingehalten werden. In Hessen zum Beispiel sind neben dem Verbraucherschutzministerium die Fachaufsichtsbehörden für die Ämter des jeweiligen Regierungsbezirkes zuständig.

Die Produktions-, Lager- und Transportketten sind damit ausreichend überwacht, möchte man meinen. Warum flog die Wurstfirma Wilke dann erst auf, nachdem Menschen gestorben waren? Und warum sahen die zuständigen Behörden keine Notwendigkeit, die mit Listerien-verseuchten Wurst belieferten Betriebe rechtzeitig transparent zu machen?

Die Ursachen sind nicht neu: Allem voran steht der permanente Zwang zur Kostensenkung. Ob Tütensuppen, Babynahrung oder Wurstaufschnitt - Lebensmittel müssen so kostengünstig wie möglich hergestellt, verarbeitet, gelagert und transportiert werden. Die Gewinnmargen sollen möglichst hoch ausfallen. Auch wollen die Unternehmen konkurrenzfähig bleiben. Vor diesem Hintergrund gab es in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Lebensmittel-Skandalen.

Der Fall Wilke zeige exemplarisch, was in Deutschland in Sachen Lebensmittelüberwachung strukturell schief läuft, erklärt Andreas Winkler gegenüber der Morgenpost. Der Pressesprecher der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch verweist auf Interessenskonflikte zwischen Wirtschaftsförderung, Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen einerseits und dem Verbraucherschutz andererseits, auf die fehlende Transparenz in der Lebensmittelüberwachung und die Überlastung der Kontrollbehörden wegen Personalmangel.

Die Lebensmittelüberwachung dürfe nicht länger auf kommunaler Ebene organisiert sein, lautet seine Forderung. Mehr Personal müsse eingestellt und alle Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen veröffentlicht werden.

Eine Novellierung des Lebensmittelrechts steht an

Doch die Kritik von Foodwatch geht noch weiter: Wegen eklatanter Lücken im europäischen und deutschen Lebensmittelrecht verstoßen Behörden seit Jahren systematisch gegen Kontrollpflichten, bleiben längst fällige Warenrückrufe immer wieder aus, heißt es.

Bei der Frage, woher die Rohstoffe kommen und wohin die Produkte gehen, tappen die Behörden zumeist im Dunkeln. Außerdem halten sie gesundheitsrelevante Informationen zurück, anstatt sie öffentlich zu machen.

Im Fall Wilke wusste niemand so genau, wo die vom Rückruf betroffenen Produkte eigentlich abgegeben oder weiterverarbeitet wurden. Ähnlich wie bei früheren Lebensmittelskandalen - Pferdefleisch-Betrug, dioxinbelastete Eier, Fipronil - konnten die Behörden Lieferwege der Produkte entweder gar nicht oder nicht schnell genug nachvollziehen.

Eine zentrale Forderung von Foodwatch ist daher eine lückenlose Rückverfolgbarkeit, was ohnehin seit vielen Jahren eine zentrale Vorgabe des europäischen Lebensmittelrechtes ist. Agrarministerin Julia Klöckner ist aufgefordert, endlich praxistaugliche Instrumente für die Zusammenarbeit von Behörden entwickeln.

Mit einer Informationspflicht der Behörden wären die Konsumenten deutlich früher über die Gefahren informiert und wirksamer geschützt gewesen, kritisiert die Verbraucherschutzorganisation. Mehr Informationen über Produkt- und Markennamen sowie Abnehmer und Verkaufsstellen sollen öffentlich gemacht werden, lautet ihre zweite Forderung.

Drittens: Bislang waren Handelsunternehmen nicht verpflichtet, über Produktmängel zu informieren, da sie für diese nicht verantwortlich waren. Es sei ein Versäumnis der vorangegangenen Bundesregierungen, so der Vorwurf, dass amtliche Lebensmittelkontrollen in den meisten Fällen geheim blieben.

Ab sofort sollen Händler und andere Abgabestellen gesetzlich in die Pflicht genommen werden, ihre Kundinnen und Kunden vor bedenklichen Lebensmitteln zu warnen. Rückrufe von Produkten aus ihrem Sortiment sollen auf allen verfügbaren Kanälen - zum Beispiel in Newsletter und Social Media - publik gemacht werden.

Zweifellos ist nach dem jüngsten Skandal eine Novellierung des deutschen Lebensmittelrechtes dringend geboten. Will Agrarministerin Klöckner den Verbraucherschutz tatsächlich stärken und die Hygiene in der Lebensmittelherstellung verbessern, möge sie sich laut Foodwatch das dänische Lebensmittelrecht und Transparenzsystem zum Vorbild nehmen. Denn in Dänemark ist man in Fragen der Lebensmittelhygiene und -sicherheit und Kontrollen einige Schritte weiter.