Gasknappheit: Endstation Mehrzweckhalle?
Nach den Kontaktbeschränkungen der Corona-Pandemie könnte die Energiekrise im Winter viele Menschen zusammenbringen: in Wärmehallen. Kritiker nennen das "Herumdoktern an Symptomen".
Vieles, was aktuell als Notfallmaßnahme gegen die drohende Energieknappheit im Winter diskutiert wird, steht im Widerspruch zu den Empfehlungen zur Vermeidung einer Corona-Infektion.
Gründliches Händewaschen mit warmem Wasser? Das muss jetzt nicht mehr zwingend sein. Kaltes Wasser und Seife gehen auch. Kontakte reduzieren? Nichts für arme Leute: Die werden sich womöglich in Wärmehallen treffen. Solche einzurichten, empfiehlt jedenfalls der Deutsche Städte- und Gemeindebund für den Fall, dass etliche Menschen sich nicht mehr leisten können, ihre Wohnungen oder wenigstens ein Zimmer zu heizen.
Seit Montag ist die Gasversorgung in Deutschland weiter eingeschränkt, weil die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 aus Russland am Morgen wegen Wartungsarbeiten abgestellt wurde – dank sommerlichen Wetters wirkt sich das momentan nicht dramatisch aus. Die Planungen für einen harten Winter liefen allerdings in mehreren Städten schon vorher an.
"Da niemand genau sagen kann, wie dramatisch die Entwicklung sein wird, sollte auch überlegt werden, Wärmeinseln oder Wärmeräume vorzusehen, wo sich insbesondere ältere Menschen auch bei einem sehr kalten Winter aufhalten können", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Dr. Gerd Landsberg am Wochenende.
Einst Corona-Testzentrum, demnächst Massenunterkunft?
In Ludwigshafen hat der dafür zuständige Krisenstab mit der Friedrich-Ebert-Halle schon einen potenziellen Standort ausgemacht. Dabei handelt es sich um eine Veranstaltungs- und Mehrzweckhalle, die auch schon als Corona-Testzentrum diente – und bei entsprechenden Abstandsregeln Platz für 1000 Menschen bietet.
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege, einem Zusammenschluss von fünf Verbänden, darunter Diakonie und Arbeiterwohlfahrt, kritisiert laut Berichten regionaler Medien den Vorschlag als "Herumdoktern an Symptomen". Dies sei zwar gut gemeint, aber keine ernstzunehmende Antwort auf die Energiekrise.
Anstatt von Armut betroffene Menschen in Wärmestuben zu schicken, müssten sie in die Lage versetzt werden, ihre eigenen vier Wände zu heizen, sagt Albrecht Bähr vom Vorstand der Liga. "Zuschüsse und Preisdeckelungen darf es aber nicht für alle geben wie den Tankrabatt, das können wir uns nicht leisten", so Bähr. Die Hilfen müssten sich an der Grundsicherung orientieren.
Berliner Sozialsenatorin für Notbehelf plus Umverteilung
Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke) erwägt unterdessen ebenfalls die Einrichtung von Wärmehallen als Behelfslösung.
Allerdings fordert Kipping auch vom Bund, dieser solle sein "enormes Umverteilungspotenzial" für all diejenigen nutzen, die wegen der steigenden Energiepreise in Zahlungsschwierigkeiten kommen. "Der Bund könnte natürlich eine Übergewinnsteuer einführen, und hätte damit Mittel, um Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen in dieser schwierigen Zeit aus der akuten Energiearmut herauszuhelfen", sagte Kipping laut einem Bericht des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB) am Montag.
Von der angekündigten 300-Euro-Energiepreispauschale, die alle Beschäftigten im September ausgezahlt bekommen, bleiben Durchschnittsverdienern nach Abzug der Steuer nur 193 Euro. Aufs Jahr gerechnet dürften die Preissteigerungen pro Haushalt aber laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) "im vierstelligen Bereich" liegen.