Gaskrise: Warum die Einkaufstour ohne Moral nicht alternativlos ist

Riesige Mengen an Plastik werden jedes Jahr mit Gasenergie produziert. Viel Verpackungsmüll wird nicht recycelt, sondern landet in den Meeren. Bild: Vivianne Lemay / Unsplash Licence

Energie und Klima – kompakt, Teil 1: Die Bundesregierung verurteilt nicht alle Angriffskriege, wenn es ums Gas geht. Dabei könnte beim Verbrauch angesetzt werden. Was ist z.B. mit der Gasverschwendung für Plastik-Vermüllung?

Bundeskanzler Olaf Scholz war dieser Tage mit mäßigem Erfolg unter anderem in Vorderasien auf Einkaufstour, bei der mit diversen kriegführenden Despoten Verträge und Absichtserklärungen über Energielieferungen abgeschlossen wurden. Das wesentliche dazu hat hier auf Telepolis gestern bereits Energie-Watch-Präsident Hans-Josef Fell gesagt.

Anzumerken wäre nur noch, dass die meisten Medien mal wieder sehr unkritisch mit der Regierung umgingen und sich unbequeme Hinweise verkniffen. Von fehlenden bürgerlichen Freiheiten und der Unterdrückung der Frauen war im Zusammenhang mit der Scholz Reise ebenso wenig zu hören, wie von der harten, mitunter lebensgefährlichen Ausbeutung ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter oder dem mörderischen Krieg im Jemen, in den sowohl Katar als auch Saudi-Arabien, letzteres maßgeblich, verstrickt sind.

Ein Krieg, dem bis Ende 2021 bereits 377.000 Menschen zum Opfer gefallen sind und der unter anderem durch deutsche Waffenlieferungen ermöglicht wird. Ist noch mehr über die moralische Verfasstheit der Berliner Regierung oder die an Kriegszeiten erinnernde Formierung der veröffentlichten Meinung zu sagen?

Reparation für angerichtete Klimaschäden

Hans-Josef Fell wies auch darauf hin, dass die durch die Einkaufstour der EU in die Höhe getriebenen Gaspreise nicht zuletzt auch das hoch verschuldete Pakistan unter Druck setzen. Jenes Land, in dem ein "Monsun auf Steroiden", wie es UN-Generalsekretär Atónio Guterres ausdrückte, gerade einen erheblichen Teil der Ernte vernichtet und mehrere Millionen Menschen obdachlos gemacht hat und dem die Bundesregierung nun meint, mit einem einstelligen Millionenbetrag großzügig zu helfen.

Klimaschutzaktivisten sehen das etwas anders. Am gestrigen Dienstag forderten sie in Berlin vor der von Energiekonzernen und dem Handelsblatt organisierten "Jahrestagung Gas" nicht nur den Ausstieg aus der Gasnutzung und den Baustopp für die LNG-Terminals, sondern auch einen bedingungslosen Schuldenerlass für Pakistan und andere Länder des Südens, "um eine gerechte Energiewende zu ermöglichen." Dazu Nina Silber, Sprecherin des Aktionsnetzwerks Ende Gelände:

Wir sind heute in Solidarität mit den Menschen auf der Straße, deren Leben bereits jetzt von der Klimakrise bedroht ist. In Pakistan sind 33 Millionen Menschen von verheerenden Überschwemmungen in den letzten Wochen betroffen und Tausende sind gestorben. Dafür sind die hier anwesenden Konzerne direkt verantwortlich. Im Wissen, dass Erdgas massiv das Klima anheizt, wollen sie Gasinfrastruktur jetzt noch weiter ausbauen. Das muss aufhören. Wir fordern, dass fossile Gewinne enteignet und als Reparationen an die Most Affected People and Areas (MAPA) im Globalen Süden ausbezahlt werden.

Aussteigen aus der Gasinfrastruktur, das erscheint auch für viele Anhänger der Grünen unrealistisch. Das besonders klimaschädliche Flüssigerdgas zu importieren, scheint ihnen alternativlos, weil sie Russland für seinen Überfall auf die Ukraine abstrafen wollen. Dafür nimmt man dann eben auch in Kauf, dass das Gas aus der umstrittenen Schiefergas-Förderung stammt, bei Sklavenhalter-Staaten eingekauft werden muss oder auch aus Aserbaidschan kommt.

Das Land hat in diesen Wochen wiederholt Armenien angegriffen und wird von Armenien schwerer Misshandlung und Ermordung Gefangener vorgeworfen, doch da die Bundesregierung von dort Gas beziehen will, windet sich ihre Sprecherin in der Bundespressekonferenz, um den Angriffskrieg nicht als solchen zu benennen und zu verurteilen. Ein Mitschnitt von Thilo Jung hat die bemerkenswerte Szene festgehalten.

Gas-Fresser Plastik

Ansonsten soll die Gas-Krise dadurch gemildert werden, dass die Bürgerinnen und Bürger kürzer Duschen und weniger Heizen. Von der Verantwortung der Hausbesitzer für eine ausreichende Wärmesanierung oder vom industriellen Gasverbrauch ist hingegen selten oder nie die Rede, und die Vorstellung, hier eine Rationierung einzuführen, scheint tabu zu sein.

Dabei liegt hier ein erhebliches Einsparpotential, insbesondere mit der Plastikproduktion auch eines, das sowieso wegen der fehlenden Nachhaltigkeit und unkontrollierten Verbreitung von nur sehr schlecht abbaubarem Plastik und Mikroplastik bis in die allerletzten Winkel des Planeten unter die Lupe genommen gehört. Die Plastikherstellung ist mit Abstand der größte industrielle Verbraucher von Erdgas, Erdöl und Strom, heißt es in einem Bericht des Centers for International Environmental Law und der Kampagne Break Free From Plastic.

Die Plastikproduktion stellt damit noch die Stahl- oder die Automobilindustrie in den Schatten. 2020 sind demnach neun Prozent des EU-weiten Erdgasverbrauchs und weitere acht Prozent des Erdölverbrauchs auf ihr Konto gegangen. 40 Prozent allen Plastiks wird in der EU für Verpackungsmaterial eingesetzt. Würde diese Menge halbiert und die Recyclingrate in diesem Bereich auf 90 Prozent erhöht, ließen sich 6,2 Milliarden Kubikmeter Gas und 8,7 Millionen Tonnen Erdöl einsparen, rechnen die Autorinnen und Autoren vor. Das würde dem Gas und Erdölverbrauchs der Tschechischen Republik entsprechen.

Hierzulande ist die Industrie mit 37 Prozent der größte Gasverbraucher, gefolgt von den privaten Haushalten, auf deren Konto 31 Prozent des Verbrauchs geht, was rund 30 Milliarden Kubikmeter sind. Weiters haben die Gaskraftwerke 12 Prozent, Gewerbe, Handel und Dienstleistung 13 Prozent und die Fernwärme sieben Prozent des Gases verbraucht. Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2021.

Oder mit anderen Worten, würde wie in dem erwähnten Bericht vorgeschlagen die ohnehin ärgerliche, oft als sinnlos empfundene und für die Umwelt schädliche Verpackungsflut halbiert, könnte EU-weit Gas in einem Umfang eingespart werden, der einem knappen Viertel des deutschen Privatverbrauchs entspricht.

Aber dafür müssten Bundesregierung und EU-Kommission der Industrie ja Vorschriften machen, statt sich von ihr Gesetze schreiben zu lassen, mit der das Geschäftsrisiko der Energiekonzerne per Gasumlage von den Verbrauchern getragen wird.

Diese ist inzwischen so unpopulär, dass die Ampelkoalition demnächst einen Rückzieher machen könnte. Aber zum 1. Oktober wird sie wohl zunächst einmal eingeführt. Mehr dazu morgen im zweiten Teil der Wochenschau. In dem es ansonsten auch um die surreale Atomdebatte und den in ihr deutlich werdenden extremen Realitätsverlust des konservativen und rechtsradikalen Lagers gehen wird.

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