Gassparen: Spanien muss für Deutschlands energiepolitische Fehler schwitzen?

In deutschen Medien wird diese These aufgestellt, aber es ist wohl eher so, dass Deutschland wegen einer verfehlten Energiepolitik in Spanien und Frankreich im Winter frieren dürfte.

Kürzlich hat Der Spiegel eine steile These aufgestellt: "Spanien muss für Deutschlands energiepolitische Fehler schwitzen" titelte das Nachrichtenmagazin. Es bezog sich auf die kürzlich in Kraft getretenen Energie-Sparmaßnahmen, um den Winter-Gassparplan der EU einzuhalten. "Save gas for a safe winter", wird da aus Brüssel gefordert.

"Der Europäischen Union drohen weitere Kürzungen bei den Gaslieferungen aus Russland, da der Kreml seine Gasexporte als Waffe einsetzt", erklärte die EU-Kommission. Vorgeschlagen wird ein "neues Rechtsinstrument und einen europäischen Plan zur Senkung der Gasnachfrage, um den Gasverbrauch in Europa bis zum nächsten Frühjahr um 15 Prozent zu verringern."

"Save gas for a safe winter"

Die Verbraucher, Behörden, Haushalte, Eigentümer öffentlicher Gebäude, Energieversorger und Industrieunternehmen sollten Maßnahmen zur Einsparung von Gas ergreifen. Die Kommission will auch die Arbeiten zur Diversifizierung der Energielieferanten einschließlich des gemeinsamen Gaskaufs beschleunigen, damit die EU mehr Möglichkeiten zur Beschaffung von Gas aus alternativen Quellen hat.

Spanien "nicht amüsiert"

Spanien zeigte sich nach dem Vorschlag alles andere als amüsiert. Die sozialdemokratische Regierung lehnte die Winter-Gassparpläne zunächst vehement ab. "Anders als andere Länder haben wir in der Energiefrage nicht über unsere Verhältnisse gelebt", klagte die Ministerin für den Ökologischen Übergang Teresa Ribera am Tag der Bekanntgabe der EU-Pläne an - ohne aber Ross und Reiter zu nennen.

Die spanische Vizepräsidentin bezeichnete die EU-Pläne sogar als "ineffizient und ungerecht". Dass Spanien nicht einmal konsultiert wurde, daran störte man sich in Madrid ganz besonders. "Wir können kein unverhältnismäßiges Opfer bringen, zu dem wir nicht einmal um eine Stellungnahme gebeten wurden."

Doch von der Ablehnung bis zum radikalen Schwenk vergingen dann nur wenige Tage. Am 1. August verkündete Ribera plötzlich doch viele Sparmaßnahmen. "Es ist an der Zeit, solidarisch zu sein", erklärte die Ministerin nun auf einmal.

Im Sommer: die 27-Grad-Marke; Hotelzimmer sind ausgenommen

Die Sparmaßnahmen sind nun in Spanien seit einer Woche in Kraft. Sie sollen hier aber nicht nur im extrem heißen Sommer und für den kommenden Winter gelten: Während die EU die Sparmaßnahmen zunächst bis zum 31. März 2023 beschränkt, will Spanien die umstrittenen Maßnahmen sogar bis zum 1. November 2023 durchhalten, also bis kurz vor den geplanten Parlamentswahlen.

Demnach dürfen Verwaltungsgebäude, Kaufhäuser, Arbeitsstätten, Bahnhöfe und Flughäfen seit einer Woche nun auf nicht weniger als 27 Grad abgekühlt werden. Anders als oft berichtet, auch Der Spiegel verbreitet hier Irriges im Artikel, sind Hotels kaum betroffen. Von Hotels steht nämlich nichts in "einer Mitteilung der Ministerin", die das Nachrichtenmagazin verlinkt hat. Es ist offensichtlich, dass die Mitteilung gar nicht gelesen wurde.

Hotelzimmer sind nämlich von den Sparmaßnamen ausgenommen. Es ist klar, dass man eine der Säule der spanischen Ökonomie nicht belastet und das bedeutsame Tourismusgeschäft eben nicht geschwächt werden soll. Schon hier wird die Aussage falsch, wonach Deutsche "schwitzen müssen". Hotelzimmer werden weiter gekühlt, weil sie, so die Begründung, als "Privaträume" definiert werden.

In den gemeinschaftlich genutzten Räumen des Hotels müssen die Beschränkungen – jedenfalls theoretisch - eingehalten werden. Ausgenommen von der 27-Grad-Beschränkung sind auch Gesundheitseinrichtungen, Schulen, Universitäten und Kindergärten. Die Türen von Geschäften müssen, gehen erhebliche Widerstände vieler Ladenbetreiber, nun geschlossen bleiben.

Im Winter: 19 Grad

Viele halten diese Maßnahme nicht nur für geschäftsschädigend, vor allem sehen sie auch große Widersprüche. Schließlich wurden bisher alle wegen Covid-Ansteckungen aufgefordert, stets für eine gute Belüftung zu sorgen. Im Winter dürfen die angesprochenen Räume höchstens bis zu einer Temperatur von 19 Grad geheizt werden, was für viele, gerade im heißen Spanien, ziemlich wenig ist, ganz besonders bei bewegungsarmen Arbeiten.

Nach den spanischen Vorgaben müssen Geschäfte und Läden ihre Schaufensterbeleuchtungen nun um 22 Uhr abschalten. Auch ungenutzte Büroräume müssen in der Nacht dunkel bleiben. Denkmäler sind allerdings von dieser Regelung ausgenommen und bleiben beleuchtet. Aufgefordert wird auch die Privatwirtschaft, verstärkt wieder auf Homeoffice zu setzen.

Über diese Maßnahmen will Spanien seinen Gaskonsum um sieben Prozent senken. Andere Länder sollen den Verbrauch allerdings um 15 Prozent senken, die aber wie Deutschland bisher keine ähnlichen Maßnahmen verabschiedet haben.

Dass Spanien nur gut die Hälfte einsparen soll, verkauft die sozialdemokratische Regierung nun als Erfolg gegenüber Brüssel, obwohl die Spanier zudem noch viel länger sparen sollen.

Berlin "wenig amüsiert"

Der Schwenk der Regierung hatte auch damit zu tun, dass man bei europäischen Schwesterparteien wie der SPD in Deutschland wenig amüsiert über das angekündigte unsolidarische Verhalten Madrids war. Wie beim geplanten Vorstoß des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern, wurde dessen Regierung auch diesmal unter anderem aus Berlin zur Räson gerufen. Schließlich wurde Spaniens Bankensystem in der Finanzkrise ab 2008 auch mit Steuermilliarden aus Deutschland gerettet.

Das Land profitiert auch besonders stark vom sogenannten "Corona-Wiederaufbaufonds", in dem nun sogar ein Großteil des Geldes als Zuschüsse und nicht als Kredite ausgereicht werden.

Arbeitsschutz verlangt Höchsttemperatur von 25 Grad

Da das Dekret eilig mit heißer Feder gestrickt wurde, musste die Regierung schnell nach der Vorstellung zum Teil zurückrudern, da es mit Arbeitsschutzmaßnahmen kollidiert. Denn dort ist definiert, dass sogar bei "leichten Arbeiten" eine Höchsttemperatur von 25 Grad nicht überschritten werden darf. Deshalb wurde plötzlich für bestimmte Arbeitsstellen, allerdings nur wenige, wie Kneipen und einige Ladengeschäfte festgelegt, dass sie auf den Bereich "um 25 Grad" herunterkühlen dürfen, erklärte Ribera plötzlich.

Elena, die in einem Restaurant arbeitet, das einem großen Hotel in Donostia (spanisch San Sebastian) angeschlossen ist, hält aber auch die 25 Grad noch für deutlich überzogen. "In der Küche ist es bei einer solchen Temperatur angesichts der extrem hohen Luftfeuchtigkeit kaum auszuhalten", erklärt sie gegenüber Telepolis. Sie will nicht, dass ihr Name und ihr Arbeitsort genannt wird, denn dem Hotel droht eine Geldstrafe von bis zu 60.000 Euro.

Sie ist zufrieden darüber, dass die Hotelleitung die Vorgabe missachtet, die Türen geschlossen zu halten. "Das behindert enorm beim Servieren auf der Terrasse." Dass auch im Hotel und im Restaurant die Temperatur unter der Marke von 25 Grad gehalten wird, findet sie richtig. "Ich kann doch nicht total verschwitzt die Gäste bedienen", sagt sie. "Was macht das für einen Eindruck", sagt sie mit Blick auf ein eher hochpreisiges Umfeld.

Ob zum Beispiel bedienen oder kochen eine "leichte Tätigkeit" ist, oder sogar eine noch tiefere Temperatur zum Arbeitsschutz eingehalten werden muss, auch darüber werden Gerichte entscheiden müssen. Es ist zu erwarten, dass wie bei Corona-Auflagen, auch hier der Regierung in die Parade gefahren wird. Die rechtsaußen Regionalregierung der Hauptstadtregion Madrid hat sogar schon eine Verfassungsklage angekündigt und spricht von "Energiezensur".

Arbeitsschutz ist der Präsidentin Isabel Díaz Ayuso dabei aber ziemlich egal. "Madrid lebt vom Hotel- und Gaststättengewerbe und seinen Geschäften." Ihre Regierung weist auch auf grobe handwerkliche Fehler im Dekret hin. Es reiche schon, um 22 Uhr die Beleuchtung der Schaufenster nur "10 Sekunden" auszuschalten, um das Dekret zu erfüllen. Es sei nicht definiert, wie lange sie dunkel bleiben sollen.

Was die spanische Vize-Ministerpräsidentin gegenüber Brüssel beklagt, beklagen auch die Chefs der Regionalregierungen. Denn auch sie wurden, wie zum angeblichen "Gratis-Ticket" nicht in die Entscheidungen eingebunden. Heraus kam ein großer Flickenteppich. Die Berichte über einen angeblichen "kostenlosen ÖPNV", wie sie in Deutschland kursieren, könnten für Touristen zu Strafzahlungen führen. Denn geschaffen wurde kein universelles Ticket wie das Neun-Euro-Ticket, sondern ein Wirrwarr, der nur schwer zu durchschauen ist.