Gaza: Geschichten von Macht und Geld

Seite 2: Der außenpolitische Schaden Israels

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Und so steht Narrativ gegen Narrativ. Was allerdings bislang nichts geholfen hat: Weder Kerry noch Obama finden den Vorschlag aus Doha so schlecht wie Netanjahu; im Stab Kerrys sagt man, Netanjahu sei durchaus bekannt, dass die USA Israel nicht im Regen stehen lassen werden, sollte es durch die abrupte Öffnung Gazas zu wirtschaftlichen Problemen kommen. Dort sagt man, es sei "unangebracht", sich an "nicht tragfähige Initiativen zu klammern"; die Situation gebe das nicht her.

Man verweist auf den außenpolitischen Schaden, den Israel mit jedem weiteren Toten, mit jedem weiteren Luftangriff auf eine Einrichtung der Vereinten Nationen davon trage - und man meint damit auch sich selbst: Medienberichten zufolge wurden in der Tel Aviver Botschaft bereits seit dem 11. Juli keine Visaanträge von Israelis mehr bearbeitet; offiziell ist der Krieg daran schuld. Weil Personal "aus Sicherheitsgründen" zurück in die Staaten geschickt wurde, könnten nun Anträge nur mit großer Verzögerung bearbeitet werden (das für Palästina zuständige Konsulat in Jerusalem /al-Kuds arbeitet normal).

Die Bemühungen der israelischen Regierung, in das sogenannte "Visa Waiver Program" aufgenommen zu werden, unter dem Bürger teilnehmender Länder ohne vorherige Visaerteilung in die Vereinigten Staaten einreisen können, wurden zudem nun endgültig mit einer Absage beschieden. Offiziell ist die Zahl der Israelis, die illegal in den USA arbeiten und dabei erwischt werden, zu hoch.

Mehrere süd- und mittelamerikanische Länder haben derweil ihre Botschafter aus Israel abberufen; viele europäische Regierungen betonen zwar laut das Selbstverteidigungsrecht Israels, gehen aber auf Distanz zur israelischen Regierung und fordern ebenso laut einen Waffenstillstand.

Israels Regierung und ihre Unterstützer hoffen deshalb nun darauf, das amerikanische Narrativ dadurch beeinflussen zu können, indem sie Katar direkt angreifen. Das Emirat unterstütze die Hamas und damit den Terror, sagt man nun und zählt all' die Projekte auf, die das Land im Laufe der vergangenen Jahre im Gazastreifen unterstützt hat - darunter auch Schulen und Krankenhäuser.

Dadurch habe die Hamas Geld, dass sie aus anderen Quellen erhielt, für die Bewaffnung aufwenden können, antwortet man auf den Einwand, dass Katar sage, man habe immer sichergestellt, dass kein Geld an die Hamas fließe. Und auch einen Seitenhieb auf den Westen hat man trainiert: Katar verdiene dieses Geld durch Investitionen in westliche Unternehmen.

Der Höhepunkt der Arbeit der Spin Doktoren dürfte wohl die Veröffentlichung der Abschrift des Obama/Netanjahu-Telefonats gewesen sein. Ob es tatsächlich echt ist, das kann niemand sagen. Im Raum steht aber ohnehin eher die Frage nach dem Warum; warum die Abschrift an die Medien weitergegeben wurde.

Innenpolitische Seiltänze

Harte Telefonate werden auch zwischen befreundeten Staats- und/oder Regierungschefs immer wieder geführt. Aber in aller Regel wird die Schärfe von den PR-Leuten diplomatisch in Sprache verpackt, die es ermöglich, dass sich beide Seiten am nächsten Morgen wieder die Hand schütteln können. Und im Falle von Obama/Netanjahu war es nicht das erste Mal, dass es ganz heftig zwischen den beiden gekracht hat: Von Netanjahus offener Unterstützung für Mitt Romney im zweiten Wahlkampf Obamas bis hin zur Nahost-Mission Kerrys, die Netanjahu eher aufgezwungen wurde - die beiden verspüren wenig Liebe füreinander.

Ein möglicher Erklärungsansatz könnte darin liegen, dass Netanjahu die Gunst der Stunde genutzt hat, um an seiner Inszenierung als besonnener Landesvater zu arbeiten. Bereits vor einigen Wochen hat er damit begonnen, aus der Not eine Tugend zu machen und die öffentliche Koalitionskrise mit seinen rechten Partnern Jisrael Beitenu (Außenminister Avigdor Lieberman) und "Jüdisches Heim" (Handelsminister Naftali Bennett) in den Kampf eines Spitzenpolitikers gegen den Ansturm der Rechten umzudeuten.

Vor dem Hintergrund der Forderung der beiden Politiker nach einer vollständigen Besetzung des Gazastreifens (Bennett: "Es wäre falsch, mitten in der Fahrt den Fuß vom Gaspedal zu nehmen") ist nach Lesart des Teams Netanjahu aus den Bombardements von ganzen Städten und groß angelegten Einsätzen von Bodentruppen, die stündlich mehr Tote fordern, ein "besonnener Militäreinsatz" geworden, bei dem "Netanjahu bewiesen hat, dass er seine politische Karriere hintan zu stellen bereit ist, um sich um das Wohl des Landes zu kümmern" - das war ein Zitat aus einem Kommentar der sehr Netanjahu-freundlichen Zeitung "Jisrael HaJom".

Altgediente Likudnikim schwärmten derweil am Mittwoch davon, wie der Regierungschef Obama die Stirn geboten habe und vergleichen ihn mit Jitzhak Schamir, der zu Zeiten des Golfkrieges Anfang der 1990er Jahre, US-Präsident George Bush mit der Drohung, Israel werde den Irak angreifen, mehrere Milliarden Dollar abschwatzte. Allerdings: Nur kurz nach Kriegsende verließen Schamirs rechte Koalitionspartner die Regierung, weil der Premier an der Madrider Konferenz über den israelisch-palästinensischen Friedensprozess teilnehmen wollte. Auch heute wird es eher über kurz als über lang wohl unausweichlich sein, sich wieder mit den Palästinensern an einen Tisch zu setzen.

Und noch eine Ähnlichkeit zur Schamir-Ära gibt es: Im Hintergrund fummeln Oppositionspolitiker an einer Neuauflage des "schmutzigen Tricks", mit dem Schimon Peres 1990 Schamir durch die Bildung einer alternativen Koalition hatte stürzen wollen. Dabei wird eine Misstrauensantrag gestellt, in dem auch bereits ein alternativer Regierungschef benannt wird.

Hat er Erfolg, bildet dieser Politiker dann die neue Regierung. Bislang hat das noch nie funktioniert. Doch wenn das Kriegsende gekommen ist, stehen die Chancen gut, dass Netanjahu entweder die Rechten vor die Tür setzt oder eine Mitte-Links-Koalition ihm den Weg nach draußen zeigt. Mit seinem Narrativ des besonnenen Bibi bietet Netanjahu sich auch der Linken als Partner für die Zeit nach dem Krieg an: "Wir dürfen nicht als welche von denen da gesehen werden", sagt ein Mitarbeiter des Premiers und meint damit die Rechten.

Der Kommandeur der Kassam-Brigaden schließt einen Waffenstillstand aus

Doch das Problem dabei ist, dass es mittlerweile kaum mehr einen "Weg zurück" geben dürfte: In einer Ansprache schloss Mohammad Daif, der Kommandeur der Kassam-Brigaden, einen Waffenstillstand nun grundsätzlich aus, so lange Israel nicht die Forderungen der Organisation erfüllt. Erst wenn die Palästinenser frei und sicher seien, würden auch die Israelis frei und sicher sein, sagte ein Sprecher der Brigaden am Mittwoch und betonte ebenfalls, man werde weiter kämpfen.

Denn die Bevölkerung dort, von der mittlerweile mehr als ein Zehntel auf der Flucht ist, von denen viele kein Haus mehr haben, in das man zurückkehren kann, sucht nach einem Sinn hinter dem Krieg; häufig war im Laufe der vergangenen Wochen die Ansicht zu hören, dass Hamas und Kassam-Brigaden ihre eigenen Ziele zum Nachteil der Menschen verfolgen. Die Hamas hat sich nun de facto zur Befreiungsorganisation erklärt und auch die Volkswiderstandskommittees, eine Vereinigung von militanten Gruppierungen, die gegen den Friedensprozess mit Israel sind, haben sich erstmals seit langer Zeit wieder zu Wort gemeldet.

Ein Waffenstillstand, der dem zum Ende des letzten Gaza-Krieges 2012 geschlossenen ähnelt, ist spätestens damit unwahrscheinlich geworden: Damals war die Blockade weitgehend aufrecht erhalten worden; die Menschen lebten seitdem mit massiven Einschränkungen. Es ist unwahrscheinlich, dass dies noch einmal so geschieht - die Menschen würden es nicht hinnehmen: Denn ob die ausländische Hilfe für den Wiederaufbau, die zumindest Israel erwartet, tatsächlich kommen wird, ist längst nicht gesagt.