Gefährder-Gesetz: Sorge um Freiheitsrechte von "Normalbürgern"

Neue Gesetzesvorhaben bauen Präventiv-Befugnisse der Polizei bedenklich aus - Kritik des Datenschützers Thomas Petri

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Langsam und weitgehend von der großen Öffentlichkeit unbemerkt bauen neue Gesetzesvorhaben Polizeibefugnisse aus, die nicht nur auf Terroristen oder Terrorismusverdächtige angewendet werden können. Darauf machte der bayrische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Thomas Petri, vergangene Woche in einem bemerkenswerten Statement aufmerksam.

Geplantes Gesetz schießt übers Ziel hinaus

Darin heißt es schon in der Überschrift, dass das geplante Gesetz "zur Überwachung gefährlicher Personen über das Ziel hinausschießt". Die Freiheitsrechte von "Normalbürgern" seien gefährdet, so der promovierte Jurist mit den Forschungsschwerpunkten Verfassungsrecht, Polizeirecht und Rechtsphilosophie, was ihm ganz offensichtlich einen wachen Blick eingetragen hat.

Seine Wachsamkeit zeigte er bei seiner kritischen Beurteilung des neuen "Gefährdergesetzes" angesichts des dort formulierten Vorhabens, die Höchstspeicherfristen für Videoüberwachung zu verlängern. Wie Christiane Schulzki-Haddouti am Freitag bei heise.de berichtete übte Petri "harte Kritik" an diesem Vorhaben, weil "eine solche Speicherfrist regelmäßig nicht ansatzweise erforderlich" ist.

Nun gehört die Wachsamkeit bei Datenspeicherungen zur klassischen Disziplin eines Datenbeauftragten, Petri aber hat seinen Blick auch darüber hinaus scharf auf Bestimmungen im neuen Gesetzesentwurf gerichtet, wie man es nicht unbedingt von einem Datenschutzbeauftragten erwartet. Der heise.de-Bericht deutet es an.

Petri kritisiert demnach an dem Gesetzesvorhaben, das in der Öffentlichkeit vor allem wegen der Fußfessel-Überwachung von Gefährdern bekannt sein dürfte, dass das Gesetz so genannte "Gefährder", die bekämpft werden sollen, nicht definiert und präventive Befugnisse der Polizei bei Durchsuchungen und Gewahrsamnahme ausgebaut werden.

Herabsenkung der Einschreitschwellen

Der Datenschutzbeauftragte schreibt in seinem Statement, es bereite ihm "große Sorge, dass der Gesetzesentwurf eine erhebliche Herabsenkung der Einschreitschwellen bei polizeilichen Standardmaßnahmen wie etwa der Identitätsfeststellung oder der Durchsuchung einer Person vorsieht".

Dies birgt die Gefahr, dass das geplante Gesetz, das eigentlich der Bekämpfung des Terrorismus dienen soll, am Ende in erster Linie in die Freiheitsrechte der "Normalbürger" eingreift und damit über das Ziel hinaus schießt.

Thomas Petri

Schaut man sich den Gesetzesentwurf an, der den Ministerrat passiert hat und bei den Mehrheitsverhältnissen im Landtag kaum auf Hindernisse stoßen wird, so fällt eine heikle Zone auf, in die dort mit mehrfachen Formulierungs- und Gesetzesveränderungen vorgestoßen wird.

Ausbau des "präventivpolizeilichen Befugnisinstrumentariums"

Es geht um die Abwehr drohender Gefahr, also um einen Verdachtsbereich, der es mit Absichten zu tun hat, und nicht, womit es das Strafrecht zu tun hat, mit bereits begangenen Straftaten. Das "präventivpolizeiliche Befugnisinstrumentarium", wie es im Amtsjargon heißt, wird ausgebaut, weil, so das Motiv für die Gesetzesveränderung, die polizeilichen Befugnisse "unverzüglich" einer Bedrohungslage angepasst werden müssen, die vor allem mit der Gefahr durch Terroristen begründet werden - aber eben nicht nur:

Immer wichtiger wird dabei eine, im Einzelfall auch langanhaltende Überwachung der von Seiten der Sicherheitsbehörden als gefährlich eingeschätzten Personen, darunter vor allem auch die sog. Gefährder , insbesondere aus dem terroristischen und sonst extremistischem Spektrum - gerade auch dann, wenn sich noch keine konkreten Straftaten einschließlich strafbarer Vortaten gesichert nachweisen lassen oder eine Verurteilung bereits zurückliegt, die von einer Person ausgehende Gefahr aber erneut bzw. nach wie vor hoch ist.

Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen

Man muss ein vielleicht ein paar Jahre zurückgehen, um den Abstand dafür zu haben, dass man die Brisanz der gesetzlichen Absicherung von präventionspolizeilicher Maßnahmen zu erkennen. Gegenwärtig, nach den Anschlägen der letzten beiden Jahre in Frankreich und dann auch in Deutschland, leuchtet sofort ein, dass die Polizei Mittel braucht um bestmöglich vor Gefährdern zu schützen.

Dafür gibt es einen selbstverständlichen Konsens. Das sollte jedoch nicht davon abhalten genau darauf zu achten, mit welcher Reichweite die Gesetzesverschärfungen aufgespannt werden.

"Drohende Gefahr" als zusätzliche Gefahrbegriffskategorie

Mit der "drohenden Gefahr" wird eine zusätzliche Gefahrbegriffskategorie eingeführt, um vor allem Vorbereitungshandlungen besser erfassen zu können, heißt es im Gesetzesentwurf. Dafür würden Standardbefugnisse ergänzt, "beginnend mit der Identitätsfeststellung". Dies betrifft dann, wie der Datenschutzbeauftragte kritisiert, eben alle, nicht nur "Gefährder", wegen möglicher Terroranschlagplanungen verdächtiger Personen.

Die Ansichten über die "Schwere" eines Eingriffs in die persönliche Freiheit durch eine Identitätsfeststellung mögen unterschiedlich sein. Es gibt weitaus Schlimmeres, wie man in Frankreich sehen kann, wobei man dort wie in den USA auch häufig in Berichten liest, dass Identitätsfeststellungen das Potential haben, zur Schikane zu werden.

Identitätsfeststellung, erkennungsdienstliche Behandlung und Durchsuchung von Personen

Bei der Durchsuchung von Personen, geregelt nach § 29 des Polizeigesetzes ist der Eingriff in die persönliche Freiheit schon deutlicher wie auch die Möglichkeit, daraus eine Schikane, jedenfalls eine unangenehme Prozedur zu machen, die dem Einzelnen sehr klar vorführt, welche Macht die Polizei haben kann.

Der Gesetzgeber ist sich, wie der Gesetzesentwurf ausführt (PDF, S.14), bewusst, dass die Identitätsfeststellung nicht irgendein, sondern ein "äußerst wirksames Instrument zur Gefahrenabwehr" sein kann. Weswegen man nun die Einschreitschwelle, wie dies Petri kritisiert, herabgesetzt hat. Es reicht dann künftig, wenn die Gefahr droht, dass "Störer" eine Ordnungswidrigkeit begehen könnten:

Um gefährliches Handeln, das in die Begehung gewichtiger Ordnungswidrigkeiten oder von Straftaten münden kann, bereits In einem frühzeitigen Stadium zu unterbinden, kann es daher schon im Vorfeld einer klassischen konkreten Gefahr erforderlich sein, die Identität von Störern festzustellen. Aus diesem Grund wird der Polizei ermöglicht, auch in Situationen drohender Gefahr, bezogen auf die Begehung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder Straftaten, Maßnahmen der Identitätsfeststellung durchzuführen.

Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen

Ausgedehnt wird auch die Möglichkeit zur erkennungsdienstlichen Behandlung, die immerhin erfordert, dass die oder der Betroffene mit aufs Revier muss. Auch hier spielt der Begriff der "drohende Gefahr" eine Schlüsselrolle. Sie kann laut Gesetz unabhängig davon veranlasst werden, "ob eine Straftat bereits begangen, gerade ausgeführt, vor bereitet oder gerade geplant wurde".

Ähnliche Erweiterungen gibt es für Platzverweise und Kontaktverbote und für die Befugnis zur Durchsuchung von Personen - die drohende Gefahr muss sich nicht unbedingt auf Straftaten beziehen, sondern künftig auf die Begehung von "Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit".

"Moderate Arrondierung"

Das sind selbstredend noch keine gruslig-spektakulären Befugniserweiterungen wie zum Beispiel in Frankreich die neuen Richtlinien zum erleichterten Schusswaffengebrauch von Sicherheitskräften, aber hier wird ein Weg begangen, der kritische Aufmerksamkeit nötig hat. Wer den Gesetzesentwurf genauer durchliest, merkt auch, dass sich die Verfasser darüber bewusst sind, dass die Grenzen bisheriger Polizeiarbeit übertreten werden und eine neue Dimension erschlossen wird.

Sinnigerweise sprechen die Verfasser des Gesetzesentwurfes von einer "moderaten Arrondierung" der polizeilichen Maßnahmen unter dem Begriff einer drohenden Gefahr. Sie machen darauf aufmerksam, dass die Befugniserweiterung sich "nicht von vornherein auf die Abwehr terroristischer Gefahren beschränkt".