Gefährlicher Grippevirus wurde an 5.000 Labors verschickt

Die WHO hat die sofortige Vernichtung der versehentlich oder mit Absicht falsch bezeichneten Proben angeordnet

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gestern gab die WHO bekannt, dass im Auftrag vom College of American Pathologists (CAP) Proben des Grippevirus A/H2N2 an über 5.000 Labors vor allem in den USA, aber auch an 61 Labors in 18 weiteren Ländern (darunter Deutschland) und 14 in Kanada, zum Testen für eine Routine-Überprüfung der Lizenz verschickt wurden. Erst am 26 März ist die WHO von der kanadischen Gesundheitsbehörde PHAC darauf aufmerksam gemacht worden, dass solche Proben verschickt wurden. Es handelt sich um den Virus, der 1957 zu Beginn der Asiatischen Pandemie bei Menschen festgestellt wurde und zwischen einer und vier Millionen Menschen tötete. Bis 1968 löste er jährlich Epidemien aus. Die WHO warnt vor einer möglichen Epidemie und dringt darauf, dass alle Proben umgehend vernichtet werden.

Influenza-A-Virus. Bild: CDC

Erst mit dem Aufkommen des Virenstamms A/H3N2 im Jahr 1968, der die nächste Epidemie, die so genannte HongKong-Grippe, verursachte, verschwand H2N2. Möglicherweise gefährlich ist H2N2 für die Menschen, die nach 1968 geboren wurden und dem Virus niemals ausgesetzt waren. Sie haben also keine oder nur eine geringe Immunität. Würden sie von dem Virus infiziert werden, könnte es zu einer Epidemie kommen, die deswegen gefährlich werden kann, weil der H2N2-Virus in den gängigen Grippeimpfungen nicht enthalten ist. Klaus Stohr, Influenza-Experte der WHO, zeigt sich besorgt: "Wir sprechen von einem völlig übertragbaren menschlichen Grippe-Virus, gegenüber dem die Mehrheit der Menschen keine Immunität ausgebildet hat. Wir sind besorgt."

Noch wurden keine Infektionen bekannt, das Risiko wird von der WHO auch als gering angesetzt. Aber wenn eine Infektion etwa eines Labormitarbeiters erfolgen sollte, könnte dieser andere anstecken: "Und das würde den Beginn eines globalen Ausbruchs bedeuten", sagt Stohr. Wenn 5.000 Labors die Viren erhalten haben, kann es durch Unachtsamkeit durchaus einmal zu einer Infektion kommen.

Nach der WHO wurden viele Proben schon vernichtet. Die Namen der Labors außerhalb der USA nannte man aber nicht, nur die Länder. 3.700 Labors erhielten die Proben für den Routine-Test, 2700 weitere Labors ausschließlich in den USA im Rahmen einer anderen Maßnahme. Unter den Labors befinden sich auch solche in Arztpraxen.

Normalerweise werden College of American Pathologists aktuell zirkulierende Grippeviren an Labors zum routinemäßigen Testen verschickt, derzeit beispielsweise H3N2 oder H1N1. Offenbar ist noch unklar, warum der H2N2-Virus verschickt wurde – und dies ausgerechnet in den USA, wo nach dem 11.9. und vor allem nach den Anthrax-Anschlägen die Vorkehrungen im Hinblick auf Anschläge mit biologischen Waffen sehr ernst genommen wurden. Obwohl die Proben bereits seit November des letzten Jahres bis zum Februar diesen Jahres verschickt wurden, haben die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta erst seit letzten Freitag davon Kenntnis erlangt. Das spricht nicht für Vorsichtsmaßnahmen, in die viele Milliarden Dollar investiert wurden und für deren Koordination man ein eigenes Ministerium für Heimatschutz geschaffen hat.

Wie Nancy Cox, die Leiterin der Influenza-Abteilung der CDC wenig beruhigend erklärt, nehme man nicht an, dass "jemand diesen gefährlichen Krankheitserreger absichtlich verwendet hat oder dass es sich um einen Akt des Bioterrorismus handelt". Es sei nämlich, so versichert sie und demonstriert damit zugleich, dass man eigentlich darüber nichts weiß, "keine besonders schlaue Methode, eine Epidemie zu verbreiten, wenn man sie an Labors verschickt, weil wir dort Menschen haben, die gut in Biocontainment ausgebildet sind".

Das freilich scheint nicht viel zu nutzen, wenn gefährliche Erreger an Tausende von Adressen geschickt werden können (und erinnert ein wenig auch an die Anthrax-Briefe, deren Versender, vermutlich ein Insider, trotz aufwändiger Maßnahmen noch immer unbekannt ist - Auf der Spur der Anthrax-Briefe). Nach Angaben des CAP war die Firma Meridian Bioscience, Ohio, beauftragt worden, die Proben zu versenden. Sie sollte eine Influenza-A-Probe nehmen und jemand hat aus dem Lager den tödlichen H2N2-Stamm von 1957 ausgewählt, der aber als harmlos bezeichnet worden war. Nun wird die Verantwortung für die Schlamperei oder für die gezielt begangene Tat zwischen CAP und Meridian hin und her geschoben. Bei den CDC will man nun die Maßnahme einführen, dass eine Benachrichtigung beim Verschicken von Pathogenen eingereicht werden muss. Falls diese aber wieder falsch ausgezeichnet würden, wie im jetzigen Fall, würde es wohl auch dann nicht weiter auffallen, wenn gefährliche Krankheitserreger verschickt werden

Die WHO hat in einer Eilmaßnahme alle Labors benachrichtigt, die den Empfang der Mitteilung und die sofortige Vernichtung der Probe bestätigen und ihre Mitarbeiter auf Grippe untersuchen müssen. Stohr kritisiert, dass potenziell gefährliche Viren wie der jetzt verschickte wohl noch in vielen Labors vorhanden seien. In den USA wird der H2N2-Virus von 1957 noch unter der Sicherheitsstufe 2 (Biosafety-Level-2) geführt, in vielen Ländern müssen Labors aber dafür bereits die höhere Sicherheitsstufe 3 Gewährleisten.