zurück zum Artikel

Gefahr aus dem Bierkeller

Trailer zu "Confessions of a Nazi Spy"

Das Dritte Reich im Selbstversuch - Teil 10

Heute mal etwas ganz anderes. Nachdem Goebbels und seine Helfer in bisher neun Teilen NS-Selbstversuch ausreichend Gelegenheit hatten, den Feind zu identifizieren und zu bekämpfen, soll nun die Gegenseite zu Wort kommen. Wie sahen die Amerikaner und die zu ihnen geflüchteten Europäer die Nationalsozialisten? Der erste Anti-Nazi-Film aus Hollywood heißt . Man stand bereits kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, als er 1939 ins Kino kam.

Konsul Gyssling interveniert

In den ersten Jahren nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler machte Hollywood um die Nazis einen großen Bogen. Dafür gab es mehrere Gründe, die alle mit Geld zu tun hatten. Die oberste Maxime war, sich mit keinem anzulegen. Politik, so die weitgehend unbewiesene Behauptung, sei Gift für die Kinokasse. Hollywood gefiel sich darin, angeblich unpolitische Filme zu machen. Das war zwar schon immer Unsinn, weil ein Kameraschwenk, die Wahl einer Einstellungsgröße oder ein Happy Ending genauso eine Botschaft transportieren können wie ein Hakenkreuz, aber zum Mythos von der Traumfabrik gehörte die Mähr von der "unpolitischen Unterhaltung" eben auch. Allzu deutliche Bezüge zum Zeitgeschehen, etwa zum Faschismus in Europa, hätten den schönen Mythos beschädigt und waren deshalb verpönt. So etwas war der Wochenschau vorbehalten. Im Spielfilm hatte es nach Meinung der meisten Studiobosse keinen Platz.

Die im April 1936 gegründete Hollywood Anti-Nazi League zählte etwa 4000 Mitglieder, organisierte Demos, finanzierte eine wöchentliche Radiosendung und blockierte den Zugang zu Treffen des German-American Bund in Los Angeles (von dem noch zu reden sein wird), aber in den von Hollywood produzierten Filmen fand das kaum einen Niederschlag. Die Zahlen darüber, welche Profite die amerikanische Filmindustrie in den 1930ern durch den Export erwirtschaftete, sind sehr widersprüchlich (vermutlich 40 bis 50 Prozent der Gesamterlöse). Fest steht, dass Europa der wichtigste ausländische Markt war. Diesen Markt fürchtete man zu verlieren, wenn man es sich mit den braunen Machthabern verderben würde. Das war nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es gab damals eine Vielzahl von bilateralen Kulturverträgen, in denen sich ein Land verpflichtete, einem Film, durch den sich ein anderes Land beleidigt fühlte, die Aufführungsgenehmigung zu verweigern. Diejenigen der großen Studios, die das wollten, konnten ihre Filme bis 1939 relativ ungehindert vertreiben, auch in Deutschland, wenn sie bestimmte Regeln befolgten. Bei der MGM gab es zum Beispiel einen Angestellten, der nur damit beschäftigt war, jüdische oder sonst unerwünschte Namen, etwa die von Emigranten, aus dem Vorspann der für den Export bestimmten Filme zu entfernen.

Die Repräsentanten des Nazi-Regimes in den USA waren auch nicht zimperlich, wenn es darum ging, Druck auszuüben. Für ein gewaltiges Rauschen im amerikanischen Blätterwald sorgte im April 1937 das Vorgehen eines Herrn Georg Gyssling, seines Zeichens deutscher Konsul in Los Angeles, gegen , James Whales Verfilmung eines 1933 von den Nazis verbrannten Romans von Erich-Maria Remarque um Kriegsheimkehrer und ein nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg von Unruhen erschüttertes Deutschland. Gysslings Versuche, den Film schon im Vorfeld zu unterbinden, weil er ein verlogenes Bild des deutschen Volkes zeichne, scheiterten. Dann platzte die Bombe.

Georg Gyssling und Elly Beihorn 1934 in Los Angeles

Eine Woche vor Drehschluss schickte Dr. Gyssling Briefe an Whale und zwölf seiner Darsteller, per Einschreiben. In all diesen Briefen stand in etwa dasselbe. Werter Herr, schrieb der Konsul, ich wende mich an Sie in Zusammenhang mit dem Film , an dem Sie beteiligt sein sollen. Im Auftrag meiner Regierung muss ich Sie warnen. Laut einer Verordnung zur Aufführung ausländischer Filme in Deutschland vom 28. Juni 1932, Artikel 15 (Kopie und Übersetzung liegen bei) können alle Produktionen mit Personen, die an einem dem deutschen Ansehen abträglichen Film mitgewirkt haben, obwohl sie von deutscher Seite gewarnt wurden, mit einem Aufführungsverbot belegt werden. So weit der ehrenwerte Konsul. Demnach konnte man auch gleich alle anderen Filme von James Whale verbieten, von über bis zu , und wenn das Dritte Reich nicht untergegangen wäre, hätte das deutsche Fernsehen nie zeigen dürfen, weil Noah Beery Jr. alias Papa Rockford in einen Deutschen spielt. Das war die Sippenhaft für Filme.

Einer der Darsteller leitete Gysslings Brief an das Außenministerium weiter und verlangte Schutz gegen die Drohungen einer fremden Regierung. Jede große Zeitung des Landes berichtete über das wenig diplomatische Agieren des deutschen Konsuls. Selbstverständlich verwahrte sich der Chef der produzierenden Universal gegen solche Einmischungen. In den Führungsetagen Hollywoods und mehr noch in New York, wo die Geldgeber residierten, war die Botschaft trotzdem angekommen. Es war auch keineswegs unüblich, bei potentiell anstößigen Projekten schon in der Planungsphase die Meinung der deutschen Seite einzuholen, um späteren Problemen vorzubeugen. Andererseits nahmen nach dem Skandal um die Wortmeldungen derer stark zu, die von Hollywood forderten, sich endlich seiner Verantwortung bewusst zu werden und zu den Vorgängen in Europa Stellung zu beziehen. Die gegenteilige Haltung nahmen die Isolationisten ein, die dafür waren, sich aus auswärtigen Angelegenheiten möglichst herauszuhalten und sich keinesfalls in einen drohenden Krieg hineinziehen zu lassen.

Spionageprozess mit Friseuse

Wie es dann doch zum ersten Anti-Nazi-Film eines großen Hollywoodstudios kam, darüber sind verschiedene Versionen im Umlauf. Eine wichtige Rolle spielten sicher die "Freunde des Neuen Deutschlands", eine 1933 gegründete Vereinigung von mit den Nazis sympathisierenden Deutsch-Amerikanern, die sich 1935 in "German-American Bund" (GAB) umbenannte, nachdem das House Un-American Activities Committee (kurz HUAC, der Ausschuss des Repräsentantenhauses zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten) herausgefunden hatte, dass es finanzielle Verbindungen zwischen den "Freunden" und der deutschen Botschaft gab. Mit der Namensänderung sollte offenbar die Nähe zu Hitler-Deutschland vertuscht werden, was etwas seltsam anmutet, wenn man bedenkt, dass die Mitglieder Uniformen trugen sowie Hakenkreuzfahne und Hitlergruß von den Nazis übernahmen und dass der Bund die Kinder in einer an der Hitlerjugend und am BDM ausgerichteten Jugendorganisation indoktrinierte (mit Zeltlagern wie in ).

Das FBI ermittelte trotzdem. J. Edgar Hoover, der selten eine Gelegenheit ausließ, Reklame für sich und seine Polizeibehörde zu machen, gab am 26. Februar 1938 bekannt, dass das FBI einen Spionagering der Nazis enttarnt und zerschlagen habe. Er hätte besser abgewartet, bis der Fall abgeschlossen und alle Verdächtigen festgenommen waren. Sehr bald scheint Sand ins Getriebe gekommen zu sein. Das von Stefan Heym herausgegebene Deutsche Volksecho, eine antifaschistische Exilantenzeitung, berichtete ab Februar detailliert und regelmäßig und forderte den Innenminister in einem offenen Brief dazu auf, die Ermittlungen energischer voranzutreiben, was auch im Interesse der den USA gegenüber loyalen Deutsch-Amerikaner sei. Am 22. Oktober 1938 fasste Heym den Stand der Dinge wie folgt zusammen:

Schon heute steht fest, was eingeweihte Kreise immer wußten, daß die deutsche Handelsmarine der Träger von Spionagezentren ist. Hauptsächlich sind es die "Hamburg" und die "New York", deren Offiziersmannschaft mit Agenten durchsetzt ist. Vom Hafen geht es direkt nach Yorkville, wo in den kleinen Cafés, deren Besitzer oft ahnungslos sind, die Rendezvous mit den hiesigen Agenten stattfinden.

Yorkville ist ein Stadtteil von New York, der Anfang des 20. Jahrhunderts zur bevorzugten Wohngegend deutscher Einwanderer wurde (bald abgelöst durch Queens) und in den 1930ern durch den Zuzug vieler Flüchtlinge eine kurze Renaissance als "Kleindeutschland" erlebte. Auch einige der Gründungsmitglieder der "Freunde des neuen Deutschlands" lebten dort, und in Yorkville gab es Kinos für ein deutschsprachiges Publikum, in denen die Propagandafilme der Nazis liefen. Zu den Mitgliedszahlen des Bundes gibt es nur Schätzungen, die von 20 000 bis über 100 000 reichen, die Zahl der Sympathisanten ist noch schwerer zu bestimmen. 1942, nach dem Kriegseintritt der USA, wurden 7000 Mitglieder als Staatsfeinde interniert. Die Hälfte davon ließ man bald wieder frei. Nach dem Krieg wurde eine Adressenliste des GAB entdeckt. Sie enthielt die Namen von 250 000 Deutsch-Amerikanern, die noch Verwandte in der alten Heimat hatten (ein potentielles Druckmittel).

Gustav Rumrich

Im Juni 1938 wurden 18 Verdächtige wegen Spionage angeklagt. Beim Prozess vor dem New Yorker Bundesgericht, der im Oktober begann, sagte einer davon, der eingebürgerte Günther Gustav Rumrich, als Zeuge der Staatsanwaltschaft aus und erhielt eine reduzierte Strafe, weil er kooperiert hatte. Die drei anderen waren Otto Hermann Voss, früher in der Entwicklungsabteilung einer Flugzeugfirma angestellt, der Gefreite Erich Glaser und Johanna Hofmann, Friseuse auf dem deutschen Passagierschiff Europa. Sie wurden am 2. Dezember schuldig gesprochen und zu Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren verurteilt. Maximal wären 20 Jahre möglich gewesen. Die Todesstrafe für Spionage gab es nicht, weil sich die USA nicht im Kriegszustand befanden.

Von links nach rechts: Dr. Ignatz Griebl und drei der Verurteilten (Rumrich war der vierte); Otto Hermann Voss, Johanna Hofmann, Erich Glaser

14 von den 18 Angeklagten wurden nicht verurteilt, weil sie nicht erschienen waren. Sie hatten sich irgendwann zwischen Hoovers Pressemitteilung und Prozessbeginn abgesetzt und wurden in Deutschland vermutet. Laut Website des FBI [1] war der die Ermittlungen leitende Agent Leon G. Turrou für das Desaster verantwortlich, weil er auf einen solchen Fall nicht vorbereitet war und Informationen an die Presse weitergegeben hatte. Einer der Geflohenen war Dr. Ignatz T. Griebl, ein in München geborener Bund-Funktionär mit Arztpraxis in Yorkville und der mutmaßliche Haupttäter. Während der Verhandlung wurden Beweise für Spionagetätigkeiten vorgelegt, in die der German-American Bund, die deutschen Konsulate und die deutsche Handelsmarine verwickelt waren.

Der GAB machte danach mehr oder weniger weiter wie bisher, obwohl der Kongress eine neuerliche Untersuchung einleitete. Wenn man die amerikanischen Zeitungen studiert, besonders solche aus New York, wo das Problembewusstsein am ausgeprägtesten war, kann man den Eindruck gewinnen, dass es ein großes Interesse an dieser Spionageaffäre gab. Das täuscht. Für die meisten Amerikaner war Europa sehr weit weg. Wenn man die Bund-Mitglieder und ihre Rituale für sich allein sieht, nicht im Zusammenhang mit den Nazi-Verbrechen, von denen die schlimmsten noch bevorstanden, wirken sie bescheuert. Als der deutsche Botschafter im August 1937 in einem der Zeltlager des Bundes (Camp Hindenburg bei Buffalo) führermäßig eine Parade abnahm, wurde das von der überregionalen Presse mit so viel Hohngelächter quittiert, dass deutsche Würdenträger an solchen Veranstaltungen lieber nicht mehr teilnahmen (weil einer schuld an dem Debakel sein musste, wurden dem Bund danach die Mittel gekürzt).

Mehr amüsiert als alarmiert waren die meisten Journalisten auch über den Spionagefall. Nicht untypisch ist das Magazin Time [2], das mehrfach über etwas berichtete, das mehr Komödie als Thriller zu sein schien:

Als Hollywood noch Filme über internationale Spione herunterkurbelte, gehörte es zur Konvention, dass jedes Mal einige Nebenfiguren eine abnorme Dummheit zur Schau stellten, um so die Gewitztheit der Helden zu akzentuieren. Vergangene Woche breitete sich über die amerikanischen Titelseiten eine echte internationale Spionagegeschichte aus, die anschaulich die Gewitztheit von gar keinem akzentuierte.

In einem spöttischen Prozessbericht [3] teilte das Magazin seinen Lesern mit, dass Rumrich immer tolle Sachen angekündigt, tatsächlich aber nur Informationen geliefert habe, die für jedermann frei zugänglich waren. Aufgeflogen war er nicht durch die grandiose Ermittlungsarbeit des FBI, sondern durch sein tölpelhaftes Agieren: er hatte versucht, sich als Staatssekretär im Innenministerium auszugeben und sich 50 Blankopässe zustellen zu lassen. Vielleicht hätte das sogar funktioniert, wenn er vorher den richtigen Namen des Staatssekretärs herausgefunden und diesen genannt hätte. So gab er einen falschen an, was den Mitarbeiter der Passbehörde in Manhattan misstrauisch machte. Ich fürchte, ohne ihm zu nahe treten zu wollen, dass Gustav Rumrich ein Dummkopf war.

Der angenehme und profitable Kurs der Unterhaltung

Auch die meisten anderen der großen Blätter wussten nicht genau, warum sie diese Spionageaffäre, in der ein Blödmann, eine herb aussehende Friseuse in der Rolle der Femme fatale und zwei andere Randfiguren vor Gericht standen, während die Drahtzieher verschwunden waren und sich der mittlerweile gefeuerte Chefermittler gegen den Vorwurf wehren musste, er habe den Hauptverdächtigen, Dr. Griebl, gegen Zahlung von 5000 Dollar entkommen lassen, ganz ernst nehmen sollten. Für manch einen war dieser Prozess der untaugliche Versuch, eine Gefahr an die Wand zu malen, die es so gar nicht gab. Umfragen aus der Zeit besagen, dass sich weniger Amerikaner durch den Faschismus bedroht fühlten als durch vermeintliche Bestrebungen, sie durch propagandistische Maßnahmen in einen sich anbahnenden Krieg hineinzuziehen, mit dem sie nichts zu tun haben wollten.

Für Jack und Harry Warner, deren Vater nach Pogromen aus Polen nach Amerika geflüchtet war, galt das nicht. Die Brüder hatten 1934 ihre Büros in Deutschland geschlossen und Filme mit einer antifaschistischen Botschaft produziert, von (Humphrey Bogart gerät in die Fänge einer Gruppe von White Supremacists) bis zu (Errol Flynn kämpft gegen den Diktator King John und seinen Polizeichef, den Sheriff von Nottingham). Jetzt sollte es eine direktere Auseinandersetzung mit den Nazis werden ("Der Film, der eine Swastika eine Swastika nennt", versprachen die Zeitungsanzeigen). Der Autor Milton Krims wurde nach New York entsandt, um mit Blick auf ein mögliches Drehbuch den Spionageprozess zu beobachten. Im Januar 1939 erhielt Leon G. Turrou einen Vertrag als technischer Berater. Das ist jener Agent, dem das FBI heute den Schwarzen Peter zuschiebt und der damals von J. Edgar Hoover gefeuert wurde, weil er eine Artikelserie mit dem Titel "Storm over America" (so sollte auch der Film ursprünglich heißen) an die New York Post verkauft hatte. Die Serie konnte erst im Dezember 1938 und Januar 1939 erscheinen, weil das FBI im Juni eine gerichtliche Verbotsverfügung erwirkt hatte (Turrous Ghostwriter machte aus der Geschichte auch ein Buch: Nazi Spies in America).

Black Legion

Spätestens mit Turrous Verpflichtung war klar, dass der Film einen dokumentarischen Charakter haben würde - wie dokumentarisch, darüber gab es Streit mit dem Regisseur Anatole Litvak, einem über Deutschland und Frankreich nach Amerika emigrierten Russen. Drehbeginn war, nach mehreren Verzögerungen, der 1. Februar 1939. Vorher wurde Krims durch John Wexley abgelöst, weil er sich weigerte, die Geschichte melodramatischer zu machen, ein paar Nazi-Greueltaten inklusive. Wexley, Mitglied der KP, hatte mehr Verständnis für die Bedürfnisse von Hollywood. Das zeigte er auch, als er zusammen mit Bert Brecht das Drehbuch für Fritz Langs (1942/43) schreiben sollte (was Brecht in große Wut versetzte und zum Zerwürfnis zwischen ihm und Lang führte).

Gegen das Projekt gab es viele Widerstände. Der schon erwähnte Dr. Gyssling drohte wieder damit, in Deutschland und in befreundeten Staaten alle Filme der Mitwirkenden verbieten zu lassen. Das könnte der Grund dafür gewesen sein, dass man bei den Warner Bros. anfangs mit dem Gedanken spielte, nur völlig unbekannte Darsteller zu besetzen. Der Konsul schickte auch einen empörten Brief an die Production Code Administration (die Einrichtung zur Selbstzensur der Industrie), wo er immer mit viel Verständnis rechnen konnte, weil der Chef, der katholische Fundamentalist Joe Breen, ein ziemlich widerlicher Antisemit war und eine Personalpolitik betrieb, die einen auch nicht für ihn einnimmt.

Die PCA-Akten werden inzwischen in der Bibliothek der Academy of Motion Picture Arts and Sciences aufbewahrt. Dort findet sich das Schreiben eines Managers der Auslandsabteilung der Paramount in New York, Luigi Luraschi, der das Projekt als "schweren Fehler" bezeichnet (10.12.1938). Als positives Gegenbeispiel führt Luraschi Charlie Chaplin an, der, so heißt es, darauf verzichtet habe, einen Film zu drehen, in dem er sich über Adolf Hitler lustig machen wollte, weil das zu gefährlich sei (Chaplin begann im September 1939, nach langer Vorbereitung und eine Woche nach dem deutschen Einmarsch in Polen, mit den Dreharbeiten zu ). Dann fährt er die ganz großen Geschütze auf. Sollten die Warner Bros. den geplanten Anti-Nazi-Film trotz allem produzieren, schreibt er, würden sie danach "das Blut von sehr vielen Juden in Deutschland an den Händen haben".

Ob Luraschi die Juden oder doch eher die eigenen Umsätze in Europa am Herzen lagen, mag dahingestellt bleiben (die Paramount war eines der drei großen Hollywoodstudios, neben der Fox und der MGM, die noch 1939 lukrative Geschäfte mit Hitlers Deutschland machten). Unterstützt wurde der Herr durch den PCA-Offiziellen Karl Lischka, der das Drehbuch begutachtete und den Film, sollte er jemals gedreht werden, vorab zu "einem der bedauernswertesten Fehler, den die Industrie je gemacht hat" erklärte. "Sind wir bereit", fragte er (22.1.1939), "den angenehmen und profitablen Kurs der Unterhaltung zu verlassen, und uns stattdessen mit Propaganda zu beschäftigen und Leinwandporträts zu produzieren, die Kontroversen hervorrufen, Konflikte, rassische, religiöse und nationalistische Antagonismen, ja sogar den unumwundenen und schrecklichen Menschenhass?"

Da finanzielle Argumente nichts bewirkt hatten, versuchten Breen und seine Leute, den Film wegen Verstößen gegen Punkt X ("Nationale Gefühle") des Production Code zu verhindern: "Die Geschichte, Institutionen, prominenten Personen und Bürger anderer Nationen sollen auf faire Weise dargestellt werden." Das, so Lischka, sei hier nicht der Fall, denn:

Hitler nur als einen brüllenden Irren und als einen blutrünstigen Verfolger zu zeigen, und als nichts anderes, ist eindeutig unfair, wenn man seine phänomenale öffentliche Karriere berücksichtigt, seine unbestrittenen politischen und gesellschaftlichen Leistungen und seine Stellung als Oberhaupt der wichtigsten Macht auf dem europäischen Kontinent.

Das ist wieder ein schönes Beispiel dafür, wie unfreiwillig komisch solche Zensurakten oft sind. Man fragt sich dann immer, was das eigentlich für Leute sind, die da über Filme zu befinden haben (ein durchaus aktuelles Problem). Wenn man Herrn Lischka beim Wort nimmt, heißt das, dass man Hitler sehr wohl als irren, wild herumbrüllenden Massenmörder zeigen durfte, solange die Ausgewogenheit gewahrt wurde, er also auch beim Eröffnen der Autobahn oder als Staatsmann zu sehen war (vielleicht so wie bei Chaplin, wo er Mussolini vom Bahnhof abholt). Ende Januar 1939 genehmigte Breen widerwillig das Drehbuch. In einem allerdings blieb er hart: die Judenverfolgung durfte nicht direkt angesprochen und nicht gezeigt werden. Litvaks und Wexleys Nazi-Greuel wurden gestrichen.

Hin- und hergerissen waren die deutschsprachigen, oft durch einen starken Akzent gehandicapten Schauspieler in Hollywood, die dringend Arbeit brauchten und selten eine fanden. Einer Pressegeschichte zufolge sollen sich mehr als 150 von ihnen gleich nach Bekanntwerden des Projekts beim Besetzungsbüro der Warners gemeldet haben. Dem stehen andere Berichte gegenüber, nach denen Litvak nach New York reiste, weil es so schwer war, geeignete Darsteller zu engagieren. Für Hauptrollen genannt wurden Marlene Dietrich und Anna Sten, die beide abgesagt haben sollen, um ihre Angehörigen in Deutschland nicht zu gefährden, aber das ist nicht belegt.

Sicher ist, dass einige der Schauspieler so stark geschminkt vor der Kamera standen, dass man sie nicht mehr erkennen konnte oder dass sie unter falschem Namen auftraten, um ihre wahre Identität zu verbergen. Bei einigen kleinen Rollen weiß man bis heute nicht genau, wer sie gespielt hat. Mich erinnert das an die Menschen aus arabischen Diktaturen, die jetzt vermummt Fernsehinterviews geben, um ihre Verwandten in der Heimat nicht in Gefahr zu bringen. Vielleicht sollte sich die Bundesregierung in einem ruhigen Moment mit diesem Film und seiner Produktionsgeschichte vertraut machen, um anschließend, wegen der historischen Verantwortung, ihre schäbige Flüchtlingspolitik und ihren Umgang mit Gewaltherrschern zu überdenken.

Confessions of a Nazi Spy

Im fertigen Film gibt es eine alte Dame, die auf dem Passagierschiff Bismarck (statt Europa) von einem Besuch in der Lüneburger Heide zurückkehrt und der Friseuse Hilda erzählt, wie traurig die Reise war. Da, wo früher die Schafe weideten, stünde jetzt eine SS-Baracke, der Pastor sei ins KZ verschleppt worden, alle hätten Angst. Die Dame merkt zu spät, dass die Friseuse eine Nazi ist. Da hat sie bereits treuherzig berichtet, dass sie noch Verwandte in der Heide hat. Hilda gibt das sofort weiter. Auch heute noch ist das sehr beklemmend.

Mata Hari des Führers

Das Projekt war so heikel, dass es unter bestmöglicher Geheimhaltung vorangetrieben wurde. Der zweiten Fassung des Drehbuchs, die Ende Dezember 1938 bei der PCA eingereicht wurde, lag die schriftliche Bitte bei (24.12.), es "gut unter Verschluss zu halten, wenn Sie es nicht gerade lesen, weil der German-American Bund, der deutsche Konsul und alle Kräfte dieser Art verzweifelt versuchen, eine Kopie davon zu bekommen." Von dem Skript, das die PCA schließlich genehmigte, wurden nur zehn Kopien angefertigt (üblich bei einem Film dieser Größenordnung waren 150). Die meisten Darsteller erhielten abends ihren Text für den nächsten Tag. Francis Lederer, einer von den Spionen, hat erzählt, dass er das Drehbuch nur in einem abgeschlossenen Büro auf dem Studiogelände lesen durfte.

Die Warner-Brüder waren Antifaschisten, aber Studiobosse waren sie natürlich auch, und damit nicht ganz so selbstlos, wie man glauben könnte (für Jack gilt das mehr als für Harry, der oft durch Europa reiste, um das Vertriebsnetz der Firma auszubauen und dabei viele Dinge mitbekam, die ihn erschreckten). , ein Enthüllungsbericht der dokumentarischen -Reihe (mit nachgestellten Szenen und Bund-Führer Fritz Kuhn als er selbst), war 1938 ein Publikumshit gewesen (geschätzte 25 Millionen Zuschauer) und ließ hoffen, dass auch mit einem Spielfilm richtig Geld zu verdienen sein könnte. Jack Warner verglich mit dem Gangsterfilm (1931, mit James Cagney), einem der größten Erfolge seines Studios, an den er anknüpfen wollte. Möglicherweise war das der Grund, warum die Rolle des FBI-Ermittlers an Edward G. Robinson ging, neben Cagney der wichtigste Gangsterdarsteller der Depressionszeit. (Beide, Cagney wie Robinson, hatten auf Polizist umgeschult, als der sozialkritische Gangsterfilm ins Visier der Zensoren geriet.)

Fritz Kuhn (Links: Im "Bund"-Hauptquartier in New York)

Robinson, ein Mitglied der Hollywood Anti-Nazi League, sagte in Interviews, er habe seine ganze Star-Power aufgeboten, um den Film durchzusetzen, was vielleicht so gewesen ist. Litvak jedoch behauptete seinerseits, er habe die Idee zum Film gehabt, und das gesamte Projekt habe von Anfang bis Ende allein in seiner Verantwortung gestanden. Wenn man berücksichtigt, wie Hollywood organisiert war, wird man trotzdem zu dem Schluss kommen, dass Harry und Jack Warner dafür sorgten, dass der Film gedreht werden konnte. Robinson würde seine Aussagen noch bedauern, weil sie der Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten gerne gegen ihn verwendete, als dieser sich in ein Instrument zur Verfolgung mutmaßlicher Kommunisten verwandelte. Wer nach dem Kriegseintritt der USA ein Nazi-Feind gewesen war, galt später, im Kalten Krieg zwischen West und Ost, als Patriot; wer schon vorher gegen Hitler gewesen war, geriet wegen dieses "verfrühten Antifaschismus" (premature anti-fascism) rasch in Verdacht, ein Agent Moskaus zu sein - und wenn er Pech hatte, auf die schwarze Liste der Hexenjäger.

Edward G. Robinson in "Confessions of a Nazi Spy"

Drehbeginn war am 1. Februar 1939. Uniformierte Wachmänner sicherten das Atelier ab, wer nicht direkt am Film beteiligt war, hatte keinen Zutritt, ein Teil der Mitwirkenden übernachtete auf dem Studiogelände. Einige der Exilschauspieler sowie Robinson nebst Familie sollen von Unbekannten bedroht worden, Litvak bei einem Sabotageakt fast von einer Kamera erschlagen worden sein. Weil diese Geschichten von branchennahen, von Presseagenten mit Informationen gefütterten Blättern wie dem Hollywood Reporter verbreitet wurden, ist schwer zu entscheiden, was davon auf Tatsachen beruhte und was zu Werbezwecken inszeniert oder frei erfunden wurde.

Fest steht, dass Hitler am 30. Januar 1939 im Reichstag gegen Hollywood wetterte, das nun dabei sei, "antinazistische das heißt antideutsche Filme" zu drehen (gemeint war ). Am 5. Juni 1939 legte die Reichsregierung formell Protest gegen "die Vergiftung der deutsch-amerikanischen Beziehungen" ein. Fritz Kuhn, der Führer des German-American Bund, unternahm bis Oktober 1940 mehrere erfolglose Anläufe, die Warner Bros., Litvak, Krims, Wexley und Turrou auf fünf Millionen Dollar Schadensersatz wegen Diffamierung seines Nazivereins zu verklagen und den Film wegen übler Nachrede aus dem Verkehr ziehen zu lassen. Er soll schließlich aufgegeben haben, weil er wegen der ihm zur Last gelegten Veruntreuung von Bund-Geldern andere Probleme hatte. Mit einem Teil der zweckentfremdeten 14 000 Dollar hatte er Rechnungen für seine Geliebte Virginia Cogswell bezahlt. Im Dezember 1940 bezog er eine Zelle in Sing Sing.

Sehr interessant ist eine gutaussehende Dame namens Katherine (Kay) Moog, die in Manhattan ein Pflegeheim leitete und die Geliebte von Dr. Griebl war. Sie reichte im Juli 1939 Klage ein und forderte 75 000 Dollar Entschädigung, weil sie sich in der von Lya Lys (das junge Mädchen in Buñuels ) gespielten Erika Wolf auf rufschädigende Weise porträtiert fühlte. Daran ist bemerkenswert, dass in den ersten Drehbuchentwürfen die echten Namen verwendet wurden und das ursprünglich auch im Film so sein sollte. Einzige Ausnahme: Kay Moog, die immer "Erika Wolf" hieß. Das dürfte damit zusammenhängen, dass die schöne Kay viele Leute in hohen Positionen kannte (auf einige davon war sie höchstwahrscheinlich von Griebl bzw. vom deutschen Geheimdienst angesetzt worden) und man sich auf Seiten der Warner Bros. keine zusätzlichen Probleme einhandeln wollte. Auch den Behörden war vermutlich nicht daran gelegen, hochrangige Persönlichkeiten in die Sache hineinzuziehen.

Wenn man die damaligen Presseberichte liest, gewinnt man den Eindruck, dass Gerüchte über ein geplantes oder tatsächliches Liebesnest im Umlauf waren, in dem Geheimnisträger abgeschöpft werden sollten. Weil aber nur Johanna Hofmann angeklagt wurde ("Hoffman" auf dem Verbrecherphoto des FBI, das sich auch nie zwischen "Ignatz Greibl", "Igantz Griebl" und "Ignatz Griebl" entscheiden konnte), die Friseuse von der Europa (im Film: Hilda Kleinhauer), stand sie plötzlich als die Mata Hari des Spionagerings da. Als Liebesagentin war sie nicht nur deshalb ganz ungeeignet, weil sie meistens auf dem Schiff unterwegs war (sinnvollerweise arbeitete sie als Kurierin). Johanna Hofmann war laut Time [4] "a plump German fräulein", das bei den Nazis die Funktion einer Verführerin bekleidet habe, wofür sie von der Natur aber nicht entsprechend ausgestattet worden sei. Den Spionagefall ließ das noch lächerlicher erscheinen. Kay Moog sagte als Zeugin aus und erzählte von ihrer Deutschlandreise mit Dr. Griebl, bei der sie einigen Roosevelt-Bewunderern im Reichskriegsministerium begegnet sei. Mit diesen Herren sei darüber gesprochen worden, ob sie nicht in Washington eine Villa mieten könne, um dort Offizieren und Politikern von den Segnungen des Nationalsozialismus zu berichten.

Der Hollywoodfilm wird erwachsen

Die Uraufführung von fand am 27. April 1939 im Warner Bros. Theater in Beverly Hills statt. Um einen Anschlag zu verhindern, mischten sich mehrere hundert Sicherheitsleute in Zivil unter die Anwesenden (oder jedenfalls sagte das die Presseabteilung den Reportern, die für solche Geschichten immer dankbar waren), der Film wurde in einem gepanzerten Fahrzeug mit Polizeieskorte zum Kino gebracht. Das Promiaufgebot war merklich geringer als bei solchen Anlässen üblich, weil andere Studios ihren Stars hinter vorgehaltener Hand gesagt hatten, dass es keine gute Idee wäre, sich dort sehen zu lassen. Louis B. Mayer, der Machthaber bei der MGM, ging gern auf Nummer Sicher. Er richtete an diesem Abend eine Geburtstagsparty für die Schauspielerlegende Lionel Barrymore aus - mit Anwesenheitspflicht für alle, die in seinem Studio Rang und Namen hatten.

Die Ferngebliebenen versäumten einen großen Moment in der Geschichte Hollywoods, auch wenn einem das nicht unbedingt bewusst wird, wenn man diesen Film jetzt sieht. Das Buch über den Zweiten Weltkrieg, für das Studs Terkel, der Pionier der Oral History, 1985 den Pulitzerpreis erhielt, heißt nicht ohne Grund The Good War. Für die meisten Amerikaner ist er heute, nach Korea, Vietnam, Afghanistan und dem Irak, genau das: der "gute Krieg" - ein Krieg, der gewonnen wurde, gegen einen klar definierten Feind, der eindeutig der Böse war. Darüber vergisst man leicht, dass die Stimmung im Land vor dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour eine ganz andere war.

Die meisten Amerikaner hielten nichts von Einmischung, wollten sich nicht mit weit entfernten Ländern auseinandersetzen, und wenn sie ins Kino gingen, sahen sie dort die Produkte einer Industrie, die sich unpolitisch gab, Angst vor tagesaktuellen Themen hatte und lieber nicht zu klar Position bezog, weil man nie genau wissen konnte, wen man damit verärgern würde (mit negativen Auswirkungen auf die Zahl der verkauften Eintrittskarten und auf die Produktionskosten, wenn man auf Wunsch der PCA zu viel ändern musste). Da ein Filmerlebnis erst durch die Mitwirkung des Publikums entsteht, sich die Bilder auf der Leinwand erst im Kopf des Zuschauers zu einer Geschichte verbinden, war 1939 etwas ganz anderes als das, was wir jetzt sehen, wenn wir die DVD einlegen. Daran sollte man denken, wenn man Reaktionen liest wie die des Produzenten Lou Edelman. Am Tag nach der Premiere schickte Edelman ein Memo an Jack Warner (aufbewahrt in den Warner Brothers Archives der University of Southern California), in dem es heißt:

Letzte Nacht hatte der Film eine Bar Mitzvah. Er wurde erwachsen. Er sagte: "Jetzt bin ich ein Mann." war stolz auf das, was er zu sagen hatte und darauf, wie er es sagte, und die Welt brachte klar und deutlich ihre Zustimmung zum Ausdruck, und sie machte Komplimente wegen des Muts, der nötig war, es zu sagen.

Da es nicht notwendigerweise einen proportionalen Zusammenhang zwischen der Wirkung eines Films und seiner künstlerischen Qualität gibt, bedeutet das noch nicht, dass auch ein Meisterwerk ist. Wenn kurz vor Drehbeginn der Autor ausgewechselt wird, ist das kein gutes Zeichen. Das Skript zu leidet unter einem gewissen Mangel an Stringenz, die Dramaturgie ist nicht immer geglückt, und Litvak war nicht der Regisseur, der so etwas durch brillante Inszenierungseinfälle überdecken konnte. Schon der Titel ist problematisch, weil man sich lange fragt, welcher der ein Geständnis ablegenden Nazi-Spione gemeint ist. Es muss wohl der von Lederer gespielte Deutsch-Amerikaner Kurt Schneider sein, der dem im echten Prozess für die Staatsanwaltschaft aussagenden Gustav Rumrich nachempfunden ist. Von ihm würde man dann aber auch erwarten, dass er uns seine Geschichte erzählt. Mit der Struktur des Films ist das nicht zu vereinbaren. Vielleicht hätten sich Litvak und Wexley doch einen passenderen Titel überlegen sollen.

beginnt mit der Silhouette eines Mannes am Mikrophon, der uns fortan - als Off-Stimme und im Stil eines Sprechers der Wochenschau - durch den Film führen wird. Dieser Anfang suggeriert eine Authentizität, die Orson Welles schon bald danach, in , als Fiktion entlarvte, aber das soll uns hier nicht weiter beunruhigen. Der Sprecher also berichtet, dass vor einigen Monaten ein Prozess wegen der Ausspähung von militärischen Geheimnissen stattgefunden und dass sich dabei herausgestellt habe, dass es einen riesigen Spionagering gibt. Soweit sie die USA betreffe, beginne die Geschichte im Jahre 1937, in einem Dorf in Schottland, und dort erleben wir jetzt mit, wie Mrs. McLaughlin die Post bekommt.

Confessions of a Nazi Spy

Zu verdanken haben wir das der Friseuse Jessie Wallace Jordan. Die mit einem Deutschen verheiratete Mrs. Jordan wurde in Edinburgh etwa zeitgleich mit Johanna Hofmann, der Friseuse im New Yorker Prozess, zu vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt, weil sie Militäranlagen ausspioniert hatte. Die beiden Haarpflegerinnen, hieß es in Presseberichten, hatten sogar miteinander korrespondiert. Mir fallen drei Gründe ein, die die Macher von bewogen haben könnten, die schottische Verbindung in ihren Film einzubauen:

  1. So wurde die Existenz eines weltweit operierenden Spionagenetzwerks der Nazis untermauert.
  2. Man konnte zeigen, dass Briten und Amerikaner gegen denselben Feind kämpften.
  3. Man konnte auf halbwegs elegante Weise den britischen Geheimdienst ins Spiel bringen und darauf hinweisen, wie wichtig es war, selbst eine Spionageabwehr aufzubauen.

Auf der Bismarck und im Café Nürnberg

Die in Argyll lebende Mrs. McLaughlin also bekommt nicht nur Post, sondern sehr viel Post, aus aller Herren Länder, weil sie eine Verteilerin der deutschen Auslandsspionage ist. Einen der Briefe leitet sie an Dr. Karl F. Kassel weiter, wohnhaft in New York. Das ist die nächste Station des Films. März 1937, ein Bierkeller in Yorkville, der sich "Café Nürnberg" nennt (oder von den Drehbuchautoren so genannt wurde, weil sie einen Bezug zu den Nürnberger Parteitagen der NSDAP herstellen wollten). Auf einem mit Sternenbannern und Hakenkreuzfahnen ausstaffierten Podium hält Dr. Kassel (alias Dr. Griebl) eine flammende Rede vor einem mehrheitlich uniformierten Publikum. Das Vorbild ist Adolf Hitler, weshalb Paul Lukas, der Darsteller, viel brüllt und wild gestikuliert. Inhaltlich geht es in der Rede darum, dass sich die Deutsch-Amerikaner mehr Einfluss erstreiten müssen, dass man die dunklen Mächte besiegen muss, die das neue Deutschland und die Nazis vernichten wollen und dass Deutschland Amerika "vor dem Chaos bewahren" muss, "das die Demokratie und die Rassengleichheit mit sich bringen".

Confessions of a Nazi Spy

So etwas konnte man damals auch von den GAB-Anführern hören, die entsprechenden Anregungen kamen aus dem Dritten Reich. Die Verdammung der Demokratie gehörte zum Standardrepertoire der Nazis. Im Volksecho, der Exilantenzeitung von Stefan Heym, wird Ernst Wilhelm Bohle, der Leiter der NS-Auslandsabteilung, mit der Forderung zitiert, dass die Deutsch-Amerikaner mehr "Rassenbewusstsein" entwickeln sollen (14.5.1938). Kassel führt in seiner Praxis eine Kartei über die wichtigsten Amerikaner (nur Männer, Frauen sind uninteressant), die er nach "Blut und Rasse" unterteilt hat. Nach dem Sinn befragt, sagt er:

Sie müssen doch die heimtückische internationale Verschwörung der zum Äußersten entschlossenen kriminellen Untermenschen bemerkt haben, die nach der Macht über die Welt gieren. Es ist offensichtlich, dass diese Kriminellen aus dem öffentlichen Leben entfernt werden müssen, bevor sie bereit sind, die ganze Welt in Flammen aufgehen zu lassen.

Kassel spricht da von der "jüdischen Weltverschwörung" - einer Lieblingstheorie der antisemitischen Paranoiker, der Hitler in Mein Kampf viel Platz widmet - und von Maßnahmen der Nazis wie der, alle jüdischen Deutschen aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Weiter als hier traut sich der Film nicht an die von Breen kategorisch untersagte Erwähnung der Judenverfolgung heran.

Einer von denen, die nach Kassels erster Rede ganz aus dem Häuschen sind, ist Kurt Schneider, ein frustrierter Kleinbürger, der sich zu Großem berufen fühlt und dann doch mit dem Baby spazieren gehen muss, wenn es die quengelige Ehefrau verlangt. Schneider ist ein Mitläufer, der es bisher nur geschafft hat, zweimal aus der Armee zu desertieren und Geld aus der Regimentskasse zu stehlen, jetzt aber, mit Hilfe der Nazis, schnell reich und mächtig werden will. Nachdem er in der Bibliothek mehrfach ein Buch über deutsche Spionageaktionen im Ersten Weltkrieg eingesehen hat, schickt er einen Brief an den Völkischen Beobachter, in dem er sich als Geheimagent anbietet. Der Brief landet schließlich im Reichskriegsministerium und dann beim Geheimdienst der Marine, wo man gerade plant, das über Amerika geworfene Spionagenetz enger zu knüpfen. Schneider kommt den Offizieren wie ein reichlich einfältiger Mensch vor, was aber nicht weiter stört, weil - sagt einer - die Amerikaner auch nicht die Hellsten sind und nicht einmal eine Spionageabwehr für nötig halten (die braucht man dringend, sagt der Film).

Confessions of a Nazi Spy

Schneiders Bewerbungsschreiben stellt die Verbindung zum Passagierschiff Bismarck her, wo der NS-Führungsoffizier Franz Schlager Mitglieder der Besatzung auf die baldige Ankunft in Amerika vorbereitet und erläutert, wie fies und gemein die anderen sind, weil sie den Deutschen den ihnen zustehenden Platz an der Sonne verweigern (Schlager ist ein Fan von Horst Wessel). Darum gelte es, in Amerika Ausschau nach Feinden zu halten, weil man nur den Feind vernichten könne, den man kennt. Niemand solle beim Landgang vergessen, dass das Vaterland auch im Ausland wachsam bleibe. Damit daran kein Zweifel besteht, fährt die Gestapo in Gestalt der Herren Hintze (Lionel Royce = Leo Reuss) und Wildebrandt (Henry Victor, der Herkules aus ) mit nach Amerika.

Confessions of a Nazi Spy

Nur ein Nazi, so Schlager, sei ein echter Deutscher. George Sanders muss dabei nicht nur Englisch mit "deutschem" Akzent sprechen, sondern gleich in seiner ersten Szene zweimal das Wort "Nationalsozialist" bewältigen, das für einen Engländer wie ihn ein echter Zungenbrecher sein kann. Dorothy Tree als Schiffsfriseuse Hilda (und Geliebte Schlagers) hat es mit dem ch-Laut in "Third Reich" auch nicht leicht. Ich habe mich hier übrigens für jeweils eine von mehreren Schreibweisen entschieden, die möglich sind. Vermutlich als Folge der Produktionsumstände herrscht unter den Darstellern nicht immer Einigkeit, wer genau wie heißt, und einige Figurennamen werden im Abspann anders geschrieben als im Film. (Wie schwierig deutsche Namen sind, kann man auch den Presseberichten über die echte Spionageaffäre entnehmen.)

Confessions of a Nazi Spy

Als die Bismarck New York erreicht, hat Kurt Schneider mit Hilfe seines Freundes Werner Renz (alias Erich Glaser) den Geheimcode der Armee an sich gebracht. Das muss sehr leicht gewesen sein, denn Werner ist ein tumber Tor. Schneider bekommt Besuch von Schlager und der Friseuse (sie arbeitet wie Johanna Hofmann als Kurierin für den Geheimdienst) und wird als Spion angeheuert, für 50 Dollar monatlich. Entweder fanden die Drehbuchautoren, dass er nicht mehr wert war, oder sie wollten die Deutschen besonders knauserig erscheinen lassen (Rumrich erhielt 290 Dollar im Monat).

Amerikanismus

Kassels erste Rede im Bierkeller wird mit frenetischem Jubel, dem Abspielen von "Deutschland, Deutschland über alles" und "Sieg Heil!"-Rufen entgegengenommen. Von heute aus betrachtet wirkt das genauso lächerlich wie die Musiker und Kellner des "Café Nürnberg" in ihren Lederhosen, aber wenn man zum Vergleich die Selbstdarstellungsfilme der Nazis sieht, fängt man an sich zu fragen, ob die scheinbare Satire nicht doch dokumentarisch ist, und was so viele Deutsche dazu brachte, einem Brüllaffen mit Charlie-Chaplin-Bärtchen aus Braunau hinterherzulaufen wie die Kinder der Blasmusik, werde ich sowieso nie begreifen. Das Lächerliche, das den Nazis eben auch anhaftete, wenn man als distanzierter Beobachter die Aufmärsche, die Uniformen und die seltsamen Rituale sah, war in gewisser Weise ein Schutz. In Howard Hawks’ (1940) beklagt sich Hilde Johnson (Rosalind Russell) bei ihrem Chefredakteur darüber, dass die Zeitungen immer nur sensationelle Sex-and-Crime-Geschichten haben wollen, statt über Hitlers Verbrechen zu berichten. Hitler, antwortet Walter Burns (Cary Grant), gehört auf die Witz- und Comic-Seite. Damit spricht er aus, was viele seiner Landsleute dachten.

plädiert dafür, den Faschismus sehr ernst zu nehmen und versucht zu zeigen, dass das, was in Europa geschieht, auch Konsequenzen für die Amerikaner hat. Bei einer seiner Reden im Café Nürnberg erklärt Dr. Kassel, dass man die "Probleme Amerikas" erst lösen könne, wenn die Verfassung und die Bill of Rights (die ersten zehn Zusätze zur Verfassung, mit denen die Rede-, Religions-, Versammlungs- und Pressefreiheit garantiert werden) abgeschafft seien. Ein empörter Deutsch-Amerikaner, der die Demokratie verteidigen will und Kassel einen Verräter nennt, wird aus dem Saal geworfen. Unter den Zuhörern befinden sich einige Mitglieder der American Legion. Einer davon ist Ward Bond, im echten Leben ein berüchtigter Rechtsaußen von Hollywood. Auch das erfüllt eine politische Funktion.

Confessions of a Nazi Spy

Die American Legion ist eine sehr einflussreiche, nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufene Veteranenorganisation mit Verbindungen zu anderen reaktionären Gruppierungen und zum Großkapital, die oft mit dabei war, wenn die Angst vor Ausländern und Linken geschürt wurde (und wenn Freiwillige benötigt wurden, um Taten folgen zu lassen). Ein Gründungsmitglied, Colonel Alvin Owsley aus Texas, wurde 1922 Chef der Legion und lud Mussolini mehrfach ein, auf der Jahrestagung seiner Organisation zu sprechen. Von ihm sind Zitate überliefert wie dieses:

Wenn sie jemals gebraucht wird, steht die American Legion bereit, die Institutionen und Ideale unseres Landes zu verteidigen, so wie die Fascisti den Zersetzern, die Italien bedrohten, eine Antwort erteilt haben. […] Vergessen Sie nicht, dass die Fascisti für Italien sind, was die American Legion für Amerika ist.

Vorher war Owsley Leiter der "Americanism Commission", zu der auch das "Counter Subversive Activities Committee" gehörte. Er und einige Gesinnungsgenossen prägten die Satzung der Legion, in der das Ziel formuliert wird, "einen hundertprozentigen Amerikanismus zu fördern und zu bewahren". Da lauert im Hintergrund schon das "Unamerikanische" als Keule gegen Andersdenkende.

Nun ist es immer heikel, europäische Verhältnisse 1:1 auf die Situation in den USA zu übertragen (und umgekehrt). Die Nähe der Legion der 1920er und 1930er zu faschistischem Gedankengut ist jedoch schwer zu leugnen. ist daran gelegen, die Reihen zu schließen und den Legion-Mitgliedern zu zeigen, dass die Nazis des German-American Bund auch ihre Feinde sind und unter "Amerikanismus" etwas anderes verstehen als sie. Deshalb gibt es jetzt einen Zusammenstoß von Ward Bond mit den Nazis. Er steht auf und erinnert daran (das gilt den Legion-Mitgliedern im Kino), dass die Verfassung und die Bill of Rights ihm und seinen Freunden so wichtig sind, dass sie schon einmal gegen Deutschland in den Krieg gezogen sind. Dann muss er erfahren, dass die Rede- und die Meinungsfreiheit im Café Nürnberg längst aufgehoben sind. Kassel brüllt ihn nieder und kündigt an, dass man ihm auf die einzige Weise antworten werde, die er und seinesgleichen verstehen: mit Gewalt. Darauf folgt eine wüste Saalschlacht, die die Kulissenwände ins Wanken bringt. Dieselbe Szene, nur mit anderer Rollenverteilung, gibt es im NS-Propagandafilm . Da nimmt Horst Wessel (alias Westmar) mit seinen SA-Freunden an einer Diskussionsveranstaltung der Kommunisten teil. Auf dem Podium sitzen deutsche Juden und Russen. Als der Held den Nazi-Standpunkt darlegen will, wird ihm das Rederecht verweigert, es folgt eine Schlägerei. Vieles in solchen Propagandafilmen wirkt doch sehr austauschbar, aber Unterschiede gibt es auch.

Agent Renard ermittelt

In der Nazi-Propaganda wird gern verallgemeinert und Schwarz-Weiß gemalt. ist bemüht, das nicht zu tun und will differenzieren. Darum wird Herr Grützwald als Repräsentant der den USA gegenüber loyalen Deutsch-Amerikaner eingeführt. Grützwald ist einst der NSDAP und dem GAB beigetreten und entsetzt darüber, was daraus geworden ist. Das sagt er auch ganz offen. Kassel beklagt sich bei der Gestapo über die Opposition innerhalb des Bundes. In einem Hinterzimmer wird Grützwald darüber aufgeklärt, dass absoluter Gehorsam verlangt und Kritik nicht erlaubt ist. Dann verschleppen ihn die Gestapo-Schergen Hintze und Wildebrandt auf die Bismarck, schlagen ihn zusammen und lassen ihn nach Deutschland bringen, wo er in einem Konzentrationslager enden wird. Szenen wie diese dienen als Kontrast zur üblichen Uniform- und Lederhosenfolklore, hinter der die Nazis als Mitglieder einer vielleicht etwas exzentrischen und besonders straff geführten Form des Trachtenvereins zu verschwinden drohen.

Confessions of a Nazi Spy

Um die Nähe der Zeitgeschichte zum Leben der Durchschnittsamerikaner begreiflich zu machen (und um ein Kinopublikum zu informieren, das über das Weltgeschehen wenig wusste), kombiniert Litvak die Spielhandlung mit dokumentarischen (und einigen nachgestellten) Bildern aus der Wochenschau. Beim von den Nazis organisierten Treffen der Auslandsdeutschen am 30. August 1937 in Stuttgart wird den Teilnehmern eingehämmert, dass ein Deutscher ewig ein Deutscher bleibt und sich nicht assimiliert. Als Dr. Kassel zum Rapport nach Berlin fährt, gibt das Gelegenheit zu einem Exkurs darüber, wie die NSDAP Deutschland in den vergangenen Jahren in einen faschistischen Staat umgewandelt hat. Kassel wird sogar vom Propagandaminister empfangen, was für den bei Max Reinhardt ausgebildeten Martin Kosleck den Beginn seiner Karriere als Nazi-Schurke bedeutete, in der er allein fünfmal Josef Goebbels spielte.

Confessions of a Nazi Spy

Hier erklärt er Dr. Kassel, dass man die USA nach der Machtübernahme in drei "Gaue" einteilen werde (mit Sitz der Gauleiter in New York, Chicago und Los Angeles) und dass sich der Nationalsozialismus von nun an in ein Sternenbanner wickeln und als Amerikanismus tarnen solle, um dieses Ziel zu erreichen. (Am 22. Februar 1939, also während der Dreharbeiten zu , organisierte Fritz Kuhn im Madison Square Garden in New York eine Veranstaltung zur Feier von George Washingtons Geburtstag, bei der er Washington mit Hitler verglich und zum "ersten Faschisten" erklärte. Nach Bund-Angaben kamen 22 000 Mitglieder, Sympathisanten und Schaulustige; 2000 Polizisten kamen auch, weil es bei früheren Veranstaltungen Ausschreitungen gegeben hatte.)

Veranstaltung des "German American Bund" im Madison Square Garden

Zum Chef aller Nazispione in Amerika ernannt, kehrt Dr. Kassel in die USA zurück. In einem der Indoktrinierungslager des GAB wird ihm ein triumphaler Empfang bereitet. Die Szenen im Camp Horst Wessel sind von Leni Riefenstahls inspiriert und dürften beim deutschen Botschafter ungute Erinnerungen an seinen Auftritt im Camp Hindenburg geweckt haben. Deutsche Passagier- und Handelsschiffe bringen tonnenweise Propagandamaterial ins Land, das überall verteilt und sogar mit Flugzeugen über den großen Städten abgeworfen wird. Der mit einer Amerikanerin verheiratete Herr Westphal will aussteigen und wird von Kassel belehrt, dass das nicht möglich ist. Unter Androhung von Verschleppung und KZ wird er zur Spionage gezwungen.

Confessions of a Nazi Spy

Zum Glück hat der britische Geheimdienst inzwischen Mrs. McLaughlin dingfest gemacht (der Postbote, ein Briefmarkensammler, hat Verdacht geschöpft und sich auch ein bisschen darüber geärgert, dass die Dame die schönen Marken aus aller Welt nicht mit ihm teilen wollte). Bei ihr wird ein Brief gefunden, in dem der Spion "Sword" (der Codename von Kurt Schneider) vorschlägt, einen Colonel zu entführen und die Mobilisierungspläne aus ihm herauszupressen. Die Briten informieren die Amerikaner, und der Fall landet beim FBI-Agenten Edward Renard (= Leon G. Turrou, der sich zu Hoovers Ärger auch im Trailer zeigte). 43 Minuten des Films sind schon vorbei, als nun endlich Edward G. Robinson auftritt, der Star. Das sagt etwas über die nicht existierende US-Spionageabwehr aus, ist aber in einem Film für ein an das Starkino gewöhntes Publikum nicht ganz ohne Risiko.

Renard muss jetzt den Spion finden, damit der sein im Titel versprochenes Geständnis ablegen kann, hat aber keine Ahnung, wer "Sword" sein könnte. Zu Hilfe kommt ihm die Unbedarftheit Schneiders, der wie der echte Rumrich versucht, per Telefon Blankopässe zu ordern und sich bei der Übergabe erwischen lässt. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung werden Dokumente gefunden, die ihn als "Sword" entlarven. Renard ist kein Folterer wie seine vierschrötigen Gegenspieler von der Gestapo, sondern ein demokratisch gesinnter Herr mit Bäuchlein und viel psychologischem Geschick. Er schmeichelt dem zur Prahlerei neigenden Schneider, nennt ihn einen der bedeutendsten Spione, mit denen er je zu tun hatte und holt so die ganze Wahrheit aus ihm heraus. Weil das visuell nicht sehr viel hergab, entschieden sich Litvak und sein Kameramann, das Verhör mit ein paar Einstellungen im Stil der Horrorfilme der frühen 1930er aufzupeppen (heute denkt man auch an den Film noir, der damals seine Stilmittel erst noch finden musste). Das passt zwar nicht, sieht aber gut aus.

Confessions of a Nazi Spy

Schneiders Geständnis führt zu einer Reihe von Festnahmen. Dr. Kassel streitet alles ab, wird dann aber Opfer einer jener melodramatischen, von Litvak gewünschten Verwicklungen, die Krims verweigerte, worauf er durch Wexley ersetzt wurde. Als das FBI entdeckt, dass Kassel sich während einer Europareise seiner Gattin mehrfach mit der schönen Erika zum Schäferstündchen im Hotel Olympic getroffen hat, packt er aus. Mit Kassels Hilfe wird ein Organigramm des Nazi-Netzwerks erstellt, zu dem der German-American Bund genauso gehört wie Goebbels’ Propagandaministerium, das Reichskriegsministerium und der deutsche Marinegeheimdienst. Kassel gibt zu, dass in zahlreichen militärischen Einrichtungen und Rüstungsbetrieben Spione stecken.

Das Vorbild für Dr. Kassel, Dr. Griebl, machte wohl einen Deal mit FBI und Staatsanwaltschaft und sollte im Prozess als Zeuge aussagen. Ich habe einen Bericht [5] im Sydney Morning Herald vom 23. Mai 1938 gefunden (ein Beleg dafür, dass der Fall tatsächlich internationales Aufsehen erregte), dem zufolge sich Griebl (beim Herald heißt er Greibl) auf der Bremen nach Europa einschiffte und in Bremerhaven festgenommen wurde, weil er als US-Staatsangehöriger (1926 eingebürgert) keinen Ausweis dabei hatte. Die mir bekannten Presseberichte sind sich einig, dass Griebl freiwillig nach Deutschland fuhr und im Einklang mit seinen Auftraggebern handelte. Die US-Behörden werden mit der Meinung zitiert, dass ihn die Deutschen unter dem Vorwand des Passvergehens so lange festhalten werden, bis der Prozess vorbei ist und er nicht mehr aussagen kann. Wie üblich, wenn Geheimdienste beteiligt sind, ist die Wahrheitsfindung schwierig. Was Desinformation ist, wusste man damals auch schon. Was aus Dr. Ignatz Griebl alias Greibl alias Greibel wurde, ist unbekannt.

Confessions of a Nazi Spy

Dr. Kassel wird zum Verhängnis, dass er mit seiner Geliebten, Erika Wolf, untertauchen will, während Hitler gerade in Österreich einmarschiert (dazu gibt es Bilder aus der Wochenschau). Das stößt der Gattin sauer auf, weshalb sie ihn nicht vor einer Falle der Gestapo warnt. So können Hintze und Wildebrandt ihn, den Verräter, entführen und auf die Bismarck bringen, die zurück nach Deutschland fährt. Auch Westphal, der reinen Tisch machen und aussagen will, wird verschleppt und in ein KZ gebracht. So legt der Film das Abhandenkommen der wichtigsten Zeugen und Verdächtigen nicht einem inkompetenten FBI zur Last, sondern macht daraus einen weiteren Beweis für die Gefährlichkeit der Nazis.

Schande Schande Schande

Trotzdem bleibt am Ende das Problem, dass zwei Dummköpfe (Schneider und sein Freund Werner), eine Kurierin (Hilda die Friseuse) und ein Techniker aus einer Munitionsfabrik auf der Anklagebank sitzen, während die Drahtzieher verschwunden sind. Die Drehbuchautoren haben sich für die Vorwärtsverteidigung entschieden und dem Staatsanwalt einen Dialog geschrieben, in dem er der Jury sagt, dass die vier Beschuldigten gerade dadurch, dass sie nur kleine Rädchen sind, so wichtig sind, weil sie die Existenz eines riesigen, weltumspannenden Netzwerks belegen, oder so ähnlich, wie bei der Spitze des Eisbergs eben. Litvak traut der Rhetorik des Anklägers selbst nicht recht und lässt schnell Wochenschaubilder von Hitler und marschierenden Soldaten folgen.

Confessions of a Nazi Spy

Nachdem die Nazis in der Tschechoslowakei einmarschiert sind (eine Demokratie nach amerikanischem Vorbild, sagt der Sprecher), rekapituliert Martin Kosleck (als Goebbels) die bisherigen Erfolge und kündigt an, dass man sich nun verstärkt der wichtigsten verbliebenen Demokratie zuwenden werde, den USA. Das bringt uns zurück in den Gerichtssaal, wo sich Staatsanwalt Kellogg direkt an das Kinopublikum wendet und vor dem Irrglauben warnt, man sei durch einen riesigen Ozean "vor den Bakterien aggressiver Diktaturen und totalitärer Staaten" geschützt. Als der Film im Juni 1940 neu gestartet wurde, hatte man Kelloggs Ausführungen um einige der jüngsten Ereignisse ergänzt: die Eroberung von Polen, Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien und Luxemburg (zur Ausgewogenheit ist auch der russische Einmarsch in Finnland mit dabei) und die zersetzenden Vorarbeiten von Spionen und Saboteuren in diesen Ländern. Der Aufruf des Anklägers, die durch die Verfassung und die Bill of Rights garantierten Freiheiten zu verteidigen, sorgt für allgemeinen Jubel im Gerichtssaal.

NS-Propagandafilme, die Deutschland immer vor irgendwelchen Gefahren bewahren wollen, geben sich gern volksnah und sind doch meistens elitär. Deshalb hören sie gern mit adeligen Uniformträgern auf, die einen glorreichen Sieg errungen oder sich für Führer und Vaterland geopfert haben (auch ein Sieg). In gehen FBI-Agent Renard und Staatsanwalt Kellogg nach der Verurteilung der Spione einen Kaffee trinken. Dabei hören sie mit an, wie sich ein paar ganz normale Bürger über diese Nazis ärgern und ihre Entschlossenheit bekunden, ihnen entgegenzutreten, wenn das nötig ist. Dann wird die Melodie zu "America the Beautiful" gespielt. Dieses patriotische Lied zeichnet sich dadurch aus, dass es ganz ohne Feinde auskommt und für etwas ist statt dagegen. In einem Propagandafilm der Nazis, der Meister der Negativität, habe ich so etwas noch nie erlebt.

Confessions of a Nazi Spy

Die Reaktion auf war gemischt. Sie reichte von großer Begeisterung in New York über weitgehendes Desinteresse im Mittleren Westen (bei der Wiederaufführung im Sommer 1940 lief er dort viel besser, weil man den Krieg in Europa und Hitlers militärische Erfolge auch in der amerikanischen Provinz mitbekommen hatte) bis zu Hass und wüsten Beschimpfungen. In den Warner Archives gibt es neben viel Zustimmung Briefe wie den eines Herrn aus St. Louis, der schreibt:

Ich nenne diesen Film grobe jüdische Propaganda. Sie haben niemanden verletzt, aber Ihretwegen werden mehr Leute die Juden hassen, weil ihn ein Jude produziert hat, um seinen Hass zu zeigen. […] Schande Schande Schande.

Von antisemitischen Ressentiments umgetrieben wurden auch Isolationisten wie Ruth Hermann aus Brooklyn, die sich an Will Hays wandte, den Chef der Motion Picture Producers and Distributors Association, also des Dachverbands der Filmindustrie (Joe Breen, der Zensor von Hollywood, war formell sein Untergebener):

Die Arier, die Amerikaner gehen der heutigen jüdischen Propaganda nicht auf den Leim. Wir wissen, dass sie Krieg mit Deutschland wollen und dass wir diesen Krieg für sie führen. Wenn sie kämpfen wollen, sollen sie das machen, aber ohne uns.

In europäischen Ländern wie Frankreich oder Großbritannien wurde der Film vor vollen Häusern gezeigt. In Deutschland und da, wo die Nazis Einfluss hatten, wurde er verboten (bis Ende 1940 in 24 Ländern). Berichte, dass in Polen mehrere jüdische Kinobesitzer, die vor dem Einmarsch der Deutschen ins Programm genommen hatten, von Antisemiten gehängt wurden, sind nicht bestätigt; auszuschließen ist es leider nicht. In Milwaukee brannten Nazi-Sympathisanten das Warner-Kino nieder, kurz nachdem der Film dort angelaufen war. In anderen amerikanischen Städten gab es Blockaden und Vandalismus. In Kansas City, berichtet der Motion Picture Herald (13.5.1939), unterzeichneten der deutsche Vizekonsul und hundert US-Bürger eine Petition, in der die örtliche Zensurbehörde aufgefordert wurde, den Film aus dem Verkehr zu ziehen. Der Deutsche Weckruf und Beobachter (4.5.1939), eine dem German-American Bund nahestehende Wochenzeitung, geißelte das "jüdische Hollywood", das dem "jüdischen Bolschewismus und allen anderen subversiven Internationalismen" Vorschub leiste.

Betäubter Verstand

Die Angst anderer Studios um den europäischen Markt war beträchtlich. Im Juni 1939 wurde eine Gruppe von Redakteuren deutscher Zeitungen zu einer Besichtigung der MGM-Studios eingeladen, und Louis B. Mayer höchstpersönlich spielte den Gastgeber, um sich die Nazis gewogen zu halten. Um weiteren finanziellen Schaden von der Industrie abzuwenden, erließen Hays und Breen am 15. September 1939 de facto ein Verbot, Projekte zu entwickeln, die deutlich gegen das Dritte Reich gerichtet waren. Weil das nicht rückwirkend galt, konnten die Warner Bros. einige zuvor begonnene Filme fertigstellen; das Prüfsiegel der PCA jedoch erhielten sie zum Teil erst nach langwierigen Auseinandersetzungen. Als Hays das Verbot im Januar 1940 aufhob, wagten sich auch andere große Studios an Anti-Nazi-Filme. Sogar Mayers MGM machte 1940 zwei, die heute noch sehr sehenswert sind (ein andermal dazu mehr).

Ein scheinbares Nachspiel, das sich bald als der Auftakt zur Hexenverfolgung in Hollywood erweisen sollte, gab es in Washington. Der Ausschuss des Repräsentantenhauses zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten (HUAC) führte 1940 Anhörungen durch, bei denen öfter "jüdisch" mit "kommunistisch" gleichgesetzt wurde. Einige Politiker aus dem Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, wollten da nicht zurückstehen. Burton K. Wheeler aus Montana gab im August 1941 bekannt, dass er eine Untersuchung zu "Interventionisten" in der Filmindustrie starten werde. Zu seinem Erschrecken fand der Senator schnell heraus, dass die meisten Studiobosse Juden waren. Unterstützt wurde er von Gerald Nye aus North Dakota, der schon immer die Munitionsfabrikanten im Verdacht hatte, die USA in einen Krieg verwickeln zu wollen und spätestens seit auch die Warner-Brüder und Hollywood, das seiner Ansicht nach "den Verstand des amerikanischen Volkes betäubte".

Die Anhörungen zur Propaganda im Film begannen am 9. September 1941. Da ging es dann wieder um die jüdische Verschwörung - nicht unbedingt um die von den Nazis gewitterte Weltverschwörung, aber doch um finstere Pläne, Amerika in den Krieg hineinzuziehen. Harry Warner musste sich gegen den Vorwurf verteidigen, anti-amerikanisch zu sein, erklärte sich stattdessen zum Anti-Nazi und versicherte, dass er auch in Zukunft nicht bereit sein werde, Zensur auszuüben und vor dem amerikanischen Volk zu verbergen, was draußen in der Welt passiere. Als sich der gottesfürchtige Senator Wheeler entgeistert fragte, warum es so vielen Ausländern erlaubt sei, die öffentliche Meinung in Amerika zu beeinflussen (gemeint waren Exilanten, jüdische Amerikaner und vermeintliche Kommunisten), veranlasste das Präsident Roosevelt zu der Replik, seines Wissens sei auch die Bibel "mehrheitlich von im Ausland Geborenen und von Juden" geschrieben worden. Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour und dem Kriegseintritt der USA beendeten die Senatoren ihre Untersuchung.

Edward G. Robinson knüpfte 1946 da an, wo er mit aufgehört hatte: in Orson Welles’ enttarnt er einen Nazi-Kriegsverbrecher, der in der amerikanischen Provinz untergetaucht ist. Das war eine seiner letzten großen Rollen, weil er bald danach auf eine der im Hollywood des Kalten Krieges kursierenden schwarzen Listen gesetzt wurde. Schon allein sein bürgerlicher Name, Emmanuel Goldenberg, machte ihn in den Augen der Kommunistenjäger sehr verdächtig. Insgesamt dreimal sagte er "freiwillig" vor dem HUAC aus, ohne dass sich seine Karriere je wieder ganz von den Anwürfen erholt hätte. Jack Warner, Harrys Bruder, war schon vorher als "freundlicher Zeuge" vor dem HUAC aufgetreten, hatte Namen von Leuten genannt, die er für Kommunisten hielt und John Wexley gefeuert, den Drehbuchautor von .

Anatole Litvak wurde neben Frank Capra der Hauptverantwortliche der vom Kriegsministerium produzierten -Reihe, mit der dem amerikanischen Publikum erklärt werden sollte, warum die USA in den Krieg gezogen waren und gegen wen (in unserem Zusammenhang besonders erwähnenswert: die Folgen und über die deutschen Eroberungsfeldzüge im Osten und im Westen), drehte den sehr guten Film noir (1947, mit einer grandiosen Barbara Stanwyck) und fand dann plötzlich keine Arbeit mehr, weil ihn jemand als potentiellen Kommunisten denunziert hatte. Ein premature anti-fascist war er als Regisseur von sowieso. Litvak ging zurück nach Europa, wo er noch einige Filme inszenieren konnte. Auch auf der schwarzen Liste landete Dorothy Tree, die Darstellerin der Hilda Kleinhauer. Für die Friseuse ging keine Version von der Geschichte gut aus, weder im echten Leben noch auf der Leinwand.

ist als DVD-R (Region Code 0) in der Warner Archives Collection erschienen.

Alle bereits erschienen Folgen der Serie "Das Dritte Reich im Selbstversuch":

Teil 1 [6]: Hitlerjunge Quex
Teil 2 [7]: Hans Westmar - Ein deutsches Schicksal
Teil 3 [8]: Braune Volkstänzer im russischen Wald
Teil 4 [9]: Nicht ohne die Gestapo, oder auch: Ich will meine Mutter wiederhaben!
Teil 5 [10]: Ritt in die Freiheit
Teil 6 [11]: Die Russen kommen! Aber wo?
Teil 7 [12]: Verräter und Unternehmen Michael
Teil 8 [13]: Robert und Bertram und Die Rothschilds
Teil 9 [14]: Fälschung und Entartung im NS-Kino
Teil 11 [15]: "Es wird ein Signal, ein Weckruf sein!"
Teil 12 [16]: "Feinde" und "Heimkehr"
Teil 13 [17]: "… reitet für Deutschland"

Gefahr aus dem Bierkeller (17 Bilder) [18]

[19]
Black Legion

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3390397

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.fbi.gov/news/stories/2007/december/espionage_120307
[2] http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,759767,00.html
[3] http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,772002,00.html
[4] http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,759767,00.html
[5] http://trove.nla.gov.au/ndp/del/article/17467806
[6] https://www.heise.de/tp/features/Das-Dritte-Reich-im-Selbstversuch-3384850.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Ein-deutsches-Schicksal-3384852.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Braune-Volkstaenzer-im-russischen-Wald-3384858.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Nicht-ohne-die-Gestapo-oder-auch-Ich-will-meine-Mutter-wiederhaben-3385283.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Ritt-in-die-Freiheit-3385143.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Die-Russen-kommen-Aber-wo-3385169.html
[12] https://www.heise.de/tp/features/Der-Rekordhalter-Hitlers-gefaehrlichster-Regisseur-im-Doppelpack-3385171.html
[13] https://www.heise.de/tp/features/Dr-Goebbels-und-die-Weltverschwoerung-Antisemitismus-mit-Spiel-und-Tanz-und-FSK-3387449.html
[14] https://www.heise.de/tp/features/Edle-Kunst-nur-leider-etwas-schmutzig-Faelschung-und-Entartung-im-NS-Kino-3388669.html
[15] https://www.heise.de/tp/features/Blick-in-den-Abgrund-3503394.html
[16] https://www.heise.de/tp/features/Engel-der-Volksdeutschen-3503466.html
[17] https://www.heise.de/tp/features/Der-innere-Befehl-3503493.html
[18] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3390399.html?back=3390397
[19] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3390399.html?back=3390397