Geheimnisvolle kompakte Radioquelle versteckt sich im Kern einer Supernova-Schale

Forschertrio entdeckte im Zentrum der Supernova 1986J eine kompakte und starke Radioquelle, hinter der ein neugeborenes Schwarzes Loch oder ein neugeborener Neutronenstern stecken könnte

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Das Auflösungsvermögen des VLBI-Interferometersystems soll derart gut sein, dass es zwei direkt nebeneinander liegende Tischtennisbälle auf dem Mond deutlich voneinander zu trennen vermag. Mithilfe dieser Observationstechnik haben jetzt Astronomen eine "erdnahe" Supernova-Schale anvisiert, die zu den strahlungsintensivsten Radioquellen ihrer Klasse zählt. Dabei lokalisierten sie im Kern der Schale eine noch kompaktere Radioquelle, die zudem ein umgekehrtes Radiospektrum aufweist. Jetzt rätseln die Astronomen darüber, was sich hinter dem 31 Millionen Lichtjahre entfernten Phänomen verbergen könnte. Ein Neutronenstern oder gar ein Schwarzes Loch? Auf jeden Fall wirft das Gebilde noch eine andere interessante Frage auf, wie die Forscher in einem vorab veröffentlichten "Science"-Artikel erläutern.

Eine künstlerische Darstellung der Supernova 1986J. Der neu entdeckte Nebel um das Schwarze Loch oder den Neutronenstern in der Mitte ist blau und die sich ausdehnende, zerrissene Hülle rot dargestellt. (Bild: Michael Bietenholz und Norbert Bartel)

Vor über 31 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als in der Enzyklopädie der Evolutionsgeschichte die Schöpfung des Homo sapiens sapiens noch ein ungeschriebenes Kapitel war, ereignete sich fernab der Erde in einer Galaxie, die heute die Katalognummer NGC 891 trägt, eine kosmische Katastrophe eklatanten Ausmaßes, deren Tragweite erst jetzt, 31 Millionen Jahre später, in unseren kosmischen Breitengraden erkennbar geworden ist. Fernab der Erde verabschiedete sich vor Äonen ein Stern in einer gewaltigen Explosion aus der kosmischen Geschichte und beendete sein stellares Dasein, um zu einem Pulsar zu mutieren – einem extrem kompakten Körper, bei dem gewissermaßen alle Neutronen dicht an dicht liegen. Die stellaren Überreste, die infolge dieser Explosion ins Weltall hinausgeschleudert wurden, offenbaren sich uns heute auf der Erde im elektromagnetischen Spektrum derweil in verschiedenen Wellenlängen auf höchst pittoreske Weise: in Gestalt einer Supernova-Schale (siehe Bild), die mit einer langsam abnehmenden Geschwindigkeit von 6300 Kilometer in der Sekunde ins All auseinander driftet, während der Kern, das eigentliche "Zentralobjekt" scheinbar bewegungslos und unsichtbar im Hintergrund und Zentrum weilt.

Extrem kompakt und extrem hell

Bei dem einst massereiche Stern, der sein Ableben wie alle Supernovae einmal auffallend theatralisch und farbenprächtig zelebrierte, handelt es sich um die am 21. August 1986 entdeckte Supernova 1986J (SN 1986J), die in der Galaxie NGC 891 beheimatet ist. Aufgrund ihrer Helligkeit und infolge ihrer relativen Nähe zur Erde – im Radiobereich ist sie bei sechs Zentimeter Wellenlänge die strahlungsstärkste bekannte Supernova am Firmament überhaupt – lokalisierten Astronomen das Phänomen zuerst mit Radioteleskopen und erst danach mit optischen Fernrohren.

Supernova 1986J im Radiobereich. Der Hintergrund zeigt den Rand der Galaxie NGC 891, in der die Supernova unten rechts zu sehen ist. Im Vordergrund drei VLBI-Radiobilder der Supernova 1986J auf drei Frequenzen in etwa 60.000-fach stärkerer Vergrößerung. Das Zentrum der Supernova ist jeweils durch das Kreuz gekennzeichnet. Das linke Bild ist bei 5 GHz aufgenommen und zeigt die sich ausdehnende, zerrissene Hülle mit einem Hot Spot links oben. Das rechte Bild zeigt bei 14 GHz den neu entdeckten Nebel um den Neutronenstern oder das schwarze Loch im Zentrum. Das mittlere Bild bei 8 GHz zeigt eine Mischung aus beiden. (Bild: Michael Bietenholz und Norbert Bartel)

Nunmehr fanden Astronomen im Zentrum der Schale von SN 1986J eine noch viel kompaktere Radioquelle, die trotz ausgiebiger früherer Beobachtungen bisher stets übersehen wurde. Wie Michael F. Bietenholz und Norbert Bartel vom "Department of Physics and Astronomy" der "York University" in Toronto, Ontario (Kanada) sowie Michael P. Rupen vom "National Radio Astronomy Observatory" in einem vorab veröffentlichten Artikel im "Scienceexpress" schreiben, besticht die Radioquelle im Kern von SN 1986J nicht nur durch extreme Kompaktheit und Helligkeit. Vielmehr weist diese noch ein anderes Merkmal auf.

"Das Gebilde, das auf früheren Bildern nicht zu sehen ist, hat ein umgekehrtes Radiospektrum mit abfallendem Verlauf, das sich von dem der Schale unterscheidet. Eine solche Umkehrung haben wir bislang noch in keinem Spektrum einer anderen Supernova gesehen."

Dass im Rahmen einer nur zweitägigen Beobachtungssequenz (11. November 2002 und 22. Juni 2003) die mysteriöse Radioemission überhaupt so schnell registriert werden konnte, ist der Leistungsfähigkeit des VLBI (Very Long Baseline Interferometrie) zu verdanken. Bei dieser Observationstechnik, die auf dem Prinzip der Interferometrie basiert, werden mehrere Radioteleskope zu einer virtuellen Riesenschüssel kombiniert, die einen fiktiven Durchmesser von mehreren tausend Kilometern hat.

Schwarzes Loch oder Neutronenstern?

Tatsächlich konnten Bietenholz, Bartel und Rupen mit dem Very Long Baseline Array (VLBA, dem Green Bank Telescope, dem Very Large Array (VLA) des National Radio Astronomy Observatory (NRAO) und diversen Teleskopen des europäischen VLBA-Netzwerkes operieren, wozu auch das 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg gehört. Während beim VLBA in Socorro die eingehenden Daten mit dem institutseigenen Recher zentriert und gesammelt wurden, oblag die Auswertung dem NRAO's Astronomical Image Processing System.

Die 27 Antennen des "Very Large Array" in San Augustin, 75 Kilometer westlich von Socorro, New Mexico (Bild: NRAO/AUI)

Die Informationen, die die Astronomen aus diesem Datenmeer – die VLBI- Beobachtungen der Supernova SN 1986J erfolgten bei sechs und 18 Zentimeter Wellenlänge – herausdestillierten und mosaiksteingerecht zu einem Bild komponierten, geben aber vorerst keine schlüssigen Hinweise über die Quelle und das wahre Wesen der Radioemissionen. Immerhin kommen angesichts der Tatsache, dass SN 1986J eine Supernova vom Typ II ist, für die Forscher vorerst nur zwei mögliche Phänomene in Frage. "Wir wissen von anderen Kandidaten, hinter denen wir Schwarze Löcher vermuten, dass diese starke Radiostrahlung emittieren. Es ist daher möglich, dass die Radioquelle im Zentrum der Supernova 1986J mit einem Schwarzes Loch in Zusammenhang steht", drücken sich die Astronomen im dem Beitrag noch recht vorsichtig aus. Obgleich SN 1986J einst ein massereicher Stern gewesen war, könnte hinter dem Phänomen nämlich auch ein Neutronenstern stecken, sofern er einige signifikante Merkmale mitbringt. "Falls es ein Neutronenstern sein sollte, müsste dieser erstens stark magnetisiert sein, sich schnell drehen und dabei jede Menge Rotationsenergie verlieren."

Sollte in dem kompakten Kern der Supernova tatsächlich ein Schwarzes Loch oder ein Neutronenstern hausen, dann würde die aktuelle Entdeckung die bekannte Theorie untermauern, wonach Supernova-Ereignisse schlichtweg Geburtshelfer für Schwarze Löcher und Neutronensterne sind.

Schlüssel zum GRB-Geheimnis?

Gleichwohl könnte nach Ansicht der drei Wissenschaftler die geheimnisvolle Quelle sogar mit einem anderen großen Geheimnis in der Astrophysik in direktem Zusammenhang stehen. "Es ist durchaus möglich, dass die Radioquelle im Kern der Supernova sogar auf einen Gammastrahlenausbruch hinweist", spekulieren die Astronomen in ihrem Artikel und berühren damit gleichzeitig ein heißes Eisen, das in der gegenwärtigen Astronomie nicht minder heiß diskutiert wird. Schließlich zählen so genannte Gamma-Ray-Bursts (GRB) zu den spektakulärsten kosmischen Phänomenen, die das Weltall derzeit zu bieten hat. Sie sind die leuchtkräftigsten und energiereichsten Ereignisse im Universum und fürwahr eines der größten Geheimnisse der modernen Astronomie. Völlig unbekannt ist vor allem deren Ursprung. Scheinbar aus dem Nichts kommend, durchfluten sie das Universum für einige Sekunden mit kaum vorstellbarer Energie, geben dabei binnen weniger Sekunden mehr davon ab, als unser Heimatstern in seinem ganzen Leben freizugeben vermag. Trotzdem sind diese im Vergleich zu Supernovae in unserem Universum weitaus seltener anzutreffen. Während nämlich tagtäglich Hunderttausende Sterne ihr Leben schauspielreif als Supernova aushauchen, geben auf der kosmischen Bühne jeden Tag – so die bisherige Erfahrung der Astronomen – bestenfalls eine Handvoll GRBs ein kurzes Gastspiel.

Andere Darstellung der Radioaufnahme von NGC 891 und der darin enthaltenen Supernova SN 1986J (Bild: NRAO/AUI)

Dennoch stellt sich hier die Frage, ob Supernovae des zweiten Typs, die sich nicht nur durch Radiostrahlung, sondern auch via Röntgen- und Gammastrahlung zu erkennen geben und möglicherweise sogar Neutrinos und Gravitationswellen ausstrahlen, der Schlüssel zum GRB-Mysterium sein könnten. Vorerst fehlt es zwar an schlüssigen Indizien, dass SN 1986J ein solcher sein könnte. Aber es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Supernovae-Detektive, die mit ihren hochsensiblen bodengebundenen oder orbitalen High-Tech-Lupen das elektromagnetische Spektrum (fast) in seiner ganzen Breite, Fingerabdruck für Fingerabdruck, sprich Wellenlänge für Wellenlänge abtasten, bald den wahren Übeltäter für das GRB-Phänomen ausgemacht haben. Und das gilt ganz besonders für den "Bösewicht" im Zentrum der Supernova SN 1986J.