Geheimvertrag zwischen Kiew und Moskau: Zehn wichtige Punkte und eine offene Frage

Friedenstaube vor Ukraine-Flagge

Vertane Friedenschance: Legten "kriegsmüde" Akteure aus ukrainischen Institutionen den Vertragsentwurf offen, um eine Diskussion zu ermöglichen? Symbolbild: ELG21 / Pixabay Licence

Frühes Abkommen hätte der Ukraine Vorteile gebracht. Offene Punkte gab es aber auch. Entlarvende Debatte über Veröffentlichung.

Die Veröffentlichung eines bisher geheimen Vertragsentwurfs zwischen Kiew und Moskau zu Beginn des laufenden Krieges in der Ukraine ist weltweit auf Resonanz gestoßen. Der Welt am Sonntag war das Papier unlängst zugespielt worden. Das Blatt veröffentlichte allerdings nicht das gesamte Originaldokument, sondern nur die erste Seite.

Brisant: Der verpasste Frieden zwischen Ukraine und Russland

Dass der Verhandlungsstand zwischen der Ukraine und Russland nach der Intervention jetzt publik wird, hat an sich schon eine politische Aussage. Offenbar ist den Welt-Journalisten das Papier von ukrainischer Seite zugespielt worden. "Das war der beste Deal, den wir hätten haben können", zitiert das Blatt ein Mitglied der damaligen ukrainischen Verhandlungsdelegation.

Verschärfte Bedingungen: Ukraine in der Defensive

Die Ukraine sei seit Monaten in der Defensive und erleide schwere Verluste. Rückblickend sei die Ukraine damals in einer stärkeren Verhandlungsposition als zum jetzigen Zeitpunkt.

Nach dem Bericht der deutschen Zeitung sind das die zehn wichtigsten Punkte in dem Vertragsentwurf, jeweils mit Aussagen aus dem Bericht.

Von Neutralität bis EU-Mitgliedschaft: Zehn wichtige Punkte

1. Ukraine sollte permanenter Neutralität zustimmen: "So verpflichtete sich die Ukraine laut Artikel 1 des Vertragsentwurfs zu "permanenter Neutralität". Damit verzichtete Kiew auf jegliche Mitgliedschaften in einer militärischen Allianz."

2. Keine Atomwaffen oder ausländische Truppen in der Ukraine: "So erklärte sich das Land bereit, niemals Atomwaffen ‚zu erhalten, produzieren oder zu erwerben‘, keine ausländischen Waffen und Truppen im Land zu erlauben und seine militärische Infrastruktur, inklusive Flugplätze und Seehäfen, keinem anderen Land zur Verfügung zu stellen."

3. Ukraine darf EU-Mitgliedschaft anstreben: "Einer EU-Mitgliedschaft Kiews stand laut Artikel 3 des Dokuments aber ausdrücklich nichts im Wege."

4. Russland sichert zu, die Ukraine nicht noch einmal anzugreifen: "Im Gegenzug sicherte Russland zu, die Ukraine nicht noch einmal anzugreifen."

5. Sicherheitsgarantien durch fünf ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats: "Damit sich Kiew dessen sicher sein könne, erklärte sich Moskau einverstanden, dass die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland selbst, der Ukraine umfassende Sicherheitsgarantien aussprechen können."

6. Recht auf Selbstverteidigung im Fall eines bewaffneten Angriffs: "Im Fall eines ‚bewaffneten Angriffs auf die Ukraine‘ würden sich die Garantiestaaten verpflichten, Kiew innerhalb von höchstens drei Tagen bei seinem in der UN-Charta verbrieften Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen."

7. Krim und Hafen Sewastopol von Sicherheitsgarantien ausgenommen: "Darin geht aus Artikel 8 hervor, dass die Krim und der Hafen Sewastopol von den Sicherheitsgarantien ausgenommen wird."

8. Offene Frage zur Größe des ukrainischen Militärs: "Ebenfalls ungelöst war die Frage nach der künftigen Größe des ukrainischen Militärs."

9. Russland fordert russische Sprache als zweite Amtssprache in der Ukraine: "Demnach forderte Russland, die russische Sprache zur zweiten Amtssprache in der Ukraine zu machen, gegenseitige Sanktionen aufzuheben, Klagen vor internationalen Gerichten fallen zu lassen."

10. Kiew sollte "Faschismus, Nazismus und aggressiven Nationalismus" gesetzlich verbieten lassen: "Auch sollte Kiew "Faschismus, Nazismus und aggressiven Nationalismus" gesetzlich verbieten lassen."

Enthüllung durch institutionellen Widerstand in der Ukraine?

Dass der Vertragsentwurf nun, zwei Jahre nach Kriegsbeginn, in einem westlichen Medium massiert wird, zeigt, dass es in der Ukraine offenbar institutionellen Widerstand gegen die Fortsetzung des Krieges gibt.

Tatsächlich hat die Ukraine in den letzten Wochen und Monaten Verluste erlitten, die russischen Invasionstruppen haben Gebiete zurückerobert und Kiew hat Schwierigkeiten, neue Soldaten zu rekrutieren. Es ist zu erwarten, dass die zunehmende Wehrpflicht den Rückhalt der Regierung und der Armee Selenskyjs schwächen wird.

Westliche Moral und Ethik in der Kriegsdebatte

Gleichzeitig stellt sich im Westen die Frage, inwieweit eigene Interessen in den Krieg projiziert wurden und werden. Deutlich wird dies nun auch in der laufenden Diskussion um die Veröffentlichungen zum Geheimvertrag.

Wenn deutsche Kommentatoren den tendenziell negativen Inhalt des Vertrages über die geschätzte halbe Million tote und verwundete Soldaten sowie Zehntausende getötete Zivilisten stellen, dann muss auch die Frage nach Moral und Ethik im Westen gestellt werden.