"Gehirnwäsche" durch einen marokkanischen Imam?

Seite 2: "Die Radikalisierung ging nicht schnell"

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Der Imam hatte sich schon im Juni aus Ripoll abgesetzt, angeblich zum Urlaub nach Marokko. Rechte Medien in Spanien haben an einer Legende gestrickt, um Druck von der konservativen Regierung zu nehmen. Nun gibt es Zeugenaussagen, die die angebliche schnelle Radikalisierung ins Märchenreich verbannen. Und es ist auch eine Legende, dass sie völlig unbemerkt blieb.

"Die Radikalisierung ging nicht schnell", zitiert die Zeitung El País einen direkten Angehörigen eines Attentäters. Die Gruppe habe mindestens ein Jahr lang versucht, sich heimlich mit dem Imam - allerdings "außerhalb der Moschee" - zu treffen. Abseits der Treffen hätten sie sich gegenüber dem Imam so verhalten, als kenne man sich nicht und sich nur kurz gegrüßt. Die Zelle verfügte auch über mindestens eine Wohnung, in denen die Treffen stattfanden. "Ich dachte die rauchen dort Joints", erklärte ein Anwohner.

Abdelbaki Es Satty wird nicht nur bei der Durchführung, sondern auch für die Radikalisierung der sehr jungen Attentäter eine zentrale Rolle zugeschrieben. Aufgefallen sei er in der Moschee aber nicht durch radikale Reden. Er dürfte zur Dynamisierung beigetragen haben, doch es gab bereits eine Radikalisierung, bevor der Imam in die Kleinstadt am Rand der Pyrenäen kam. Einer der inzwischen getöteten Attentäter hatte schließlich schon 2015 im Internet davon geträumt, "alle Ungläubigen zu töten".

Auch die Eltern und Angehörigen der jungen Terroristen machen vor allem den Imam verantwortlich. Der habe ihre Söhne einer "Gehirnwäsche" unterzogen oder "verrückt" gemacht, erklären sie und distanzieren sich von den Anschlägen, die nicht in ihrem Namen ausgeführt worden seien. Fast alle in Ripoll sind konsterniert und können sich kaum vorstellen, wie scheinbar integrierte Jugendliche zu solchen Taten kamen.

Eine Sozialarbeiterin, die lange mit den Jungen zusammengearbeitet hat, ist "aus Schmerz am Boden zerstört". Es ist ein erstaunliches Dokument, das sie in der Zeitung La Vanguardia veröffentlicht hat, in dem Raquel Rull niemandem eine Schuld zuschreibt, aber richtige - auch selbstkritische - Fragen stellt. Denn die einfachen Schuldzuschreibungen, wie auch von den Familien, die vor allem auf den Iman abstellen, sind ganz offensichtlich vereinfachend und falsch. "Was machen wir falsch? Wir müssen das stoppen" schreibt Rull und fügt an: "Und ich hatte geglaubt, es richtig zu machen, dass ich mein Sandkorn beitragen würde ." Dass ausgerechnet Abouyaaqoub den Todeswagen fuhr, kann sie nicht fassen.

Es ist auch erwähnenswert, dass der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont zu der wichtigen Frage nicht spekulieren wollte, wie sich die Radikalisierung in einer Kleinstadt vollziehen konnte und nicht in einer anonymen Vorstadt in Frankreich oder Belgiens. Das müsse ausgiebig untersucht werden, erklärte Puigdemont. Er wies auch die Stimmen zurück, die allseits nun Katalonien zu einem Hotspot der radikalen Islamisten erklären. Das ist das nächste Märchen, als hätte es nicht Verhaftungen im ganzen Land gegeben, und vor allem in den Exklaven Mellila und Ceuta. Auch die Spuren der Islamisten, die 2004 das Massaker in Madrid verübten, führten nicht nach Katalonien. Es gab allerdings - wie nun erneut - klare Verbindungen in die Exklaven, die längst als Brückenköpfe zur Ausbreitung vom IS in Europa bezeichnet wurden.

"Die moslemische Gemeinschaft gegen den Terrorismus"

Es gäbe "keine besondere Radikalisierung", wies Puigdemont die Vorwürfe zurück. 200.000 Marokkaner lebten normal in Katalonien, schickten ihre Kinder in die Schule und trügen zur Entwicklung des Landes bei. "Es ist ungerecht, über ihnen einen Schatten aus Zweifeln und Verdacht auszubreiten. Es ist glücklicherweise eine verbreitete Ansicht in Katalonien, weshalb auch Neofaschisten von der Bevölkerung aus Barcelona geworfen wurden, die die Anschläge für ihre rassistische Propaganda missbrauchen wollten, berichtete auch der Spiegel.

"Nicht in meinem Namen" seien die Anschläge verübt worden, machen Moslems in Katalonien bei vielen Versammlungen deutlich. Die bisher größte Versammlung fand gestern in Barcelona statt. Mehrere tausend Menschen hatten sich im Zentrum versammelt, unweit des Anschlagsorts. Dazu hatten mehr als 150 moslemische Organisationen aufgerufen. "Die moslemische Gemeinschaft gegen den Terrorismus", lautete das Motto. Auch hier wurden selbstkritische Töne angestimmt. "Wir haben ein wirkliches Problem, das wir nicht verdecken dürfen", forderte die Sprecherin der Stiftung Ibn Battuta die Versammelten zu einer selbstkritischen Überprüfung auf, warum ein in Katalonien geborener oder seit jungen Jahren dort lebender Mensch zu so etwa fähig ist. Aufgerufen wurde auch, sich an der Großdemonstration am Samstag zu beteiligen.

Verbindungen nach Frankreich und Belgien

Die Mossos versuchen derweil die internationalen Verknüpfungen aufzurollen. Klar ist mittlerweile, dass einige der Terroristen kurz vor den Attentaten in Barcelona und Cambrils kurzzeitig nach Paris gereist waren. Der Audi A3, der in Cambrils gestoppt worden war und dessen fünf Insassen erschossen wurden, war wenige Tage vor dem Attentat in Paris. Das Fahrzeug wurde von einem Radar wegen überhöhter Geschwindigkeit registriert. "Es war eine sehr eilige Hin- und Rückfahrt", haben französische Behörden mitgeteilt, obwohl sie in einem Hotel übernachtet haben.

Gesucht wird auch nach Verbindungen nach Belgien, wo sich der Imam immer wieder aufgehalten hat, aber dort nicht als Imam tätig wurde, weil er kein polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt hat. Die Verbindungen nach Vilvoorde waren eng, die als ein Zentrum des radikalen Islamismus gehandelt wird. Verbindungslinien gibt es allerdings auch nach Marokko und in die Schweiz.