Werden spanische Exklaven zu IS-Terrorzentren?

Straße von Gibraltar, Ceuta ist rechts hinten zu sehen. Bild: Nasa

Das Overseas Security Advisory Council (Osac) warnt, dass sich Ceuta und Melilla zu Brückenköpfen zur Ausbreitung von IS in Europa entwickeln

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Die von Marokko umschlossenen spanischen Exklaven Ceuta und Melilla tauchen in den Medien meist wegen der Tatsache auf, dass Flüchtlinge über die einzigen Landgrenzen zwischen Afrika und Europa in die EU zu kommen, wobei es bisweilen brutal oder tödlich zugeht. Doch nach Ansicht des Overseas Security Advisory Council (Osac), der dem Diplomatischer Sicherheitsdienst des US-Außenamts untersteht, macht sich der Islamische Staat (IS) zunehmend in den Exklaven breit und wirbt von dort auch zahllose Kämpfer in Marokko an.

Die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla tauchen seit gut zehn Jahren immer wieder im Zusammenhang mit dem Dschihadismus auf. So wurden Verstrickungen auch im Rahmen der bisher schwersten Anschläge in Spanien am 11. März 2004 festgestellt, bei denen 191 Menschen in Vorortzügen der Hauptstadt Madrid ermordet wurden ("Spanien in eine Hölle verwandeln"). Die Exklaven tauchten längst sowohl als Ziele von Al-Qaida auf, die nicht nur den Maghreb von "Franzosen und Spaniern säubern", sondern auch "Al Andalus" (das heutige Andalusien) zurückzuerobern wollen. Das hatte Abu Mussab Al Sarkawi mehrfach deutlich gemacht (Al-Qaida will den Maghreb von Franzosen und Spaniern säubern). Und der taucht in IS-Strategien wieder in einer Schlüsselposition auf, die bis 2013 ein Kalifat errichten und bis 2020 den Endsieg erreichen wollen (Al-Qaida will den Maghreb von Franzosen und Spaniern säubern).

Ceuta und Melilla nehmen dabei, wegen der direkten Übergänge auf dem Landweg zwischen Marokko und Spanien, eine besondere Stellung ein. Dort kommt es seit Jahren immer wieder zu Razzien und Verhaftungen. Erst kürzlich wurden neun mutmaßliche Dschihadisten in Melilla und der marokkanischen Nachbarstadt Nador verhaftet, die Verbindungen zu IS haben sollen. Der Anführer der Zelle soll aus der spanischen Exklave kommen, während das Fußvolk in Marokko angeworben worden sei.

Beim Chef der Gruppe in Melilla soll es sich um den Bruder von Zakaria Said Mohamed handeln, der mit IS schon im Irak oder Syrien kämpft. Er leite über seinen Bruder die Anwerbung aus der Ferne, während Mohamed als Anführer in Melilla für die Anwerbung verantwortlich gewesen sein soll. Die Brüder hätten die Rekruten schon vor der Abreise in den Nahen Osten militärisch an Waffen und Sprengstoff ausgebildet.

Grenzzaun in Melilla. Bild: Ángel Gutiérrez Rubio/CC-BY-2.0

Einige der nun in Nador verhafteten Marokkaner seien nach ihrem Kampf in Syrien schon nach Marokko zurückgekehrt. Zwar wird der Zelle als Hauptaufgabe die Anwerbung neuer Kämpfer zugeschrieben, doch die Sicherheitsdienste fragen sich in Spanien und Marokko auch, warum erfahrene Kämpfer zurückgeholt werden. Es wird vermutet, dass die Kampfzone für das Kalifat ausgeweitet werden soll. Und man ist gewarnt, schließlich gab es schon 2003 Anschläge mit 45 Toten auf spanische Einrichtungen im marokkanischen Casablanca (Das schwächste Glied aus der Kette brechen).

Bekannt ist, dass der spanische Chef der Dschihadistenzelle schon in Mali gekämpft hat, wo sich nach dem Abzug der Franzosen offenbar die Islamisten wieder ausbreiten. Und in Mali verloren sich die Spuren des spanischen Ex-Soldaten. Klar ist auch, dass radikale Islamisten den Mali-Konflikt für ihre Propaganda nutzten, um in Algerien Gasanlagen anzugreifen. Dabei dürfte der failed state Libyen als Operationsbasis gedient haben. Mit den Angriffen wurde nicht nur die Achillesferse Algeriens getroffen, sondern auch die Europas.

Im Konflikt mit Russland wird gerne nach Algerien geschielt, um Europa von dort alternativ mit Gas zu versorgen (Zahlt die EU die ukrainische Gasrechnung?). Schon die bisherigen Angriffe zeigen, dass diese Versorgung alles andere als sicher ist. Und es ist zu erwarten, dass die Dschihadisten den Konflikt mit Russland für sich nutzen, um in Zukunft wieder an der Schwachstelle zu intervenieren, um Europa weiter zu schwächen. Dass sie sogar nahe der Hauptstadt Algier eine Gasleitung angreifen konnten, macht die steigende Gefahr genauso deutlich wie die Tatsache, dass erfahrene Kämpfer aus dem Irak und Syrien zurückgeholt werden.

Diese Gefahr hat man nun offensichtlich auch bei der Osac erkannt, das über eine Art "Frühwarnsystem" für US-Unternehmen verfügt und dessen Warnungen vor allem auf Erkenntnissen der US-Geheimdienste beruhen. So hat die spanische Tageszeitung El Mundo über ein Osac-Dokument berichtet. Es liegt der Zeitung vor und hat den Titel: "Der Islamische Staat über den Irak und Syrien hinaus". In dem Geheimdokument wird beschrieben, dass Marokko und Spanien an seinen Grenzen mit "außergewöhnlichen Herausforderungen" konfrontiert seien, besonders werden Ceuta und Melilla hervorgehoben.

Die spanischen Exklaven werden vor allem deshalb als "gefährdet" eingestuft, weil der Zugang für Marokkaner aus den marokkanischen Provinzen Tétouan und Nador sehr einfach ist, da die knapp drei Millionen Bewohner dieser Regionen nicht einmal ein Visum benötigen. Mit der großen Zahl von falschen Pässen hätten damit auch Kämpfer aus Syrien oder Irak einfachen Zutritt, die sich als Marokkaner ausgeben könnten. "Diese Schwäche wird von extremistischen Netzwerken ausgenutzt", resümiert Osac.

Die US-Institution schätzt, dass schon jetzt 1.500 bis 2.000 Marokkaner in den Reihen von IS kämpfen. Das ist eine deutlich höhere Zahl als die, von der Behörden und der Nachrichtendienst (DGED) in Marokko ausgehen. Der DGED schätzt, dass davon mehr als 200 schon in den Kämpfen umgekommen sind. "Die große Zahl der Marokkaner in Syrien und im Irak stellt ein großes Terror-Risiko für Marokko dar", resümiert Osac, wenn diese ins Land zurückkämen. Und weil viele von ihnen aus Tétouan oder Nador stammen und deshalb einfach in die Exklaven kämen, weite sich dieses Risiko eben auch auf Spanien aus.

Dschihadisten würden aber nicht nur in Marokko über IS-Mittelsmänner in Ceuta und Melilla angeworben, sondern auch Spanier. Nur die Hälfte der bisher etwa 70 spanischen IS-Kämpfer käme auch aus den beiden Exklaven, meinen die Experten. Der Rest würde im gesamten spanischen Staat angeworben. Kürzlich sorgte der Fall von Redouan Bensbih für Aufregung. Der 26-jährige Marokkaner starb bei Kämpfen auf Seiten des IS in Syrien, war aber im baskischen Barakaldo gemeldet. Dort bezog er bis zu seinem Tod sogar noch Sozialhilfe, die es im Baskenland (anders als in Spanien) gibt. Die baskischen Behörden haben deshalb mit der Suche danach begonnen, ob es ähnliche Fälle gibt oder das Baskenland wegen großzügiger Regelungen für Einwanderer und Flüchtlinge zum bevorzugten Ziel gefährlicher Islamisten wird.

In Spanien beteuern die Behörden, dass die Zahl der Kämpfer mit spanischem Pass in den Reihen von IS vergleichsweise gering sei. Allein aus Frankreich sein fast 1.000 Menschen zum Kampf für ein Kalifat in den Nahen Osten gezogen. Sogar aus Belgien seien es mit 250 deutlich mehr. Doch setzt man die Zahl der Kämpfer aus den Exklaven ins Verhältnis zur männlichen Bevölkerung, dann ist Ceuta und Melilla angesichts von nur 22.000 Männern zwischen 18 und 45 Jahren an der Spitze mit der Zahl der Dschihadisten.