Geht es mit der Gesundheit bergab?

Gesundheitliche Ungleichheit: Nach einer britischen Studie scheint es zumindest den 1970 Geborenen aus den ärmsten Haushalten gesundheitlich deutlich schlechter zu gehen als den 1920 Geborenen

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Mitunter herrscht noch immer die Ansicht vor, dass die Lebenserwartung weiter wie seit der industriellen Revolution ansteigen würde und dass die Menschen dank der besseren medizinischen Versorgung auch im höheren Alter gesünder sind als die Generationen vor ihnen. Bei der Lebenserwartung könnte es sein, dass ein Peak erreicht wird bzw. es ein maximales Alter gibt - in den USA stagniert sie oder geht zurück (USA: Lebenserwartung sinkt weiter), die Kluft zwischen Arm und Reich könnte sich vertiefen, schon jetzt kann der Unterschied zwischen den Reichen und den Armen bis zu 20 Jahren betragen (USA: Landkreise mit einer Lebenserwartung wie im Sudan).

Mehrere Studien haben bereits gezeigt, dass der Gesundheitszustand viel mit dem sozioökonomischen Status zu tun hat und der Unterschied zwischen den Armen und Reichen sich seit den 1970er Jahren vergrößert. Seit der Zeit ist auch der Gini-Index angestiegen, also das Maß für die Ungleichheit in der Gesellschaft. Stephen Jivraj vom Department of Epidemiology and Public Health des University College London berichtet nun im Journal of Epidemiology & Community Health, dass sich die Unterschiede zwischen der Gesundheit von Briten in den reichsten und ärmsten Haushalten in Großbritannien vergrößert haben, wenn man 1920-1922 Geborene mit den Angaben derjenigen vergleicht, die 1968-1970 geboren wurden. Bei den Frauen hat sich der Unterschied verdoppelt, bei den Männern um das 1,5-Fache verstärkt.

Allerdings wurden die Menschen nicht körperlich untersucht, sondern es wurden die Antworten von 200.000 Menschen im gleichen Alter (30-59 Jahre) in einer wiederkehrenden großen und repräsentativen Umfrage zwischen 1971 und 2011 ausgewertet und dreijährige Pseudo-Altersgruppen von 1920 bis 1970 Geborenen geschaffen, um die Selbstbeurteilungen ihres Gesundheitszustands vergleichen zu können. Das macht Vergleiche zwischen Generationen schwierig, weil sich Kultur und Selbstverständnis verändert haben können. So könnten Menschen, die vor 100 Jahren geboren wurden, sich etwa bei gleichen Symptomen als gesünder betrachtet haben, als Generationen nach ihnen, deren Normvorstellungen eines gesunden Körpers schlicht höher oder anspruchsvoller sein könnten.

26 Prozent der 1920-1922 geborenen Männer aus den ärmsten Haushalten berichteten, dass sie eine schwere, unheilbare Krankheit haben, während dies nur 16 Prozent der Männer aus der reichsten Schicht angaben. Schon 35 Prozent der Männer, die 1968-1970 geboren wurden und in den ärmsten Haushalten leben, berichteten von einer unheilbaren Krankheit, in den reichsten Haushalten waren es nur 11 Prozent. Bei den 1920-1922 geborenen Frauen, gaben 15 Prozent der aus den ärmsten Haushalten an, keine gute Gesundheit zu haben, bei den Frauen aus den reichsten waren es 8 Prozent. Auch hier nahm der Unterschied zu, wenn auch nicht so stark: 19 Prozent der 1968-1970 Geborenen aus den ärmsten Haushalten sagten, ihre Gesundheit sei nicht gut, und 9 Prozent aus den reichsten Haushalten. Bei den Männern stieg der Anteil derjenigen, die von schlechter Gesundheit berichten, um 6 Prozent. Dagegen blieb der Anteil bei den Männern aus der Mittel- und Oberklasse weitgehend konstant.

Mehr Menschen könnten medizinische Versorgung benötigen

Für Jivraj zeigen seine Ergebnisse, dass sich bei den von 1920 bis 1970 geborenen Kohorten die Gesundheitsungleichheit verstärkt hat, was mit der wachsenden Einkommensungleichheit zu tun hat. Die Kluft wird sich für ihn noch erweitern, weil nun immer mehr später nach dem Weltkrieg Geborene ins Alter kommen, was bedeutet, dass mehr Menschen medizinische Versorgung benötigen werden. Es könnte aber auch sein, räumt Jivray ein, dass die nach 1945 Geborenen "größere Erwartungen an ihre Gesundheit" hegen. Er spekuliert, dass sie sich möglicherweise kränker fühlen, weil sie eine medizinische Behandlung erwarten könnten.

Aber es gibt eben nicht nur Umfragen zum selbst berichteten Gesundheitszustand, sondern eben auch zur Lebenserwartung, was auch heißt, zur Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen Todes. Und die Lebenserwartung scheint stark vom sozioökonomischen Status abzuhängen. Wer arm geboren wurde und bleibt, stirbt früher und wird eher krank. Das sind die tödlichen Folgen der wachsenden Einkommenskluft, die die Reichen begünstigt und ihnen mehr und gesündere Lebenszeit gewährt, als den Armen, die schlecht bezahlte Arbeit machen müssen. Verwunderlich ist nur, warum diejenigen, die eine mitunter bis zu 20 Jahre kürzere Lebenserwartung als die glücklichen Erben haben, sich so still verhalten oder Populisten wie den Milliardär Trump oder neoliberale Parteien wie die AfD wählen.