Geiseln, Gaza und Gerechtigkeit: Berliner Kundgebung zeigt neue Perspektiven
3000 Menschen demonstrierten in Berlin für Frieden in Nahost. Die Kundgebung zeigte neue Perspektiven auf den Konflikt. Doch eine Frage blieb unbeantwortet.
Rund 3,000 Menschen haben sich am Freitagabend vor dem Berliner Hauptbahnhof zu einer Kundgebung unter dem Motto "Für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel" versammelt. Aufgerufen hatten namhafte Menschenrechtsorganisationen wie Amnestie International, die Humanistische Union, die Organisation Care, Medico International. Die Publizistin Charlotte Wiedemann zeigte sich im Vorfeld sehr zufrieden.
Sie schrieb in der taz)
Auf diesen Moment habe ich lange gewartet. Am Freitag wird ein beeindruckendes Bündnis humanitärer und humanistischer Kräfte vor dem Kanzleramt Forderungen vertreten, die so selbstverständlich wie unerhört sind: Menschenrechte dürfen nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.
Kritik an der israelischen Regierung, nicht am Staat Israel
Eigentlich hätte die Kundgebung der Diskussion um den Nahostkonflikt eine neue Wendung geben können. Keine der inkriminierten Parolen, die gerade das Existenzrecht Israels infrage stellten und immer wieder zu massiven Polizeieinsätzen führten, prägten die Kundgebung.
Am Freitagabend hielt sich die Polizei zurück. Die Verlegung der Kundgebung vom Platz vor dem Kanzleramt auf den Platz vor dem Hauptbahnhof war Sicherheitsbedenken wegen des gleichzeitigen Biden-Besuchs geschuldet.
Dadurch gab es aber auch mehr Passanten, die spontan zuhörten, da der Platz vor dem Bahnhof viel belebter ist als der Platz vor dem Bundeskanzleramt.
Differenziertes Bild des Nahostkonfliktes
Wer zuhörte, bekam in der Regel sehr differenzierte Darstellungen des Nahostkonflikts zu hören. Das zeigte sich auch an den Plakaten. Da wurde nicht nur Israel kritisiert. Viele trugen den Slogan "Freilassung der Geiseln sofort" und es gab auch einige Plakate mit dem Slogan "Free Gaza from Hamas".
Eine solche Parole wäre bei den dezidiert antizionistischen Demonstrationen der letzten Monate kaum toleriert worden.
Pressefreiheit in Israel, Gaza und Westjordanland
Die Generalsekretärin von Amnestie International, Julia Duchrow, ging sehr differenziert auf die Situation der Journalistinnen und Journalisten in Israel und Palästina ein. Sie konzedierte, dass im Kernland Israel eine kritische Presse die Politik der Regierung immer wieder kritisieren konnte, dass dort eine weitgehende Pressefreiheit herrschte. Dies ändere sich jedoch in Zeiten des Krieges.
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"Zunehmend werden Journalistinnen und Journalisten auch in Israel vor Gericht gezerrt", beklagte Duchrow. In Gaza und im Westjordanland sei die Situation für Medienvertreter seit vielen Jahren katastrophal. Journalisten würden von den dortigen Machthabern, ob Hamas oder Fatah, als Feinde betrachtet.
Mit dem aktuellen Krieg hat sich ihre Situation noch einmal massiv verschlechtert. Das zeige die Zahl der getöteten Medienvertreter. Duchrow kritisierte auch das Verbot des arabischen Senders Al Jazeera in Israel.
Das bedeute aber nicht, dass man mit dem Programm einverstanden sei. Pressefreiheit mache schließlich nur Sinn, wenn man auch Meinungen verbreiten dürfe, mit denen man nicht übereinstimme, betonte Duchrow einen Grundsatz, der auch im linksliberalen Lager nicht mehr selbstverständlich sei.
Warum nicht mehr Kritik an rechten Regierungen?
Weltweit schränken rechte Regierungen die Pressefreiheit ein. In Israel sind derzeit zwei Parteien an der Regierung, die sich auf den Kahanismus stützen, eine völkische Strömung, die in Israel lange verboten war. Darauf machte auch die Schriftstellerin Deborah Feldman aufmerksam, die als nicht-zionistische Jüdin die israelische Regierung immer wieder scharf kritisiert.
"Die rechtsradikale Regierung in Israel erhält von der gesamten deutschen Parteienlandschaft jede erdenkliche Unterstützung", kritisierte sie. Tatsächlich präsentiert sich gerade die AfD als Freund der israelischen Rechten.
Es fällt auf, dass auch viele politische Initiativen, die sonst völlig zu Recht rechte Regierungen kritisieren, wenn sie in Russland, Ungarn, Italien etc. sitzen, Kritikhemmungen haben, wenn die gegenwärtige israelische Regierung als das benannt wird, was sie ist: ein Bündnis aus Nationalkonservativen und völkischen Kleinstparteien, angeführt von einem Ministerpräsidenten, der sich mit seinen Ämtern vor einer Verurteilung wegen Korruption schützt.
Seine Umfragewerte waren noch vor wenigen Wochen extrem niedrig, auch weil er alle Forderungen nach Rückführung der israelischen Geiseln ignorierte und die Angehörigen sogar beleidigte.
Mit dem Krieg im Libanon und der medienwirksamen Liquidierung führender Islamisten von Hamas und Hisbollah sind seine Sympathiewerte wieder gestiegen. Die Demonstration und das Schweigen weiter Teile der Medien zeigen, dass Forderungen nach einem gerechten Frieden im Nahen Osten und eine Kritik sowohl am Islamismus in Palästina als auch am Kahanisimus in Israel nicht erwünscht sind.