Geister

Von weißen Nebeln und fehlenden Büchern - Teil I

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Halloween und Philosophie haben viel gemeinsam. Man mag das äußerliche Erscheinungsbild mancher Philosophen als gespenstisch empfinden oder nicht – in ihren Thesen wimmelt es nur so von Zombies, Gehirnen im Tank, Fledermäusen und Gespenstern.

Bild: Paul Sapiano/CC BY 2.0

David Chalmers, der so aussieht, als sei er selbst einem Zombiefilm entsprungen, überlegte, ob es Lebewesen ohne Bewusstsein geben könnte, die unter uns wandeln, ohne dass wie sie als geistlose Wesen erkennen würden (so wie morgens vor 6 Uhr in der U-Bahn). Hillary Putnam fragte, ob es möglich wäre, dass wir in einer Art Illusion der Welt leben könnten, wie im Traum eines anderen oder wie Gehirne in einem Tank (wahrscheinlich eingelegt in einer Alkohollösung).

Thomas Nagel machte sich Gedanken darüber, ob man als Mensch wissen könne, wie man sich als Fledermaus fühlt (eine Frage für die Vertreter der Gothic-Szene). Und Gilbert Ryle unterstellte Descartes, dass er Menschen wie Geister in Maschinen darstellen würde. In der Philosophie ist viel von "Geist" die Rede, aber selten von Geistern. Und das ist eigentlich schade.

Denn wenn jemand beteuert, er glaube nicht an Geister, dürfte er – statisch gesehen - höchstwahrscheinlich lügen. Jeder sechste glaubt hierzulande an Geister. In Amerika sind es sogar doppelt so viele. Und in manchen Ländern fernab Europas gilt es sogar als geisteskrank, nicht an Geister zu glauben.

Auch in unseren Breitengraden verstieß jemand bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durchaus gegen die allgemeine Weltordnung, wenn er an der Existenz von Geistern zweifelte. Denn nur wer Geister für möglich hielt, tat das auch mit Gott. Sogar Goethe, der sich lieber als Naturwissenschaftler denn als Literat betrachtet, sah auf Schlachtfeldern die Geister gefallener napoleonischer Grenadiere. Arbeitsgeräusche aus einer benachbarten Schreinerei, die sich auf Särge spezialisierte hatte, hielt er für eine zeitnahe Terminvereinbarung mit dem Tod. Denn zu dem Zeitpunkt war die Schreinerei überhaupt nicht besetzt, und Goethe wurde tatsächlich wenige Monate später abberufen.

Das 19. Jahrhundert liebte die Schauerromane. Eigens geschaffene Geisterclubs diskutierten die Schattenseiten der Wissenschaft und unternahmen Exkursionen zu einschlägigen Ausflugszielen, zu vermeintlich von Geistern besessenen Burgen und von Spukgestalten bewohnten Schlössern – wie zum Beispiel Raynham Hall. Dort logierte die berühmte Brown Lady, eine von Ehekonflikten geplagte Dame, die ihr Gatte nachhaltig in diesen Mauern eingesperrt hatte. Ihr lauerte schwer bewaffnet ein besonders beherzter dieser Geistestouristen auf und schoss auf sie (bzw. durch sie hindurch). Mehrere Umstehende bezeugten ihr höhnisches Lachen (und die Kugel steckt heute noch in der Wandtäfelung).

Doch die Dame verschwand. Zumindest solange, bis 1936 ein englischer Offizier in Raynham Hall Fotos für das "Country Life Magazin" schießen wollte. Auf einmal rief sein Kollege, da sei irgendetwas. Der Offizier drückte ab, und so entstand eines der heute berühmtesten Geisterfotos überhaupt, ein humanoider weißer Nebel auf einer Treppe. Eine Doppelbelichtung ist auf der Fotoplatte nicht nachweisbar.

Warum öffnen Geister schwere Türen?

Als genauso "echt" gilt das Video einer Überwachungskamera in Hampton Court, dem Schloss Heinrichs VIII, eines ebenfalls beziehungsgestörten Mannes, ein König, der sich von zweien seiner sechs Ehefrauen hatte scheiden lassen, zwei weitere köpfen ließ, und von der letzten seiner Angetrauten nur aufgrund seiner Diabetes und Syphilis überlebt wurde. Ein Gespenster-Führer seines Anwesens unterrichtet darüber, dass diese Damen und noch einige weitere bis heute in diesem Schloss wandeln – und eine von ihnen hat sich dabei filmen lassen. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen eine mächtige doppelseitige Tür an einer Außenmauer des Gebäudes. Deren Flügel sind so schwer, dass sie von Menschenhand fast nicht zu öffnen sind. Und doch öffnet sich die Tür schwungvoll wie von alleine, oder wie von Geisterhand. Einen Moment später kommt tritt eine Person in einem langem Kleid hinzu, und schließt diese Türe wieder, natürlich mühelos.

Diese Aufnahme wurde von einem der führenden Parapsychologen unserer Zeit, von Richard Wiseman, Professor für Psychologie an der Universität Hertfordshire und früherer Zauberkünstler untersucht. Obwohl Wiseman sein akademisches Leben der Aufgabe widmet, Geistererscheinungen als ebensolche Tricks zu entlarven, und er in dieser Hinsicht sehr erfolgreich ist, hält er diesem Film für den besten Beweis für die Existenz von Geistern seit Erfindung dieses Mediums.

Und doch stellt sich gerade ob dieser bestechend scharfen Erkenntnisse und Aufnahmen die Frage, was diese Geisterfrau denn abgesehen vom Beweis ihrer Existenz an eigentlicher Botschaft hat vermitteln wollen, wenn nicht nur die Notwendigkeit des Stoßlüftens auch und gerade in älteren Gebäuden. Warum öffnen Geister schwere Türen? Weil sie es können? Aber wenn sie über so viel unzureichend genutzte Energie verfügen, warum öffneten sie dann nicht noch im Leben ihre Kerkertüren ähnlich spektakulär, um dem Beil des Henkers zu entgehen – oder gab es auch damals schon historisch-höfische Formen des Borderline-Syndroms? Denn diese Persönlichkeitsstörung führt zu selbstverletzendem Verhalten, und in der Tat spuken in Hampton Court nur Gestalten, die in ihrem vergangenen Leben psychologische Probleme hegten.

Entweder glaubt man oder nicht

Der Physiker und Psychologe Dr. Dr. Loucado, Leiter der einzigen stattlich geförderten parapsychologischen Beratungsstelle Deutschlands, hält Spukwahrnehmungen für leibhaftig gewordene Umsetzungen starker psychischer Konflikte. Heinrich VIII. selbst wurde seit 1547 nie wieder gesehen, was dem Anschein nach dafür spräche, konsequente Schlussstrichziehung bei Trennungen seien langwieriger Psychologisierung zu bevorzugen. Oder die Geisterschar von Hampton Court entstammt, wie nicht auszuschließen ist, einem Arsenal noch nicht entlarvter Tricks. Auch die Tricks des Illusionisten David Copperfield sind noch nicht alle gelüftet worden.

Im Grund genommen verhält es sich mit den Geistern tatsächlich so ähnlich wie mit Gott. Entsprechende Beweise sind rar und wirken nicht selten wie Glaubensangelegenheiten. Entweder man glaubt oder nicht. Aber verdammt viele glauben an die lebensüberdauernden Kräfte der Verdammten. Nur geben es die meisten nicht offen zu, zumindest nicht den Glauben – aber die Folgen schon.

Sich bis zur Gänsehaut zu gruseln ist politisch so korrekt, dass zum Beispiel 1999 der Gruselfilm "Blair Witch Project" 1999 ein so großer Erfolg wurde – dank der Vorstellung vom Geist einer Hexe, die in ihrem Einzugsgebiet eines ausgedehnten Waldes in die Hände zweier bereits verstorbener Mörder drei Studenten treibt, wissbegierige junge Menschen, des Kartenlesens völlig unmächtig und unfähig, einem Flussverlauf zu folgen, und noch dazu allem Anschein nach filmtechnisch völlig unbedarft. Das zumindest suggerieren die pseudodokumentarischen Kameraaufnahmen dieses Fähnleins bei seiner Waldwanderung. und bringen einen handlungssparsamen und nahezu actionfreien Film hervor, dessen Kitzel und Grauen allein aus dem Spiel mit der bloßen Vorstellung und Möglichkeit von Geistern besteht.

Aber 78 Minuten ohne Geist und Action erzeugten bei so vielen statt Langeweile so viel Genuss am Grusel potentiellen Geisterglaubens, dass dieser Film ungeachtet aller wissenschaftlichen Ablehnung von Geistern das über 15.000-fache seines Budgets einspielte. Noch heute lehnen viele eher die Fiktionalität dieses Films strikt ab. Weitere Beispiele für lebendigen Geisterglauben folgen im zweiten Teil.