Geld oder Leben: Vom Bruttosozialprodukt zum Psychosozialprodukt

Umgestaltung statt Umverteilung: Mensch und Natur droht Burnout – die sozial-technokratische Linke muss umdenken. Wie radikale Ansätze für eine bessere Gesellschaft aussehen.

Bei den Linksliberalen bis zu den Linken – die Übergänge sind fließend – interessieren sich die allermeisten für Umverteilung, Arbeitnehmerrechte, Ökologie und den Schutz von Minderheiten, derer es immer mehr zu geben scheint.

Diese Anliegen sind begrüßenswert. Verabsolutiert werden sollten sie aber nicht. Das findet so lange statt, wie diesen Anliegen in der Öffentlichkeit andere zentrale Nöte untergeordnet bleiben.

Überarbeitung und nutzlose Produktion

Die Überarbeitung vieler Menschen – jeder fünfte Beschäftigte verspürt Burnout-Symptome, nur rund die Hälfte fühlt sich gesund – wirft die Frage nach der Verringerung der notwendigen Arbeit auf. Der Bedarf nach Produkten würde sich reduzieren, wenn der geplante Verschleiß wegfällt.

Müssten die Verbraucher nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen, blieben ihnen im Jahr 100 Milliarden Euro übrig.

Süddeutsche.de, 20.3.2013 (vgl. a. Kreiß 2014)

Werden Güter ausgeliehen bzw. von mehreren Personen und nicht nur von ihrem jeweiligen Privateigentümer benutzt, so sind weniger Produkte und weniger Arbeit erforderlich. Zum gleichen Resultat führt der Ausbau von öffentlichen Gütern.

Ein Verkehrssystem, in dem Busse, Bahnen und Sammeltaxis dominieren, bedarf viel weniger Produkte und Arbeit als der gegenwärtig vorherrschende motorisierte Individualverkehr (vgl. Paulsen 2020).

Verzichten lässt sich auf Produkte, die nur dem Profit nützen. Dies betrifft

• die Produktion von Nutzlosem: "Die Hälfte der modernen Medikamente könnte man aus dem Fenster werfen, wenn man nicht Angst um die Vögel haben müsste" (Martin Henry Fischer),

• die Produkte, bei denen vor lauter Geschmacksverstärkern der Nährwert gegen Null geht. Dies betrifft nicht nur die Ernährung, sondern auch mediale Angebote (z. B. "Kitsch");

• die Produkte, die einen problematischen Zustand von Fähigkeiten, Sinnen, Sozialbeziehungen und Reflexionsvermögen voraussetzen, bestätigen und befördern. Vgl. u. a. die Bildzeitung, die Yellow Press, die Pornographie sowie ein großer Anteil der Computerspiele.

Der Mangel an gesellschaftlich sinnvoller Arbeit bzw. Tätigkeit

Viele Lohnabhängige halten zu Recht die Produkte oder Dienstleistungen, die sie zu erbringen haben, für wenig gesellschaftlich sinnvoll.

"Das Meinungsforschungsinstitut Yougov hat vor einigen Jahren in Großbritannien eine Umfrage gemacht mit der Frage "Leistet ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag zur Welt?" 37 Prozent verneinten dies, 13 Prozent waren sich nicht sicher" (Franfurter Rundschau 4.1. 2019).

Auf die Frage "Haben Sie den Eindruck, dass Sie mit Ihrer Arbeit eine wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten?" antwortete 29 Prozent der Befragten (bei der DGB-Umfrage über "Gute Arbeit" 2022 mit "gar nicht" oder "in geringem Maße" (DGB 2022, 36).

Selbst ein bekannter Management-Autor wie Reinhard Sprenger betont, wie wenig der Mangel an sinnvoller Arbeit durch Einkommen kompensierbar ist. Er traf nach 30 Jahren die Teilnehmer einer Managementausbildung wieder, bei der er Trainer war.

Alle waren erfolgreich, verdienten ausnahmslos viel, im Einzelfall sehr viel Geld – aber keiner war richtig glücklich. Jedenfalls nicht über sein Berufsleben. [...] Die Jobdesigns fokussieren sich fast ausschließlich auf eine Binnen-Rationalität, sind an Effizienz, Finanzzielen und Benefits orientiert. [...] Niemand soll glauben, dass Unternehmen so etwas wie Arbeitsfreude entstehen lassen, wenn sie am liebsten ohne den "Umweg" über den Kunden ihren Kapitalmarktwert erhöhen wollen […]. Wie einer der Teilnehmer sagte: "Dass wir wussten, dass wir mit unserer Arbeit das Leben unserer Kunden verschönern [...] mein Gott, ist das lange her!".

Sprenger 2019

Für das gute Leben ist es zentral, den Menschen zu ermöglichen, sich mit ihren Produkten bzw. Dienstleistungen sinnvoll auf deren Empfänger bzw. Kunden zu beziehen.

Dafür ist eine Ökonomie zu überwinden, bei der die erste Frage lautet "was steigert die Rendite, was fördert das Kapitalwachstum"?

Die Fixierung der Mainstream-Linken

Das Bruttosozialprodukt steigt auch, wenn bspw. mehr Autos verunglücken, mehr Abschleppwagen ausrücken und mehr Neukäufe notwendig werden.

Die Mainstream-Linke ist auf die Umverteilung zwischen Kapital und Lohnarbeit fokussiert bis fixiert. Dieser Umverteilung schafft günstigenfalls höhere Löhne, aber nicht eine für die Arbeitenden und für die Kunden gute Arbeit.

Arbeitsqualität und Lebensqualität

Zur Beurteilung von Lebensqualität innerhalb der Arbeitszeit hilft die Frage:

"Gibt diese Tätigkeit mir etwas, das mich am Ende des Tages eine 'gute Müdigkeit', eine 'erfüllte Erschöpfung' spüren lässt? Damit meinen wir das Gefühl, am Ende eines Tages viel Energie eingesetzt zu haben für Dinge, die es wert sind, getan zu werden? [...] Hilft diese Tätigkeit mir dabei, zu wachsen, zu lernen und mich weiterzuentwickeln? Bin ich dankbar, dass ich diese Aufgaben erledigen kann, und habe ich das Gefühl, dass meine Lebenszeit hier gut investiert ist?" (Förster, Kreuz 2013, 204).

Erforderlich ist es, die Arbeit so zu gestalten, dass sie "eine genügend interessante und anziehende Tätigkeit" ist, welche "nicht als Fronarbeit empfunden wird, die man nur widerwillig ausführt und deren man sich möglichst bald entledigen will, und sei es auf Kosten anderer.

Das heißt, dass sie nicht weiterhin ausschließlich unter dem Blickwinkel der Produktion (ihrer Steigerung) oder des Konsums (der immer anspruchsvoller wird), dafür umso mehr unter dem Blickwinkel der Kultur, als menschlicher Wert betrachtet wird" (Bitot 2009, 90f.).

Arbeit: Mehr als Mittel zum Zweck

In der Gesellschaft des guten Lebens ist die Arbeit bzw. Tätigkeit nicht nur Mittel zum Zweck, sondern wird auch daran gemessen, wie sie zur Entwicklung der menschlichen Sinne, Fähigkeiten und Reflexionsvermögen beiträgt.

Sie bilden sich in dem Maße, wie sie sich mit ihrem (weit verstandenen) Gegenstand auseinandersetzen.

Erst in diesen Prozessen werden dem jeweiligen Individuum seine Sinne, Fähigkeiten und sein Denken zum Thema. Der Abstand zu ihnen bildet ein für ihre Entwicklung wesentliches Moment.

Nein zur Überspezialisierung

Indem ich mich auf einen Gegenstand konzentriere und mich auf die meinem unmittelbaren Wollen und Meinen gegenüber heterogene Objektivität (das "Gegen") des Gegenstands einlasse, gewinne ich eine reflexive Distanz zu mir.

Wer diesen Wert des Arbeitens für die Arbeitenden begreift, sagt ja zur Arbeitsteilung und nein zur Überspezialisierung.

Daraus folgt, das "Produktionsziel reiche Individualität" ebenso zu einem zentralen Kriterium der Ökonomie zu machen wie die "Verkürzung der psychologisch unproduktiven Arbeitszeit innerhalb der notwendigen Arbeitszeit" (Bahro 1977, 489, 495).