Gelderwerb und medizinische Versorgung im Lockdown

Deutschland im Winter-Lockdown. Eine Zwischenbilanz (Teil 2)

Auch in ihrer Eigenschaft als Geldverdiener kommen die Individuen dem Staat bei der Pandemiebewältigung in den Blick. Um ihnen in dieser Eigenschaft gerecht zu werden, behandelt der Staat sie zielstrebig als das, was sie als Erwerbsbürger sind: total abhängige Figuren. Um ihren Nöten des erschwerten bis verunmöglichten Geldverdienens zu entsprechen, wendet er sich konsequenterweise nicht an sie direkt, sondern an ihre "Arbeitgeber", von deren geschäftigem Umgang mit ihrer geldwerten Leistung ihr Lebensunterhalt nun einmal abhängig ist.

Deren Kalkulationen mit der Arbeit verspricht der Staat in aller gebotenen Großzügigkeit entgegenzukommen. Die "kleinen Leute" müssen sich für ihr Überleben schließlich weiter nützlich machen können – und was dafür ansteht, ist ein beherztes Bekenntnis zum kapitalistischen Reichtum und die Unterstützung der Bedingungen seiner Vermehrung. So geht "Rettung der kleinen Leute" in der Marktwirtschaft – ein sachdienlicher Hinweis der Politik auf die klassenmäßige Wahrheit ihres freiheitlich-egalitären Gemeinwesens.

Mit Blick auf den Erwerbsbürger lautet daher die erste und wichtigste Losung für den Staat: Es muss so viel Geschäft wie möglich und vertretbar aufrechterhalten werden. Entsprechend zurückhaltend setzt der Staat deshalb die Kontaktrestriktionen in der Arbeitswelt und entlang der öffentlichen Verkehrswege zu den Wirkungsstätten ein.

Wo immer es geht, sollen Betriebe - ggf. unter verschärften Hygieneauflagen - "offen bleiben", und es gilt als beruhigende Nachricht, dass - von unrühmlichen Ausnahmen wie der Fleischverarbeitung einmal abgesehen - große Teile der deutschen Industrie mehr oder weniger unbeirrt weitermachen können.

Daneben versucht der Staat, dem Widerspruch zwischen der Volksernährung durch dessen unterbrechungsfreie Versorgung mit "Arbeit" und der Seuchengefahr durch Home-Office-Regelungen die Schärfe zu nehmen. Dem Kommandorecht des privaten Eigentums will er dabei auch nicht zu nahe treten, weshalb das Home-Office vom Arbeitgeber dann und nur dann dem Personal möglich gemacht werden muss, wenn es nach den gültigen Maßstäben des Betriebs und nach dessen Dafürhalten ohne große Abstriche möglich zu machen ist. Entsprechende freundliche Empfehlungen an die Wirtschaft begleiten den gesamten Lockdown.

Wo die Corona-Lage dann doch dazu führt, dass die Arbeit der Belegschaft nicht mehr in zufriedenstellendem Maße geschäftsnützlich ist, soll sie natürlich entsprechend zurückgefahren werden dürfen. Das sieht der Staat als notwendige Freiheit der Geschäftskalkulation ein und weiß gleichzeitig darum, dass – auch im Hochlohnland Deutschland – das Arbeitsentgelt in der Regel so knapp bemessen ist, dass bereits kurzzeitige Unterbrechungen der nützlichen Anwendung der Arbeitsleute deren bürgerliche Existenz innerhalb kürzester Zeit zu vernichten drohen.

Im Sinne beider Seiten springt der Staat mit – ausgeweitetem und mehrfach verlängertem – Kurzarbeitergeld ein. Ein Angebot, mit dem er sich konsequenterweise wieder direkt an die Betriebe als die wirklichen Subjekte der Arbeits- und Einkommensverhältnisse wendet: Wenn die es formgerecht beantragen, kompensiert er Teile des Lohns, die die Arbeitgeber nicht mehr zu zahlen bereit sind.

Dann müssen sie sich keine Sorgen um ihre Beschäftigten machen, wenn sie deren Lebensunterhalt stornieren, sobald er sich für sie nicht mehr lohnt. Und das Beste daran ist, dass das Beschäftigungsverhältnis, auch wenn es nichts mehr abwirft, formell in Kraft bleibt, sodass die Belegschaften ihren Arbeitgebern auch weiterhin flexibel verfügbar bleiben, falls Teile von ihnen vielleicht demnächst bald wieder gebraucht werden.

Des Weiteren findet der Staat in seinem Steuer- und Sozialwesen allerhand Stellschrauben vor, die jetzt als Instrumente in Betracht kommen, den einfachen Leuten über die außerordentliche Krisensituation hinwegzuhelfen: Er verteilt kleine Steuergeschenke an Home-Office-Arbeitskräfte; er erfindet eine Umwidmung der segensreichen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, damit Eltern ohne sofortigen totalen Verdienstausfall ihre Kinder eine Weile notbetreuen können, inklusive Erhöhung der "Kinderkrankentage", die zum ausnahmsweise Zuhausebleiben berechtigen.

Diese und weitere Einrichtungen, die jetzt als Kriseninstrumente neu in den Blick kommen, gibt es längst vor der Corona-Pandemie, weil die öffentliche Gewalt in Form des Sozialstaates in die Bewirtschaftung des nationalen Lohns – hauptsächlich per Zwangs-Umverteilung innerhalb der Klasse der abhängig Beschäftigten – als das Lebensmittel der Massen immerzu eingemischt war und ist, damit er überhaupt als solches funktioniert. Und auch die kapitalistisch unnütze Armut, die zur Lohnarbeit gehört, wird vom Staat in der Krisensituation großzügig bedacht: Er erleichtert den Zugang zur Sozialhilfe – noch so ein gigantischer Posten aus Vor-Corona-Zeiten – und verzichtet sogar hier und da auf die Bürokratie der Bedürftigkeitsprüfung.

Zu guter Letzt greift er den Ärmsten der Armen noch mit einem einmaligen "Corona-Zuschlag von 150 Euro für Arbeitslose, Ältere und Behinderte in der Grundsicherung" (t-online.de, 09.02.2021) unter die Arme, damit die sich überhaupt Masken und so Zeug besorgen können, was den Fiskus nach ersten Schätzungen über eine halbe Milliarde Euro kosten dürfte – ein interessantes Indiz für die schiere Masse nutzloser Armut unterhalb des Existenzminimums in diesem reichen Land.

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