Gemeinsam sind wir schlau

Experimente mit Zebrafinken zeigen: Einsamkeit lässt Hirnzellen absterben

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Geselligkeit - allein das Wort macht Einzelgänger ganz verlegen. Und erst die Vorstellung, Konversation machen zu müssen mit wildfremden Menschen! Entsetzlich. Aber noch viel entsetzlicher dürfte die Tatsache sein, dass Einsamkeit Hirnzellen absterben lässt. Einfach so, ganz ohne Alkohol und andere Drogen. Das jedenfalls legt eine Studie nahe, aus der hervorgeht, dass Zebrafinken, die in großen Verbänden leben, über mehr neue Gehirnzellen verfügen als Einzelgänger.

Nun brauchen Vögel neue Neuronen, um neue Erfahrungen speichern zu können. Ihr Hirn ist nämlich so klein, dass es nur begrenzt aufnahmefähig ist. Versuche mit Kanarienvögeln beispielsweise haben gezeigt, dass ihr Verstummen nach Ende der Brutsaison damit zusammenhängt, dass jener Teil ihres Gehirns, den sie zum Singen brauchen, ersetzt wird. Schließlich brauchen sie Platz für neue Melodien. Doch während das bei den Kanarien ziemlich abrupt erfolgt, bilden die Zebrafinken kontinuierlich neue Neuronen. Man könnte sich so ein Kanarienhirn wie eine Boutique vorstellen, die Platz braucht für die neue Frühjahrskollektion, während das Zebrafinkenhirn eher einem Supermarkt gleicht, der ständig neue Ware braucht.

Fernando Nottebohm, der sich schon seit langem mit der Gehirnverjüngung von Vögeln beschäftigt, und seine Kollegen von der Rockefeller Universität in New York wollten herausfinden, welche Auswirkungen die Zahl der Kommunikationspartner auf ausgewachsene Zebrafinken hat. Für ihre Studie, die demnächst im Fachblatt Behavioural Brain Research veröffentlicht wird, markierten sie die Vogelhirne zunächst mit der radioaktiven Substanz Thymidin, die neu gebildete Neuronen sichtbar macht. Und zwar markierten sie jene drei der insgesamt zwanzig für den Gesang zuständigen Hirnregionen, die tatsächlich neue Neuronen zu bilden in der Lage sind. Anschließend wurden drei Testgruppen gebildet. Ein Teil der Finken bekam einen Einzelkäfig, ein Teil wurde zusammen mit einem Zebrafinken des anderen Geschlechts untergebracht, der Rest in Gruppen von etwa 45 Zebrafinken beiderlei Geschlechts. Nach 40 Tagen wurden die drei markierten Hirnareale im Gesangszentrum der Vögel untersucht.

Die Forscher stellten fest, dass jene Vögel, die in den großen Gruppen untergebracht waren, etwa 30 Prozent mehr neue Neuronen gebildet hatten. Noch eindrucksvoller waren die Werte bei männlichen Tieren, denn Singen ist bei den Zebrafinken Männersache. Und zwar hatten die Männchen aus den Großgruppen doppelt so viele neue Neuronen gebildet wie die Männchen in den Einzel- und Zweiergruppen. Die Forscher vermuten, dass die Vögel versuchen, jedes Gruppenmitglied an seinem typischen Gesang zu erkennen - je größer die Gruppe, desto größer ist folglich der Neuronen-Bedarf im Gesangszentrum.

Zwar weiß man schon seit langem, dass Herdentiere wie Elefanten ein tendenziell besseres Gedächtnis haben als Einzelgänger. Doch vor Nottebohms Zebrafinken-Studie gab es keinen konkreten Hinweis darauf, welchen Einfluss die Anzahl der Gefährten auf den Neuronen-Haushalt hat. Arturo Alvarez-Buylla findet diese Studie "sehr aufregend." Er ist Experte für Neuronen-Wachstum an der University of California in San Francisco und hat zuvor wie Nottebohm an der Rockefeller Universität geforscht. Sein Interesse gilt den Säugern, allen voran dem Menschen. Die Frage ist nur: kann man die Ergebnisse der Finken-Studien auf den Menschen übertragen? Man kann - theoretisch jedenfalls.

Lange Zeit galt für die Gehirne von Säugetieren das Dogma: die Zahl der Zellen ist von vornherein festgelegt, denn nur so kann es so etwas wie ein Langzeit-Gedächtnis geben. Insbesondere für das ausgewachsene Gehirn war Neurogenese, eine Neubildung von Neuronen also, nicht vorstellbar. Zwar fanden Forscher wie Joseph Altman und Michael S. Kaplan bereits in den 60er Jahren heraus, dass Neurogenese sehr wohl vorkommt im Hippocampus von Ratten und anderen Säugern. Doch niemand griff das Thema auf. Dann machte Nottebohm seine Kanarienvogel-Studien, und seit den 80er Jahren widmen sich Forscher wie Elizabeth Gould, Princeton, Bruce S. McEwan - wie Nottebohm an der Rockefeller Universität - und Eberhard Fuchs vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen dem Phänomen der Neurogenese bei Nagern und Primaten. 1998 war es soweit: durch die Studien von Fred H. Gage vom Salk Institute in San Diego und Peter S. Eriksson von der Göteborg University fiel das Dogma vom unveränderlichen menschlichen Erwachsenen-Gehirn und Hoffnung machte sich breit. Denn wenn auch das menschliche Gehirn in der Lage ist, selbst im hohen Alter noch neue Zellen zu bilden, dann ist nicht nur Alzheimer heilbar, sondern jede Art von Hirnschädigung wäre reparabel.

Neugebildete Neuronen in den Riechlappen

Bislang weiß man aber noch nicht mit Bestimmtheit, in welchen Bereichen des Gehirns Neurogenese stattfindet. Zwar konnte Alvarez-Buylla nachweisen, dass neugebildete Neuronen wandern, doch ist unklar, in welchem Umfang Neurogenese auch außerhalb des Hippocampus stattfindet. Einige Forscher erkunden deshalb Möglichkeiten, Schlaganfall-Patienten mittels Stammzellen zu heilen (Vgl. Bei Schlaganfall: Spritze mit Stammzellen ins Gehirn), während andere auf Demenz-Vorbeugung mittels geistiger Anstrengung hinweisen (Vgl. Fernsehen macht blöd).

Eingefleischte Einzelgänger, die ihre grauen Zellen im Selbstversuch erneuern wollen, sollten außerdem bedenken: Stress und Angst machen dumm. Das jedenfalls haben Experimente von Gould und McEwan mit Primaten gezeigt. Wer also Schweißausbrüche bekommt bei der Vorstellung, Konversation machen zu müssen mit wildfremden Menschen, sollte vielleicht erstmal klein anfangen - und Zebrafinken beobachten. Auf diese Weise lassen sich zumindest die vorhandenen Neuronen trainieren (Vgl.Von Meisen und Menschen oder Ich sehe was, das Du nicht siehst) und am Leben erhalten.