Gen-Test für Entscheider?

Ob und wie sich Menschen vom Kontext einer Information in ihrer Entscheidung beeinflussen lassen, ist offenbar genetisch veranlagt

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Menschen, typischerweise Männer und besonders gern Manager, bilden sich meist einiges auf ihre Fähigkeit ein, Entscheidungen rein rational zu treffen. Sie hoffen, bei einer Fragestellung nur die nackten Zahlen und Fakten sehen zu können. Ob dem tatsächlich so ist, lässt sich in Zukunft vielleicht durch einen Gentest ermitteln - denn ein Beitrag in der aktuellen Ausgabe des Journal of Neuroscience zeigt, dass zumindest ein Teil des Entscheidungsprozesses in den Genen steckt.

Tatsächlich sind wir, ob bewusst oder unbewusst, weit mehr Einflüssen unterworfen, als die Eitelkeit uns glauben machen will. Mr. Spock, der sich davon ausnehmen darf, ist eben nur eine fiktive Figur der Science Fiction, Vulkanier leben gegen Null gehender Zahl unter uns. Die Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky haben diese Phänomene ausführlich im Rahmen ihrer Prospect Theory untersucht.

Grundlage dafür bilden verschiedenste Wahrnehmungsverzerrungen. So überschätzen wir gern uns selbst, unsere Fähigkeiten und unseren Einfluss auf die Zukunft. Wir orientieren uns willkürlich an einer einmal getroffenen Aussage („die Renten sind sicher“), auch wenn deren Quelle gar nicht besser informiert sein kann als wir. Wir halten stur an einer einmal gefassten Meinung fest. Die Nähe zu einem Problem erzeugt ein Feld verzerrter Wahrnehmung, dem wir ausgeliefert sind, wenn wir nicht genug Abstand gewinnen. Wir riskieren mehr, um den Status Quo zu erhalten, als um eine Änderung herbeizuführen - deshalb haben es Politiker auch immer so schwer, Systemänderungen etwa in den Sozialsystemen durchzusetzen. Wir verfahren bei Entscheidungen nicht effizient - ob wir weiße oder schwarze Socken anziehen sollen, beschäftigt uns unverhältnismäßig lange, verglichen mit der Frage, ob wir eine Lebensversicherung abschließen, den Job wechseln oder den Ehepartner verlassen sollen. Wir investieren unnötige Zeit in das Bedauern eines Verlustes, der nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Und schließlich lassen wir uns auch noch davon beeinflussen, ob Gewinn oder Verlust zu befürchten sind: einen Verlust fürchten wir deutlich mehr, als wir nach einem Gewinn streben. Das äußert sich ganz konkret im Framing-Effekt: Menschen verhalten sich unterschiedlich je nachdem, ob in der Fragestellung mit möglichen Verlusten oder Gewinnen hantiert wird. Dabei geht es um mehr als das alte „Glas-halb-leer-Glas-halb-voll“-Problem: Mit einem möglichen Verlust konfrontiert, neigt der Mensch stärker dazu, ein Risiko einzugehen. Der klassische Versuch dazu ist das „Asian Disease Problem“, das schon Tversky und Kahneman formuliert haben - nennen wir es doch ganz aktuell das „Schweinegrippe-Problem“:

  1. Problem 1: Deutschland bereitet sich auf einen Ausbruch der Schweinegrippe vor, die nach Voraussagen von Epidemiologen 600 Menschen töten wird. Zwei Gegenprogramme sind möglich: Programm A wird 200 Menschen retten. Durch Programm B würden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 alle 600 Menschen gerettet - mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 sterben jedoch alle 600.
  2. Problem 2: Deutschland bereitet sich auf einen Ausbruch der Schweinegrippe vor, die nach Voraussagen von Epidemiologen 600 Menschen töten wird. Zwei Gegenprogramme sind möglich: Bei Programm A werden 400 Menschen sterben. Durch Programm B würden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 alle Menschen gerettet - mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 sterben jedoch 600 Menschen.

Wer genau liest, bemerkt sofort, dass die Probleme faktisch identisch sind. Interessanterweise entscheiden sich aber etwa drei Viertel der Befragten für Programm A, wenn sie Problem 1 vorgelegt bekamen, doch nur 22 Prozent wählten Programm A in der Formulierung von Problem 2. Einem britischen Forscherteam ist es nun gelungen, über eine Genanalyse vorherzusagen, welche Menschen besonders anfällig für diesen Framing-Effekt sind. Die Analyse ist nachvollziehbar: die Forscher untersuchten nämlich das Gen 5-HTTLPR, das den Transport des Botenstoffs Serotonin beeinflusst.

Es kommt in einer kürzeren und einer längeren Variante vor. Menschen mit zwei kurzen Kopien des Gens erwiesen sich im Test als deutlich stärker vom Framing-Effekt beherrscht als solche mit zwei langen Kopien. Die Forscher erklären dies mit einer verstärkten Aktivität der Amygdala und schwächerer regulativer Kontrolle dieses Gehirnareals. Die Amygdala scheint nämlich an der Wahrnehmung von jeglicher Form der Erregung beteiligt zu sein und spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler das auch unter dem funktionellen Magnetresonanztomografen nachweisen. Allerdings erkläre die Beobachtung, schränken die Forscher ein, nur etwa ein Zehntel der individuellen Variabilität in Sachen Framing-Effekt - der Rest könnte sich aus der Sozialisation ergeben.