Genau wann bin ich Antisemit?
Seite 5: 5. Dicke logische Fehler
Zum Schluss will ich noch kurz auf ein Problem aufmerksam machen, dessen Folgen ungeheuer große sind, das aber trotzdem in der ganzen Antisemitismus-Debatte bisher total unterbelichtet geblieben ist: Es geht um den Unterschied zwischen einer Diskriminierungs-Einstellung einerseits und den diversen möglichen Gründen für diese Einstellung andererseits. Zu diesen Gründen gehört in der Regel auch der Rekurs auf Fakten, Tatsachenbehauptungen also.
Beispiel: Der Rassist Hansen
Hansens rassistische Einstellung: | (A) Afrikaner sind (moralisch) weniger wert als Asiaten. |
Sein Grund dafür: | (B) Der IQ von Afrikanern ist im Durchschnitt geringer als der von Asiaten. |
Die meisten reagieren auf dieses Beispiel so: (A) ist absolut verwerflich! Folglich, so der übliche Schluss, muss, wer gegen (A) ist, auch gegen (B) sein. (B) darf einfach nicht wahr sein! Schon die Behauptung von (B) selbst ist eine Diskriminierung.
Warum? Die übliche Antwort: Weil die Bewertung (A) doch schon aus der Behauptung (B) folgt.
Reagieren auch Sie so? Wenn ja, dann begehen auch Sie einen heftigen Fehlschluss. Was nicht so tragisch wäre, wenn Sie damit nicht bereits den gleichen Fehler begangen hätten, den auch der Rassist Hansen macht.
Was wäre denn, wenn - ob wir das nun für schön und gut finden oder nicht - (B) tatsächlich wahr wäre? Ob dem tatsächlich so ist, das spielt jetzt gar keine Rolle! Wäre, wie der Rassist glaubt (und bisher vielleicht auch wir), die sogenannte Tatsachenbehauptung (B), wenn sie denn wahr wäre, wirklich eine gute Begründung für (A)?
Überhaupt nicht! Und zwar aus zwei Gründen nicht: Erstens: Selbst wenn der IQ von Afrikanern im Durchschnitt schlechter als der von Asiaten wäre: Es könnte und wird trotzdem immer noch Afrikaner geben, deren IQ den von vielen Asiaten übertrifft. Und zweitens und sehr viel wichtiger: Soll denn, welchen IQ jemand hat, wirklich ein Maßstab dafür sein, wie wertvoll er ist? Einspruch! Der moralische Wert eines Menschen ist keine Funktion seines IQ!
Um (A) zu bestreiten, müssen wir also keineswegs auch die Prämisse (B) bestreiten. Wir müssen nur bestreiten, dass, wie der Rassist glaubt, (A) aus (B) logisch folgt. Was falsch ist an der Begründung des Rassisten ist nicht (jedenfalls nicht notwendigerweise) die Prämisse (B); falsch ist, dass aus dieser die Bewertung (A) folgt.
Daraus, dass Rassen-Diskriminierung verwerflich ist, folgt also nicht, dass auch die faktischen Gründe, die jemand für diese Diskriminierung hat oder zu haben glaubt, falsch sein müssen. Es folgt nur, dass diese Gründe keine logisch zwingenden Gründe für die fragliche Diskriminierungseinstellung sein können.
Im Kontext der Antisemitismus-Debatte ist dieser simple logische Sachverhalt anscheinend völlig unbekannt. Anders ist zum Beispiel überhaupt nicht zu erklären, warum die Thesen der amerikanischen Politikwissenschaftler Mearsheimer & Walt über den Einfluss der jüdischen Lobbies auf die amerikanische Außenpolitik oder bei uns erst vor wenigen Tagen der Hinweis des evangelischen Bischofs Adomeit auf die doch ganz unbestreitbare Überidentifizierung vieler gutmeinender Deutscher mit Israel plötzlich so viele Leute hinter ihrem Ofen hervorgelockt haben.
Was ist es, was uns so dumm macht? Was ist es speziell im Kontext der Antisemitismus-Debatte? Brecht hat es klar und deutlich benannt: Angst macht dumm. Es ist die Angst, im Kontext dieser Debatte etwas falsch zu machen. Es ist, übrigens genau wie im Kontext der ganzen Terrorismus-Hysterie, der pycho-soziale Terrorismus, der schon allein mit Hilfe des Wortes "Antisemitismus" (bzw. mit dem Wort "Terrorismus") betrieben wird.
Was dieser kleine Vortrag zeigen sollte: Man muss vor diesem Wort keine Angst haben. Auch über Antisemitismus kann man klar und einfach - also angstfrei - sprechen. Wenn man nur will. Ich will es.
Hinweis: Eine aktualisierte Fassung hierzu wird mein Vortrag am Abend des 12. Februar 2020 an der Berliner Humboldt-Universität sein. Dort werde ich dann auch meine bei der DAG-Veranstaltung nur in der Diskussion vorgetragene These näher begründen, dass die sogenannte "Arbeitsdefinition" der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) des Antisemitismus, welche die ganze Geschäftsgrundlage der derzeitigen Debatte - und so auch des Bundestagsbeschlusses vom 17. Mai 2019 - darstellt, schlicht und einfach "unbrauchbar", ja sogar "kontraproduktiv" ist.
Prof. Dr. Georg Meggle, Beiratsmitglied der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG)
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